Emil und die Nazis: Geschichte einer Verstrickung

Ohm Krüger

Das Dritte Reich im Selbstversuch (17): Der alte und der junge König - Teil 1

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Das Dritte Reich hat zwei mit Prädikaten bedachte Filme hervorgebracht, die im Abstand von sechs Jahren entstanden, starke Ähnlichkeiten miteinander aufweisen und Paradebeispiele für die NS-Propaganda sind. Beide Filme tarnen die politische Botschaft durch einen Vater-Sohn-Konflikt. Die Kino- und Theaterlegende Emil Jannings spielt jeweils den Vater, Werner Hinz - im Dritten Reich und auch später in der DDR und der BRD ein Bühnenstar - den Sohn. Regisseur war in beiden Fällen Hans Steinhoff, der zuvor schon Hitlerjunge Quex inszeniert hatte. Der eine der beiden Filme, Ohm Krüger, darf in der Bundesrepublik Deutschland nicht öffentlich gezeigt werden. Der andere heißt Der alte und der junge König, ist von der FSK ab 12 Jahren freigegeben und steht als DVD in vielen Gemeindebüchereien bereit, damit ihn die Kinder ausleihen und etwas über den Generationenkonflikt erfahren können. Lernen lässt sich daraus auch, warum man anderen Leuten hin und wieder den Kopf abschlagen muss. Die dritte Zusammenarbeit von Jannings und Steinhoff - Robert Koch, der Bekämpfer des Todes - ist vielleicht der schlimmste von den dreien und ab 6 Jahren freigegeben. Niemand scheint in der Lage zu sein, einem zu erklären, warum ein Film verboten ist und zwei nicht. Ein dreifaches Hurra auf den verantwortungsbewussten Umgang mit der NS-Vergangenheit und auf den Jugendschutz. Hurra! Hurra! Hurra!

Einleitend darf ich mitteilen, dass ich inzwischen alle auf den einschlägigen Listen mit den Vorbehaltsfilmen verzeichneten Nazischinken mindestens einmal gesehen habe. Hitler, Goebbels und Konsorten sind mir nach dieser Erfahrung nicht sympathischer geworden. Eher finde ich die Herren und das durch sie repräsentierte System noch widerlicher als zuvor. Diese Filme sind Zeitkapseln aus einer Vergangenheit, die einem durch sie unverstellter gegenübertritt als durch so manche, mehrfach überarbeitete Erinnerung von Zeitzeugen aus Fleisch und Blut, mit denen das Fernsehen seine bei Murnau-Stiftung und Bundesfilmarchiv eingekauften Schnipselrevuen auffüllt (der obligatorische Ausschnitt aus Jud Süß, ein paar Kriegsbilder aus der Wochenschau, Hitler in Farbe auf dem Obersalzberg oder sonst irgendwo, dazwischen erzählt ein Opa, wie das damals in Russland war). Braun angelaufen bin ich nicht, weil ich mich Hitlerjunge Quex, Jakko, Der Stammbaum des Dr. Pistorius, Stukas oder Venus vor Gericht ausgesetzt habe. Es hätte mich auch sehr gewundert, wenn es anders gekommen wäre.

Nazigift

Vor zweieinhalb Jahren erschien in der Welt ein Artikel, in dem Hanns-Georg Rodek anregt, endlich eine Strategie zum Umgang mit den NS-Propagandafilmen zu entwickeln, statt die Zensur durch ein dubioses Instrumentieren des Urheberrechts zu ersetzen und sich so vor einer notwendigen Debatte zu drücken. Überschrift: "Wie viel Gift steckt noch in den Vorbehaltsfilmen?" Interessanter ist die Frage, die sich daraus ergibt: Wie wirkt das Gift, das in den Vorbehaltsfilmen steckt? Antwort: Es hängt von der Dosierung ab, ob etwas schädlich oder heilsam ist (vgl. das Prinzip der Schutzimpfung). Antisemitische, anti-englische, anti-russische Ressentiments, in kleinen Mengen genossen, werden eine andere Wirkung haben als dieselben Ressentiments in hohen Dosen. Mich erschreckt nach wie vor, wie viel Hass und Negativität in diesen Nazifilmen enthalten ist. Vermutlich wäre das ganz anders, wenn ich in einer Gesellschaft leben würde, die den Hass zur Staatsraison erklärt hat, mit gleichgeschalteten Medien, die ihn tagtäglich verbreiten und ohne die Möglichkeit, Informationen einzuholen, deren Veröffentlichung der Propagandaminister verboten hat. In einem solchen Staat lebe ich aber nicht. Bald 70 Jahre nach Kriegsende, in einer demokratischen Gesellschaft mit Informationsfreiheit, wird die Wirkung eines alten Hetzfilms der Nazis notwendigerweise eine völlig andere sein als im längst untergegangenen Dritten Reich - wobei wir nur wenig darüber wissen, wie diese Wirkung damals tatsächlich war. Allzu leicht verlassen wir uns dabei, in Ermangelung anderer Quellen, auf Zuschauerzahlen, die Tagebucheintragungen von Joseph Goebbels und die interessengesteuerten Spitzelberichte der SS.

Aufklärung über die bis heute andauernde, die Wegsperr-Reflexe der Murnau-Stiftung rechtfertigende Gefährlichkeit von Pour le Mérite, Togger, Kameraden auf See etc. hatte ich mir von Verbotene Filme erhofft, Felix Moellers Dokumentation über die Vorbehaltsfilme, die Anfang des Jahres in einigen Programmkinos lief. Außer Bekundungen eines vagen Unwohlseins: Wieder einmal Fehlanzeige. Mehr über Moellers Doku, wenn die DVD erschienen ist. In dieser Reihe ausnahmsweise über etwas schreiben zu dürfen, das für interessierte Leser frei zugänglich ist, weil es keiner verboten hat ist ein Luxus, auf den ich ungern verzichten möchte. Hier sei vorerst nur eine Reaktion Margarethe von Trottas erwähnt. Moeller hat sie nach einer Vorführung von Ohm Krüger interviewt, und sie zeigt sich schockiert darüber, dass sich auch Emil Jannings, der große Schauspieler aus The Last Command, für die Nazi-Propaganda hergab.

The Last Command

Das erlebt man oft. Man sieht einen dieser Vorbehaltsfilme und ist erstaunt darüber, wer da alles mit dabei ist - vorausgesetzt, man kann sich noch an die Publikumslieblinge von gestern erinnern, mit denen das Fernsehen früher große Teile des Programms bestückte. Ich durfte mir solche Sachen mit nach dem Krieg erteilter FSK-Freigabe regelmäßig anschauen, weil sie nachmittags ausgestrahlt wurden und meine Eltern gelernt hatten, dass das unbedenkliche, für Kinder geeignete Unterhaltung aus der "guten alten Zeit" war (einer Zeit, die in einem Paralleluniversum stattgefunden hatte, während anderswo verfolgt, Krieg geführt und gestorben wurde). Moellers Doku verdanke ich die Erkenntnis, dass sich die Reaktion meiner Eltern gar nicht so sehr von der seiner Mutter, der renommierten Regisseurin, unterscheidet. Schockiert über Jannings’ Mitwirkung in einem NS-Propagandafilm konnte Margarethe von Trotta eigentlich nur sein, wenn sie davon ausgegangen war, dass es hierzulande eine durchdachte, überzeugend zu begründende Trennung zwischen Vorbehalts- und anderen Filmen gibt und die übrigen Jannings-Werke keine NS-Ideologie verbreiten, weil sie nicht verboten sind.

Die von Institutionen wie der Murnau-Stiftung seit Jahrzehnten gepflegte Strategie zur Diskussionsvermeidung hat es uns ermöglicht, uns in einer Illusion einzurichten, die lautet: Filme auf der Vorbehaltsliste = NS-Propaganda; von der FSK zur kommerziellen Verwertung freigegebene Filme = keine (oder nur sehr geringe) NS-Propaganda. Das ist grober Unfug. "Wir sollten die Liste mit dem Selbstbewusstsein einer gewachsenen Demokratie durchkämmen und prüfen, wie viel Gift wirklich noch in ihr steckt", schreibt Rodek in der Welt. Da hat er Recht. Aber das kann nur der Anfang sein. Mindestens so wichtig wäre es, die Filme, die keiner verboten hat, auf ihren Giftanteil zu untersuchen, statt sich darauf zu verlassen, dass die FSK und Rechteinhaber wie die Murnau-Stiftung schon irgendwie wissen werden, was sie tun.

Ich setze kein Vertrauen in FSK-Bewertungen und Verbotslisten, möchte daher auf meiner Erkundungsreise durch das NS-Propagandakino vom vorgesehenen Kurs abweichen und zunächst zwei andere Werke des enorm erfolgreichen Duos Jannings/Steinhoff vorstellen, ehe ich zu Ohm Krüger komme, dem einzigen Vorbehaltsfilm in der Trilogie über große Männer. Das ist auch als Service für all jene zu verstehen, die sich gern selbst ein Bild von der nationalsozialistischen Propaganda machen wollen, ohne auf verwaschene Videokopien bei Youtube oder dubiose Anbieter aus dem Ausland angewiesen zu sein. Spielfilme mit einem gehörigen Maß an NS-Ideologie und einer klaren Botschaft kann man in ganz normalen DVD-Editionen kaufen. Antisemitismus, Rassismus, Euthanasie, Militarismus, Anti-Englisches aus der Indoktrinierungsfabrik des Dr. Goebbels: alles leicht auf dem Markt zu finden und zugänglich für kleine Kinder.

Kampf für die deutsche Kultur

Ich muss gestehen, dass ich noch nie ein Fan von Emil Jannings gewesen bin. Gut möglich, dass er im Theater grandios war. Ich habe ihn dort nie gesehen, weil er lange vor meiner Geburt gestorben ist. Für mich war Jannings immer einer jener Knattermimen, denen der Wechsel von der Bühne zum Film nicht recht gelingen will, weil sie auch vor der Kamera agieren, als müssten sie die hinteren Ränge eines Theaters mit Guckkastenbühne erreichen. Am besten war er bei Murnau (Der letzte Mann; Tartüff) und Sternberg (erster Darsteller-Oscar überhaupt, für The Last Command; Der blaue Engel), die es verstanden, seine Schwächen in Stärken zu verwandeln und ihn perfekt besetzten. Als Popanz, der auf dem hohen Ross sitzt und dann herunterfällt, ist er so eindrucksvoll wie anrührend, ganz ohne das übliche Gepolter. Sonst geht allzu häufig der Großschauspieler mit ihm durch, der als Monument der Bühnenkunst seine Dialoge spricht, gestikuliert und von hier nach da schreitet. Das NS-Patriarchenkino beförderte seinen Hang zur Übertreibung, weil seinen Rollen dadurch stets etwas vermeintlich Großes und Erhabenes anhaftete, ganz gleich, ob er einen König, einen Dorfrichter, einen Stahlwerksbesitzer oder einen Helden der medizinischen Forschung spielte.

Tartüff

Letzteres tat er als Robert Koch. Jannings besiegt als "Bekämpfer des Todes" die Tuberkulose und ist einer dieser großen Deutschen, die große Dinge tun, weil sie große Führerfiguren sind. Im NS-Kino gab es davon reichlich, und wenn die Film-Führer beim Führen keine Soldaten in die Schlacht geschickt hatten, durften sie es im deutschen Kino der Nachkriegszeit bald wieder tun. Auch bei Robert Koch, der Bekämpfer des Todes war Hans Steinhoff der Regisseur. Von allen Filmschaffenden des Dritten Reichs hat nur Veit Harlan einen noch schlechteren Ruf als er. Filmhistoriker, Kritiker und solche, die sich dafür halten, machen meist kurzen Prozess mit ihm. Steinhoff war demnach ein überzeugter Parteigenosse und glühender Hitler-Verehrer und gleichzeitig ein gewissenloser Opportunist, der mit Propagandafilmen Karriere machte und 1945 von Kampffliegern abgeschossen wurde, als er versuchte, mit der letzten Maschine nach Madrid zu entkommen. Ganz so einfach war es aber nicht. Wer mehr erfahren will als die üblichen Klischees lese Filmen für Hitler, die Biographie von Horst Claus. Ein gutes Buch. Claus hat recherchiert, statt ungeprüft von anderen abzuschreiben (auch die Flucht nach Spanien ist nur eine Anekdote wie so vieles, das wir über das Kino des Dritten Reichs zu wissen glauben).

Der letzte Mann

Steinhoff, ein vielseitiger Autodidakt, kam vom Theater und drehte seit 1921 Filme, war also recht erfahren, als er 1933 bei Hitlerjunge Quex eher zufällig auf dem Regiestuhl landete. Gemessen an dem, was man bei uns nur in geschlossenen Veranstaltungen mit Referent sehen darf, ist Hitlerjunge Quex ein überdurchschnittlicher, sehr gut gemachter Propagandafilm. Danach stieg Steinhoff zu einem der Starregisseure des Dritten Reichs auf. Oft wird er als uninspirierter Handwerker abqualifiziert, der seinen Erfolg nur der Kumpanei mit den Nazi-Bonzen und der Protektion durch die von diesen gelenkten Medien verdankte. Seine Filme sind aber durchaus sehenswert. Steinhoff war ein Perfektionist und hatte einen Sinn für den Zusammenhalt von Form und Inhalt. Bei ihm tauchen immer wieder interessante Kamerafahrten, Schnittfolgen und Bildkompositionen auf, die man so nicht erwartet hätte. Sehenswert können auch Filme sein, deren Ideologie man ablehnt (und umgekehrt). Von Kindern würde ich einige von ihnen fernhalten.

Der wirkliche Durchbruch gelang Steinhoff nicht mit Hitlerjunge Quex, sondern zwei Jahre später mit Der alte und der junge König. Jannings spielt den "Soldatenkönig" Friedrich Wilhelm I. von Preußen, der Probleme mit dem rebellischen Kronprinzen hat und sich abmüht, aus seinem Sohn den Mann zu machen, der die schwere Aufgabe des Königs von ihm übernehmen kann und aus dem dann Friedrich der Große wurde. Im Vater des "alten Fritz" hatten die Faschisten schon vor der Machtübernahme 1933 den "ersten Nationalsozialisten" entdeckt. Als solchen bezeichnete ihn auch Steinhoff, als der Film fertig war. Der alte und der junge König war der erste Spielfilm der Deka und wurde vom NDLS verliehen. Das klingt obskur und irgendwie harmlos, war es aber nicht. Die Deutsche Kampffilm GmbH (Deka) hatte bisher Propagandastreifen, braun eingefärbte Reportagen und "Kulturfilme" (auch Propaganda) für den Kampfbund für deutsche Kultur des NS-Vordenkers Alfred Rosenberg produziert.

Das Geld für den Film mit den zwei Königen kam überwiegend von der Partei, zum Beispiel von den Gau-Filmstellen der NSDAP und aus Mitteln des Propagandaministeriums. Der Verleih wurde von Nationalsozialisten kontrolliert. Das Deutsche Lichtspiel-Syndikat (DLS), ursprünglich eine Aktiengesellschaft, war 1928 als "Vereinigung der freien Lichtspieltheaterbesitzer" gegründet worden. Die Idee: Unabhängige Kinobetreiber, die sich von der übermächtigen Ufa nicht länger die Preise diktieren lassen wollten, produzierten auf genossenschaftlicher Grundlage selbst Filme. Wer Anteile zeichnete, konnte die zu zahlende Summe abstottern und erhielt die Filme zu einer reduzierten Leihmiete. Sehr tragfähig war das Modell nicht. Die Unterfinanzierung des Unternehmens wurde dadurch noch verschlimmert, dass es fast unmöglich war, unter den vielen Anteilseignern zu gemeinsamen Beschlüssen zu kommen. 1929 gab es die erste Krise, 1932 brach das DLS zusammen, um bald darauf als Neues Deutsches Lichtspiel-Syndikat wiederbelebt zu werden.

Auch das von NSDAP-Mitgliedern gelenkte NDLS konnte als unabhängiges Unternehmen schwer bestehen und lehnte sich an die Tobis an, den zweitgrößten Filmkonzern nach der Ufa (1934 begann Goebbels hinter den Kulissen damit, den Konzern Stück für Stück in Staatseigentum zu überführen und die Schlüsselpositionen mit seinen Leuten zu besetzen). Um Marktanteile zu erobern, musste das NDLS auf sich aufmerksam machen. Das gelang mit der Verpflichtung von Emil Jannings, der den Friedrich Wilhelm schon länger hatte spielen wollen und hoffte, mit der Rolle seine ein wenig vor sich hindümpelnde Filmkarriere wieder in Schwung zu bringen. Das gelang. Damals überwiegend auf der Bühne zu sehen, wurde Jannings nun auch auf der Leinwand zu einem der Superstars des Dritten Reichs. Als sein Ziehsohn wurde nach längerer Suche der weitgehend unbekannte Werner Hinz besetzt, den Steinhoff am Staatstheater Hamburg entdeckte. Hinz wirkte danach in diversen Filmen mit, vor allem aber brachte die erste Kinorolle seine Theaterkarriere in Schwung. Er stieg zu einem der führenden Heldendarsteller der deutschen Bühne auf. (Einer seiner Söhne, Knut, spielt den Hajo Scholz in der Lindenstraße.)

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