Emil grüßt den Führer: Geschichte einer Verstrickung

Seite 3: Ein Zuhause für die deutsche Jugend

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Im April 1935 erklärte Bernhard Rust, Reichsminister für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung, eine gekürzte Fassung von Der alte und der junge König per Erlass zum ersten schulpflichtigen Spielfilm des Dritten Reichs. Damit kam Rust einem Wunsch der Reichsjugendführung unter Baldur von Schirach nach (zuständig für die Indoktrinierung der deutschen Jugend zwecks Absicherung der immerwährenden Herrschaft der NSDAP), die im März gefordert hatte, das Werk, weil "in seiner kompromisslosen Führung und überaus anständigen Haltung ein Beispiel für den nationalsozialistischen Film", allen Angehörigen der Hitlerjugend, des Deutschen Jungvolks und des Bunds deutscher Mädel zu zeigen. Überraschend war das nicht. Der Reichsjugendführer Baldur von Schirach, seit Hitlerjunge Quex ein guter Freund von Steinhoff, hatte spätestens im Januar 1934 seine besondere Beziehung zu den alten Preußen und der Potsdamer Garnisonkirche entdeckt. Damals hatte er dort eine Großkundgebung der Hitlerjugend mit Fahnenweihe organisiert und verlauten lassen: "Es gibt in ganz Deutschland kaum einen Raum, in dem die Jugend sich mehr zu Hause fühlen kann als in dieser Kirche."

Anlässlich des Geburtstages von Friedrich dem Großen und des Todestages von Herbert Norkus erhielten am 24. Januar 1934 in der Garnisonkirche 342 Banner der Hitlerjugend die "Blutweihe". Dabei kamen sie mit der Herbert-Norkus-Fahne in Berührung, auch bekannt als "Blutfahne der deutschen Jugend" (Herbert Norkus war das Vorbild für Heini Völker, den Helden von Hitlerjunge Quex). Das Sonder-Rundschreiben, mit dem von Schirach im Jahr darauf Extravorführungen des neuen Steinhoff-Films für die deutschen Buben und Mädels verlangte, endet so: "Die deutsche Jugend dankt dem Neuen Deutschen Lichtspiel-Syndikat und allen beteiligten Mitarbeitern für diesen Film. Die Hitlerjugend dankt ihrem Ehrenmitglied Hans Steinhoff und Emil Jannings für diesen Friedrich Wilhelm I."

Nach dem Krieg musste die Alliierte Kontrollkommission entscheiden, ob Der alte und der junge König für eine neuerliche Kinoauswertung zugelassen werden sollte oder nicht. "Ein sehr guter Film mit herausragenden Schauspielerleistungen", schrieben die Gutachter, "der nur durch die Überbetonung von militaristischer und nationalistischer Propaganda verdorben wird." Damit landete er auf der Verbotsliste. Vielleicht wäre er jetzt ein Vorbehaltsfilm, wenn sich 1958 nicht eine Verleihfirma, die Donau-Film, gedacht hätte, dass noch Geld mit ihm zu verdienen sei. Viele dieser Vorbehaltsfilme, würde ich vermuten, stehen heute nur noch auf der Liste, weil nie jemand die Freigabe beantragte (die Prüfung durch die FSK ist nicht ganz billig). Damit soll nicht gesagt sein, dass sie keine NS-Ideologie enthalten. Bei der Mehrzahl der Titel wäre es aber ziemlich schwierig, ein Verbot zu begründen, wenn niemand etwas dagegen hat, dass Kinder ein Paradebeispiel für die NS-Propaganda wie Der alte und der junge König sehen dürfen. Wohl dem, der sich um die notwendige Diskussion drücken und ein Urheberrecht geltend machen kann. Die Murnau-Stiftung praktiziert das schon so lange, dass da niemand mehr tätig zu sein scheint, der die Vorbehaltsfilme - mit ein paar Ausnahmen wie Jud Süß und Hitlerjunge Quex - wenigstens mal gesehen hat.

Der alte und der junge König jedenfalls wurde im August 1958 wieder zugelassen, in einer um zwölf Minuten gekürzten Fassung und ab 12 Jahren. Man denkt ja immer, dass aus solchen zensurierten Versionen die Propaganda oder auch die Gewalt entfernt wurde. Wenn man dann eine der seltenen Gelegenheiten hat, sich den kompletten Film anzuschauen, stellt man meistens fest, dass dem nicht so ist. Der alte und der junge König ist da keine Ausnahme. Obwohl ich die Zwei-Stunden-Fassung vor vielen Jahren gesehen habe und mich nur vage erinnern kann, schreibe ich das hier, weil Horst Claus die längere Version für sein Steinhoff-Buch gesichtet hat und dabei zum selben Ergebnis kam.

Claus zufolge wurden für die Wiederauswertung in der BRD, offenbar mit Blick auf die Freigabe ab 12 Jahren, zwei Passagen gekürzt: das Saufgelage des Königs mit seinen Trinkkumpanen und eine Szene, in der sich der König von seinem jüngsten Sohn zeigen lässt, wie gut er marschieren kann. Der Rest der Schnitte strafft die Handlung oder, ganz banal gesagt, verkürzt die Laufzeit. Das gibt es dauernd. Kinobesitzer mögen es nicht, wenn durch Filme mit Überlänge die Pausen zwischen zwei Vorstellungen zu knapp bemessen sind, weil das den geregelten Ablauf stört. Manche Verleiher sind da gern behilflich und schneiden Stücke aus dem Film heraus. So einfach ist das oft. Den Anfangstiteln vorangestellt ist dieser Text: "Donau Film zeigt einen Film über eine Epoche deutscher Geschichte, die heute jenseits des Für und Wider der Meinungen liegt. Der Konflikt zwischen Vätern und Söhnen aber hat heute wie immer Gültigkeit." Das ist die alte Mär vom Generationenkonflikt, die schon im Dritten Reich verbreitet wurde, um den Zuschauer nicht mit der Nase darauf zu stoßen, wie politisch und propagandistisch der Film ist.

Die um zwölf Minuten gekürzte Version der Donau Film, mit intakt gebliebener Verherrlichung des Führertums, kann man jetzt auf DVD kaufen. Freigegeben ab 12 Jahren. Die Murnau-Stiftung kann ausnahmsweise nichts dafür. Sie war noch nicht gegründet, als die FSK den Film prüfte, und er gehört auch nicht zu ihrem Rechtefundus. Ein Grund für Selbstzufriedenheit ist das aber nicht. Veit Harlans Verwehte Spuren ist nicht der einzige Propagandafilm von der besonders miesen Sorte, der mit Genehmigung der Stiftung auf DVD erschienen ist. Was mich daran stört ist nicht, dass solche Filme der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Da bin ich sehr dafür. Mich stört, dass in Verlautbarungen immer vom "verantwortungsvollen Umgang mit der NS-Vergangenheit" und dergleichen gesprochen wird - und dann wird das eine verboten (die Vorbehaltsfilme) und das andere unkommentiert auf DVD veröffentlicht, weil sich ein Anbieter gefunden hat, der bereit ist, Lizenzgebühren dafür zu zahlen.

Freigegeben ab 12 Jahren

Das passt nicht zusammen. Der Zuschauer wird einerseits bevormundet (die Verbotsliste, gekürzte Versionen mit FSK-Freigabe) und andererseits allein gelassen. Eine Kopie von Der alte und der junge König liegt im Bundesarchiv. Den Rechteinhaber vertritt das Deutsche Filminstitut in Frankfurt. Wer sich über das vom DIF betriebene filmportal.de informieren will, erhält da eine auf den Generationenkonflikt konzentrierte Inhaltsangabe und den Link zu den allgemeinen Informationen über die NS-Propaganda, mit dem jeder Eintrag zu einem Film des Dritten Reichs versehen ist. Das ist alles. Irgendwie gefährlich sind sie schon, diese Filme, wegen des darin enthaltenen Nazi-Virus. Aber uns damit genauer zu beschäftigen, dafür haben wir leider keine Zeit und auch kein Geld (das ist weniger ein Vorwurf an das DIF als vielmehr an die Politiker, die schöne Reden halten und keine Mittel dafür locker machen, dass endlich gründlich untersucht wird, worin die Gefahr eigentlich besteht - jenseits von Hakenkreuzen und Führerbildern).

Einstweilen ist der User von filmportal.de (gefördert durch den Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien etc. pp.) dazu aufgerufen, selbst einen Kommentar abzugeben. Wie wäre es mit einem von denen, die es bei Amazon zu lesen gibt. "Wintergriller" ist "gleichermaßen überrascht wie enttäuscht" darüber, dass Leute diesen Film tatsächlich als "nazistischen Propagandastreifen" darstellen: "Dieses Urteil ist so ungerecht, daß ich es kaum für möglich halte; das famose Schauspiel eines Emil Jannings, der dem ‚Soldatenkönig’ z.T. eine überraschend sympatische [sic] Note verleit [sic] ist ein wirkliches Zeitdokument und hat mit der platten NS-Ideologie späterer Streifen nichts gemein!" 10 von 11 Kunden fanden das hilfreich, als ich zuletzt geschaut habe. Oder wie wäre es mit der "Rezension" von "Titus Andronicus" (17 von 23 Kunden: hilfreich): "ich finde den Film klasse; die Schauspieler bringen den uralten Konflikt zwischen den Generation [sic] sehr anschaulich rüber. Wer in diesem Film nationalsozialistische Propaganda sieht, ist [sic] gewiss falsch."

Ganz genau. Preußen ist Preußen und daher nicht in Verbindung mit dem Dritten Reich zu bringen. Schlecht informierte Vertreter der NSDAP erklärten den Soldatenkönig trotzdem schon vor 1933 zum "ersten Nationalsozialisten". Dummerweise hatte man den Nazis immer noch nicht gesagt, wie falsch das ist, als sie die Macht ergriffen und zum "Tag von Potsdam" baten, um sich als die Nachfolger der Preußenkönige (und Bismarcks als Repräsentanten des Kaiserreichs) zu inszenieren. Was, bitte schön, hat das damit zu tun, dass Emil Jannings einen zeitlosen Film über den Generationenkonflikt drehen wollte und darum 1934 den Vater von Friedrich dem Großen spielte, in einer Produktion der Deka und des NDLS und mit der Garnisonkirche als dem Symbol einer großen neuen Zeit für (Nazi-)Deutschland?

Wahrscheinlich - hoffe ich zumindest - wären sich Wintergriller und Titus Andronicus in ihrem Urteil nicht mehr ganz so sicher, wenn sie wüssten, was sich hinter den Kürzeln Deka und NDLS verbirgt und in welchem Umfang die Nazis den Film zu Propagandazwecken einsetzten. Für mich sind solche Kommentare ein Beleg dafür, dass etwas falsch läuft beim Umgang mit der NS-Vergangenheit. Dafür verantwortlich sind nicht die Kunden ("Rezensenten") bei Amazon, sondern die Anbieter, die solche Sachen ohne Warnhinweis und historische Einordnung auf den Markt bringen und die Rechteinhaber, die so etwas zulassen. Das ist nicht als Aufforderung zu verstehen, jetzt auch noch diesen Film auf die Vorbehaltsliste zu setzen. Vielmehr zeigt sich an dem Beispiel wieder einmal, wie unsinnig diese Verbieterei ist.

Weil es so schön einfach ist, haben wir uns angewöhnt, die NS-Propaganda an sofort ins Auge springenden Symbolen wie dem Hakenkreuz festzumachen, und inhaltlich an Themen wie der Euthanasie (Ich klage an!), an der Bekämpfung der "jüdischen Weltverschwörung" (Die Rothschilds, Jud Süß) oder an Kriegshandlungen (die Filme von Karl Ritter). Die Hakenkreuze, falls vorhanden, kann man entfernen. Einzelne Szenen auch. Sind die Symbole und die Handlungselemente so dominant, dass nach ihrer Entfernung keine nachvollziehbare Geschichte mehr übrig ist, wird der ganze Film verboten. Schon ist die Gefahr gebannt. Das ist die Fiktion, in der wir uns eingerichtet haben. In Der alte und der junge König gab es nie ein Hakenkreuz, es wird nicht Krieg geführt (nur die Armee glorifiziert, die man dafür braucht), und trotzdem war dieses kurz vor Triumph des Willens gestartete Drama über einen "Generationenkonflikt" der erste ganz groß aufgezogene Propagandafilm des Dritten Reichs. Wer die DVD erwirbt, erfährt davon nicht das Geringste. Etwa zwölf Minuten sind entfernt. Auf die Nazi-Botschaft hatte das keinen Einfluss, sie ist intakt geblieben. Freigegeben ab 12 Jahren.

Träume der Jugend

Auf der DVD enthalten ist das Werbematerial der Donau-Film. Offenbar war der Verleih so damit beschäftigt, alte Propagandatexte zu sampeln, dass man sich nicht auch noch um den korrekten Namen des Regisseurs kümmern konnte (Hans Steinhoff hieß der Mann, nicht Fritz wie der junge König, der Preußen groß machte). Interessant ist der Trailer, der damals im Kino lief. Die Donau-Film entschied sich, wie später der Jannings-Biograph Frank Noack, für die Franklin-Taktik, also die Vorwärtsverteidigung mit gleichzeitiger Einnebelung. Darum gibt es einleitend einen Text zu lesen: "Wir glauben, dass man diesen Film trotz aller Diskussionen zeigen muss, denn …." Aha. Diskussionen gibt es also. Worüber? Es muss mit Adolf Hitler zu tun haben, den man jetzt gleich sehen wird, als den einzigen Bösen unter lauter Guten (Friedrich Wilhelm I., Friedrich der Große, Bismarck, Kaiser Wilhelm I., Kaiser Wilhelm II.). Damit wäre schon mal geklärt, dass das Dritte Reich ein "Unfall" der deutschen Geschichte und Hitler allein schuld war (weshalb alle anderen nichts dafür konnten).

Trailer Donau Film

Eine Stimme aus dem Off fährt fort: "… unlösbar ist jedes Volk mit seiner Geschichte verbunden. Ob wir die Vergangenheit lieben oder hassen, ob wir die Männer, die Geschichte machen, Verbrecher oder Helden nennen: ihre Taten gestalteten auch unser Leben, und deshalb sollten wir uns nicht nur der Verbrechen des einen, sondern auch des Guten bei anderen bewusst sein. Einer aus der langen Reihe der deutschen Geschichte war Friedrich Wilhelm I. Sein Schicksal war nicht nur ein politisches. Sein Leben ist vor allem überschattet von einem ewig gültigen Problem - der Kluft, die sich immer zwischen der Welt der Väter und den Träumen der Jugend auftun wird. Dieser Gegensatz, der ewige Konflikt zwischen Vätern und Söhnen, hebt diesen Film über alle Diskussionen um diese Periode deutscher Geschichte hinaus."

Als Beitrag zur Bewältigung einer unerwünschten Vergangenheit (die Jahre von 1933 bis 1945) ist das sehr gelungen. Bevor man erfährt, worüber diskutiert wird, erklärt die Stimme aus dem Off alle Diskussionen für überflüssig, weil dieser im Dritten Reich produzierte Film mit Hitler und den Nazis nichts zu tun hat, sondern ausschließlich mit einer ganz anderen Periode der deutschen Geschichte, nämlich dem Preußen vor 200 Jahren. "Hart und untendenziös", führt der Sprecher weiter aus. "Ein Stück unserer großen wechselvollen Vergangenheit. Deutsche Geschichte, in der sich immerwährende Probleme spiegeln - das ist dieser Film, dem der große unvergessene Emil Jannings in seiner größten und besten Rolle den Stempel des Außergewöhnlichen gab." Große Geschichte, großer Jannings, größte Rolle: Da ist es nur logisch, dass Werner Hinz am Ende des Trailers, als Friedrich der Große, visionär in eine große Zukunft blickt. Zuvor müssen noch die preußischen Generale den Saal mit dem sterbenden Soldatenkönig betreten, weil man seit Anton von Werners Gemälde zur Kaiserproklamation im Spiegelsaal von Versailles etwas in der Art erwartet, mit Kaisern und Königen und Uniformen, wenn ein großer Moment der deutschen Geschichte zu feiern ist.

Der Cutter, der diesen Trailer montieren musste, tut mir leid. Erst kommt das Hitlerphoto (Motto: "Wir stellen uns der Vergangenheit …"), dann soll man den Führer ganz schnell vergessen ("… jetzt aber nicht."), und am Ende, in dieser verflixten Saalszene mit den Königen und Generalen, hebt Jannings den Arm zum deutschen Gruß. Das ging natürlich gar nicht. Also musste vorher geschnitten werden. Im Trailer sieht man Hinz und die Generale und den Kopf einer mysteriösen Gestalt (Jannings von hinten, in seinem Sterbesessel), die sich gerade aufzurichten scheint, als die Szene abrupt abbricht. Das schaut richtig blöd aus, war aber nicht zu vermeiden, wenn man einen Trailer ohne Führergruß haben wollte. Wer glaubt, dass das mit dem erhobenen Arm eine Überinterpretation ist: der Cutter sah es garantiert anders.

Preußische Ideale

Nicht alle ließen sich davon überzeugen, dass die Donau-Film mit Der alte und der junge König ein Werk über den zeitlosen Konflikt zwischen Vätern und Söhnen zurück in die Kinos brachte. Der bundesweit diskutierte Skandal rund um die mehrtätige Geburtstagsfeier für den alemannischen Heimatdichter und multiplen Ehrenbürger Hermann Burte im Februar 1959 hatte eine kritische Öffentlichkeit dafür sensibilisiert, dass beim Umgang mit den braunen Hinterlassenschaften seltsame Dinge geschahen. Das Erregungspotential bei Der alte und der junge König war allerdings geringer. Der Verleih hatte kein Geld, um eine dieser pompösen Galavorstellungen mit friderizianischen Uniformen und Live-Musik zu veranstalten, mit denen man den Film im Dritten Reich gefeiert hatte und zu der man jetzt, in der BRD, den Bundeskanzler, den Ministerpräsidenten oder wenigstens den Verteidigungsminister hätte einladen können. Werner Hinz war immer mal wieder auf der Leinwand zu sehen (1959 als Familienoberhaupt in Die Buddenbrooks), aber mehr ein Theater- als ein Filmstar und deshalb nicht so bekannt (trotz eines beträchtlichen Propagandaanteils in seiner Filmographie erhielt er 1949, als Mitglied des Berliner Ensembles, den Nationalpreis der DDR). Eine Geburtstagsfeier für Emil Jannings, die Fragen nach seiner Rolle im Dritten Reich aufgeworfen hätte, konnte es nicht geben, weil er 1950 gestorben war.

Hans Steinhoff war ebenfalls lange tot. Aber Steinhoff war der Regisseur von Hitlerjunge Quex. Die Sorge, dass auch dieser Film bald wieder freigegeben werden könnte, veranlasste den Kritiker der Münchner Abendzeitung (7.7.1959) zum Appell an die FSK, sich auf ihre Richtlinien zu besinnen (Absatz A II, 1 b: "Es soll kein Film hergestellt, verliehen und öffentlich vorgeführt werden, der [...] Themen, Handlungen oder Situationen darstellt, die geeignet sind [...] nationalsozialistische, militaristische, imperialistische, nationalistische und rassenhetzerische Tendenzen zu fördern."). Mehr Resonanz fand ein Beitrag von Hans-Dieter Roos in der Süddeutschen Zeitung ("Preußens Gloria", 5.12.1960). Roos ärgerte sich über den Werbetext des Verleihs ("Filmkunst, die zum überwältigenden Ereignis wird"), den Spruch auf dem Plakat ("Das große historische Meisterwerk!") und die Behauptung im Vorspann, es gehe da um einen Generationenkonflikt. "Was Steinhoff den alten, sterbenden König mitteilen läßt", schrieb er, "- ‚Mach Preußen groß’ -, das wurde 1939, vom illegitimen Erben Hitler in die Tat umgesetzt, überwältigendes Ereignis."

Roos’ Artikel löste nun doch eine Debatte aus, in deren Verlauf sich die Trägerin der FSK, die Spitzenorganisation der deutschen Filmwirtschaft, genötigt sah, ihren Kontrolleuren beizuspringen. Die SPIO teilte also mit, dass die Darstellung des Generationenkonflikts "im wesentlichen den geschichtlichen Tatsachen" entspreche und der Film keine "stimulierende Wirkung in einem gefährlichen nationalistischen Sinne" habe. Eine "einseitige Verherrlichung preußischen Denkens und Wesens" sei nicht feststellbar. Dem mag so sein. Verherrlicht sollte aber der Nationalsozialismus werden und nicht ein preußisches Ideal. Von FSK und SPIO hätte ich mir eigentlich genauere Kenntnisse über die Instrumentalisierung eines irgendwie gearteten, von den Nazis für ihre Zwecke aus historischen Fakten, Erfindungen und Ideologie zusammengesetzten "Preußentums" erwartet. Bedenklich stimmt mich eine Mitteilung der Abteilung für Öffentlichkeitsarbeit der SPIO ("Deutsche Geschichte auf der Leinwand"), die Horst Claus interessanterweise in einer Druckschrift des Bundeswehrverbands von 1961 gefunden hat. Angesichts des "heute in der Bundesrepublik kräftig ins Kraut geschossenen Materialismus und Egoismus", heißt es da, sei es "vielleicht nützlich und begrüßenswert, wenn ein Film aus der geschichtlichen Vergangenheit gezeigt wird, aus der Geschichte Preußens, dessen Lebensstil - neben sicherlich unstreitbaren Schwächen und Mängeln - Sparsamkeit, Ehrlichkeit, Sachlichkeit, Opferbereitschaft und Idealismus beinhaltete. Von nachdenklichen Köpfen hört man heutzutage nicht selten, wie gut und notwendig es wäre, wenn die Menschen sich mehr an diese preußischen Lebensprinzipien der früheren Zeit erinnerten und danach lebten."

Eben. Dumm daran ist nur, dass nicht die alten Preußen Der alte und der junge König gedreht haben. Die "geschichtliche Vergangenheit", aus der dieser Film stammt, ist das Dritte Reich und somit eine eher nicht so glückliche Periode der deutschen Geschichte, die damals, als die SPIO ihren Text verfasste, noch nicht sehr lange zurücklag (was man dem Text durchaus anmerkt). Erst bläst der alte König die Kerzen im Palast aus (Sparsamkeit) und dann das Lebenslicht von Leutnant Katte (zum Wohl des Volkes und wegen den preußischen Prinzipien und ohne Rücksicht auf Gefühle, also: Sachlichkeit), der das freudig begrüßt (Idealismus), weil der König immer recht hat und schon wissen wird, warum es die Sicherheit der Nation verlangt, dass man ihm den Kopf abschlägt (Opferbereitschaft). An diese preußischen Lebensprinzipien erinnert man sich doch immer wieder gern. Damit das mit den "geschichtlichen Tatsachen" stimmt, kann man zur Not ein paar historisch verbürgte Juden mit Hakennase und französischem Akzent finden, die ihr Geld mit Glücksspiel und gezinkten Karten verdienten (Materialismus, Egoismus).

Mir ist nur nicht ganz klar, wohin ein König gehört, der ein von der zuständigen Instanz gefälltes Urteil zerreißt, stattdessen die Todesstrafe verhängt (weil Katte seinen dem Alleinherrscher gegenüber geleisteten Eid gebrochen hat oder weil er schwul ist oder beides) und die französischen Bücher seines Sohnes verbrennt. In die Kategorie "unbestreitbare Schwächen und Mängel"? Nein, das muss doch positiv gemeint sein. Am Schluss nämlich eilt der früher undisziplinierte und sodann, durch leider notwendige erzieherische Maßnahmen (die Enthauptung Kattes), auf den rechten Weg gebrachte Kronprinz zum Vater, um diesem am Sterbebett zu sagen, dass er alles richtig gemacht hat und dass er ihn liebt. So wünscht man sich die Jugend. Darum sorgten die Nazis auch dafür, dass deutsche Kinder ab 10 Jahren den Film zu sehen kriegten. Das war das Alter, in dem Buben in die HJ und Mädchen in den BDM eintraten. Dort wurden Sondervorführungen von Der alte und der junge König organisiert, Indoktrination durch das Führungspersonal inklusive.

Dreck im Kopf

Die FSK war 1958 etwas strenger. Nach dem Willen ihrer Prüfer mussten deutsche Kinder mindestens 12 sein, damit sie den Film sehen durften, in dem der König dem Freund seines Sohnes den Kopf abschlagen lässt, damit der Sohn seine Pflicht gegenüber Volk und Vaterland erkennt und wie der Vater ein guter Herrscher wird. Hier nun die wirklich interessante Frage. Beantworten könnte sie nur die FSK: Was waren das für Leute, die den Film in der noch sehr jungen Bundesrepublik (1958 war sie erst 9) wieder freigaben? Hatten sie als Kinder selbst einer dieser Veranstaltungen beigewohnt, wo der Lehrer, der HJ-Führer, die BDM-Führerin oder sonst ein Referent erklärte, warum der Diktator ein gütiger und gerechter, wenn vielleicht auch manchmal strenger Herrscher ist? 1944 gab das britische Außenministerium eine Gebrauchsanweisung für Deutschland heraus (Instructions for British Servicemen in Germany), zu verteilen an die künftigen Besatzungstruppen. "Indem man die Köpfe der Kinder mit Naziideen vollstopfte und andere Ideen von ihnen fernhielt", heißt es da, "hoffte Hitler, eine Roboterrasse ganz nach seinem Herzen heranzüchten zu können. Derzeit können wir noch nicht beurteilen, inwieweit dieser unmenschliche Plan erfolgreich war." Im Nachkriegsdeutschland herrschte kein gesteigertes Interesse daran, der Sache genauer auf den Grund zu gehen.

Oder waren - die wahrscheinlichere Variante - die Prüfer der FSK schon etwas älter? Waren das Leute, die ihre Karriere - sagen wir: im Schuldienst oder im Justizsystem oder bei den Kirchen (Empfehlung des Katholischen Filmdiensts: "für die alte Generation ein elegisches Wiedersehen, für die junge ein Anlass betroffen-ehrfürchtigen Staunens") - im Dritten Reich begonnen und in der BRD zügig fortgesetzt hatten? Da, und nicht mit Verboten und Vorbehaltslisten, sollte man anfangen, wenn man tatsächlich an der Gefahr interessiert ist, die von der NS-Propaganda ausgeht. Was wurde nach 1945 aus dem Dreck, den die Nationalsozialisten den deutschen Volksgenossen, den Kindern wie den Erwachsenen, eingetrichtert hatten? Natürlich kann man fragen, ob heute noch einer zum Nazi wird, wenn er Der alte und der junge König sieht (oder einen von den Filmen, die verboten sind). Ich finde es viel spannender, was das Publikum des Dritten Reichs im Kino (oder im Vorführsaal der Schule) lernte, was sich in den Köpfen ablagerte und was davon in den Jahrzehnten nach 1945 an die folgenden Generationen weitergegeben wurde.

Davon unabhängig gilt die Regel: Vorsicht vor Funktionären, die in Gremien zusammenkommen, um uns vor Filmen zu schützen. Das macht man lieber selbst, auch im Interesse seiner Kinder. Der beste Schutz gegen braunes Gedankengut ist nach wie vor: Bildung, der Erwerb von Medienkompetenz (gar nicht so schwer), die Verteidigung der Informationsfreiheit. Als Erwachsener sollte man wissen, was die Oma und der Opa damals im Kino sahen, statt es wegzusperren. In diesem Sinne geht es demnächst weiter - dann mit einem Film, in dem Emil Jannings den Tuberkelbazillus entdeckt und nachweist, dass der Feind des deutschen Volkskörpers von außen kommt. Uraufführung war am 26. September 1939. Am 1. September hatte Hitler die Wehrmacht in Polen einmarschieren lassen, um den Feind da zu bekämpfen, wo die Nazis ihn lokalisiert hatten: im Ausland. Robert Koch, der Bekämpfer des Todes ist noch gruseliger als Der alte und der junge König und wieder von Hans Steinhoff. Die FSK hat ihn für Kinder ab 6 Jahren freigegeben.

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