Emil und die Nazis: Geschichte einer Verstrickung

Seite 3: Invasion des Körperfressers

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Nach diesem Ausflug in die bundesrepublikanische Art der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit abseits der Filmverbote wird es höchste Zeit, zu Jannings und Steinhoff zurückzukehren - wobei wir sie im Grunde nie verlassen haben. Übergeordnetes Thema ist und bleibt die Erziehung der jungen Leute, auf dass Deutschland eine große Zukunft habe. Burtes Stück Katte und Hitlerjunge Quex lassen sich gut vergleichen, weil es in beiden Fällen um die Hingabe an eine Idee und den "Opfergeist der deutschen Jugend" (Untertitel Quex) geht. Der Leutnant stirbt für die im Dritten Reich gefeierte Variante des Preußentums, Heini von der HJ für den Nationalsozialismus. Steinhoff und sein Freund Karl Ritter, der Vorbehaltsfilm-Rekordhalter unter den Regisseuren (und Produzent von Quex), versuchten 1931 und 1932, einen Film über die Freundschaft zwischen Katte und Kronprinz Friedrich zu drehen (keine Adaption von Burtes Schauspiel, aber wohl im selben Geist, wenn man die anderen Werke dieser Herren zugrunde legt, und im Wissen um das oft gespielte Katte-Stück, das die Erinnerung an den Stoff wach hielt und mit jeder Aufführung erneut bewies, dass es ein Publikum dafür gab).

Beide Anläufe scheiterten, weil die jeweils produzierende Firma Pleite ging. Ritter schlug das Projekt dann Ernst-Hugo Correll vor, dem Produktionschef der Ufa, der es im Oktober 1933 dem Vorstand präsentierte. Der Katte-Film wurde vorläufig abgelehnt, jedoch nicht ganz verworfen. Mag sein, dass der Vorstand erst abwarten wollte, wie sich Hitlerjunge Quex entwickeln würde, der im Monat davor Premiere gehabt hatte und mit dem sich der Konzern den neuen Machthabern anzudienen versuchte. Die Münchner Emelka kündigte 1932 den Film "Des Königs Grenadiere" an, mit Emil Jannings als Friedrich Wilhelm I. Auch dieses Projekt scheiterte, weil die Firma in Konkurs ging. Mit Der alte und der junge König fielen beide Filmideen zusammen.

Der alte und der junge König

Auf meiner persönlichen Liste mit den gruseligsten Filmen des Dritten Reichs steht Der alte und der junge König ganz weit oben. Man wohnt der Verwandlung des jungen Kronprinzen in ein Pflicht- und Disziplin-Monster bei, das am Ende bereit ist, Preußen "groß" zu machen (so wie Hitler Deutschland). Dafür braucht es offenbar eine unbarmherzige Härte, die auch Hitler gern für sich in Anspruch nahm, wenn er wieder etwas tun musste, weil das Staatswohl - hieß es - dies verlangte. Das Gruselige daran ist, dass der Film die Umwandlung des jugendlichen, mit allzu menschlichen Schwächen ausgestatteten Freund der Musen in ein monströses Feldherrn- und Herrscherwesen, das nicht einmal mehr blinzeln muss (man beachte die Schlusseinstellung), als etwas Erstrebenswertes verkauft und ein Millionenpublikum fand (oder über die Hitlerjugend zugeführt bekam), das die vergiftete Botschaft schluckte wie eine süße Medizin. Eine der zentralen Szenen ist die Hinrichtung Kattes, der zuvor Gelegenheit erhielt, Dialoge über die Pflicht und das Soldatische zu sprechen und nun, im Reinen mit sich und seinem König, in den Tod geht wie ein Märtyrer, der mit Freuden stirbt, weil dieses Opfer für die Verbreitung des rechten Glaubens unabdingbar ist. So sieht es auch der Film. Der Henker schlägt dem Leutnant den Kopf ab, Katte stirbt für das große Ganze und die Staatsraison, Fritz sieht hysterisch schreiend von seiner Zelle aus dabei zu und beugt sich anschließend der "Unerbittlichkeit der Pflicht gegenüber dem Staat, den er dann zu seiner Größe führen sollte", wie der Schwäbische Merkur (31.1.1935) es - im Einklang mit der vom Propagandaministerium gewünschten Botschaft - formulierte. (Auf der DVD verliert Katte schon vor der Enthauptung ein Stück des Kopfs, und auch anderen Figuren wird gelegentlich die Schädeldecke abrasiert, weil beim Transfer das Bildformat nicht berücksichtigt wurde oder man nur eine alte Videokopie zur Verfügung hatte.)

Der alte und der junge König

Heinrich Himmler müsste das gut gefallen haben. Katte, zuvor mit Sachen wie dem Flötenspiel oder Tändeleien mit Fritzens Schwester Wilhelmine beschäftigt, wird nach seiner Verhaftung zum mönchisch wirkenden Asketen (Claus Clausen, der auf Fanatiker spezialisierte Darsteller des Bannführers Kass in Hitlerjunge Quex, war da in seinem Element). Himmlers Idealvorstellung von einem SS-Mann, den er sich als Mitglied eines elitären Germanenordens dachte, kommt das sehr nahe. Einziger Schönheitsfehler: Katte hat es versäumt, vor der Hinrichtung ein paar Frauen zu schwängern und für den Nachwuchs an Germanen zu sorgen, den man dringend brauchen würde, um den Osten zu kolonisieren (dem Reichsführer-SS würde das zunehmend Sorge bereiten, als mit dem Überfall auf Polen die Eroberungskriege begannen; die Fortpflanzungsresultate seiner Ordensangehörigen lagen unter dem deutschen Durchschnitt). Der Film hält dafür seine eigene Lösung parat.

Der alte und der junge König

Nach der Unterwerfung unter den königlichen Willen wird der Kronprinz aus der Festungshaft entlassen und zur Bewährung in die Überschwemmungsgebiete an der Oder geschickt. Dort legt er große Flächen trocken und gewinnt neues Ackerland. Einmal kriegt Fritz Besuch von seinem Vater. Der König ist merklich gealtert. Es ist die erste Begegnung seit Kattes Hinrichtung. Das Verhältnis ist sehr distanziert, worunter der Vater mehr leidet als der Sohn, der von nun an keine Gefühle mehr zeigt (falls er noch welche hat). "Majestät", sagt der Kronprinz. "Als Sie das Todesurteil an meinem Freunde, dem Leutnant von Katte, vollstrecken ließen, da glaubten Sie, mir Katte genommen zu haben. Sie irrten sich. Sein blutiger Schatten hat mich seitdem noch keinen einzigen Tag verlassen. Ich sehe ihn immer vor meinen Augen. Er steht auch jetzt … zwischen Euer Majestät und mir." Man könnte meinen, dass Katte in Fritz eingedrungen ist und in ihm fortlebt wie der im Irrenhaus gestorbene Mabuse in Dr. Baum (in Fritz Langs Das Testament des Dr. Mabuse). Aus Fritz, früher weich und undiszipliniert, ist eine doppelt gehärtete Version von Katte geworden, der als Inkarnation soldatischer Pflichterfüllung gestorben ist. Die Inszenierung von Hans Steinhoff macht aus diesem Horrorszenario eine Jubelfeier zum Ruhm von Nazi-Deutschland und von Preußens Gloria.

Das Testament des Dr. Mabuse

Wahr ist was wirkt

"Nun", erwidert der alte, von der Gicht geplagte König resigniert, "dann wollen wir beide wieder an unsere Arbeit gehen. Das wird für dich und für mich das Beste sein." Eine Aussöhnung gibt es vorerst nicht. Das hätte leicht schiefgehen können. Die angestrebte Botschaft ist nicht: Der allzu strenge, sogar despotische Vater hat den besten Freund seines Sohnes enthaupten lassen und dadurch die Entfremdung von Fritz nur noch verstärkt, und daran ist er selber schuld. Die Botschaft lautet: Der schwer an der Last seines königlichen Amtes tragende Vater musste Katte den Kopf abschlagen lassen, weil es die Staatsraison erforderte. Wenn dadurch die Distanz zu seinem Sohn noch größer wird, muss er auch diese Bürde auf sich nehmen. Persönliche Befindlichkeiten haben zurückzustehen, wenn es um das Wohl des Landes geht. Der Vater weiß das von Anfang an. Der Sohn muss diesen Lernprozess im Film erst noch durchlaufen, und wir mit ihm.

Der alte und der junge König

Die Vermittlung der gewünschten Botschaft gelingt Steinhoff nicht zuletzt deshalb, weil ihm in Emil Jannings und Werner Hinz zwei Könner ihres Faches zur Verfügung standen. Die Konfrontationsszene im Oderland profitiert sehr von Jannings’ besonderer Stärke: dem überzeugenden Übergang vom über andere hinwegtrampelnden, sie an die Wand spielenden Großdarsteller zum verletzlichen, still und nachdenklich gewordenen Menschen. Der Kontrast verstärkt die Wirkung und sichert dem alten König die Sympathie des Publikums. Leute wie Veit Harlan rechtfertigten sich später mit der Erklärung, dass sie nie NS-Propaganda verbreiten wollten, als wahre Künstler aber nicht anders konnten, als ihr Bestes zu geben, wenn sie erst mit an Bord waren. Bei Harlan stieß diese Entlastungsstrategie rasch an ihre Grenzen, weil er Jud Süß inszeniert hatte und damit den NS-Propagandafilm schlechthin. Bei anderen Protagonisten des Kinos der NS-Zeit dagegen ließ sich die Strategie weiterentwickeln - hin zu dem Punkt, wo man einen Unterschied zwischen Kunst und Propaganda machte wie vorher schon zwischen Unterhaltung und Propaganda.

Dahinter steckt die Illusion, man könne einen Trennungsstrich ziehen zwischen der Welt der Kultur auf der einen Seite und der kulturlosen Nazibarbarei auf der anderen. "Das famose Schauspiel eines Emil Jannings, der dem "Soldatenkönig" z. T. eine überraschend sympatische [sic] Note verleit [sic]", schreibt ein Käufer der DVD auf der Webseite von Amazon, "ist ein wirkliches Zeitdokument und hat mit der platten NS-Ideologie späterer Streifen nichts gemein!" Das wird gern geglaubt, ist aber trotzdem (pardon) ein Unsinn. Der Gedanke, die Kunst könne einen Film in eine ideologiefreie Sphäre erheben ist mir mindestens so sympathisch wie der Soldatenkönig. Leider ist es aber so, dass die vom Film transportierte Propaganda umso wirkungsvoller wird, je besser Jannings als der alte König ist. Je menschlicher der König wirkt, desto unmenschlicher die Botschaft, für die er steht. Hinzu kamen eine professionelle PR-Kampagne und gleichgeschaltete Medien, die bereitwillig annahmen und weitergaben, was man ihnen anbot.

Meines Wissens war Der alte und der junge König der erste Film, bei dem die Nazis so gezielt und flächendeckend - durch Vorberichterstattung, begleitende Werbemaßnahmen, Sondervorführungen, Anweisungen an die Presse - dafür sorgten, dass die politische Botschaft beim Publikum ankam wie gewünscht. Die PR-Kampagne ist eine Blaupause für das, was später bei Jud Süß oder Ohm Krüger geschah. Das NDLS lud Multiplikatoren wie Journalisten (dem Direktor des NDLS zufolge 250 aus ganz Deutschland), Lehrer und HJ-Führer zu einem Besuch der Dreharbeiten oder, nach Fertigstellung des Films, von Sondervorführungen mit Diskussion ein, bei denen den Anwesenden eingetrichtert wurde, was sie Lesern, Schülern und der Hitlerjugend erzählen sollten (mehr dazu bei Horst Claus). Weil Propaganda mit dem Holzhammer schlecht funktioniert wurde darauf geachtet, dass die Atelierbesucher etwas vom Generationenkonflikt zwischen Vater und Sohn zu sehen bekamen, oder eine von den Szenen, die darauf angelegt waren, den Soldatenkönig als einen zwar strengen, aber auch sympathischen und bodenständigen Patriarchen erscheinen zu lassen. Das gab der ideologisch extrem aufgeladenen Geschichte den Anstrich des vermeintlich Unpolitischen. Genau so sollte es wirken, wenn die Gäste - allen voran die Journalisten - berichteten, was sie beim Dreh erlebt hatten. Die Art und Weise, wie man einen Film sieht und versteht, hängt nicht unwesentlich von der Erwartungshaltung ab, mit der man ins Kino geht.

Wilhelmine von Bayreuth

Die Figur des Friedrich Wilhelm I. konnte eine Generalüberholung vertragen. Sein Image war mies. Das hatte der König sich selbst zuzuschreiben und auch seiner Tochter Wilhelmine von Bayreuth, deren auf Französisch abgefasste Erinnerungen an eine traumatische Kindheit und Jugend Annette Kolb 1910 in deutscher Übersetzung herausgegeben hatte. Das staunende Publikum erfuhr da viel Schockierendes über die Zustände am preußischen Königshof. Den kulturlosen und despotischen, seine Kinder mit dem Stock prügelnden Militaristen, Säufer und Pfennigfuchser, dem man in den Memoiren seiner Tochter begegnet, möchte man lieber nicht persönlich kennengelernt haben. Wilhelmine, erklärte Jannings dem Reporter der Deutschen Allgemeinen Zeitung (10.11.1934) während der Dreharbeiten, habe ihren Vater schlicht nicht verstanden. Dabei sei es gerade jetzt so wichtig, ihn zu verstehen. Dieser König, das habe er durch intensives Quellenstudium herausgefunden, sei "viel mehr Gutsherr und Hausvater als kriegerischer Herr" gewesen. Das war genau das, was der Film brauchte, um seine Botschaft an die Frau und an den Mann zu bringen. Ob Jannings glaubte, was er da sagte oder nicht, und wie der Soldatenkönig wirklich war, ist dabei völlig unerheblich. "Es war eine bekannte Rede und plump und falsch und unwahr, aber sie wirkte", lässt Burte eine der Figuren in seinem Roman Wiltfeber sagen; "und im Leben, da ist wahr, was wirkt." Das ist nicht die schlechteste Definition von Propaganda.

Unheimlicher Exzess

Bert Brecht, der Kenner der Populärkultur, schrieb 1941 ein Stück, in dem er aus den Nazis eine Gangsterbande machte: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui. Auch Der alte und der junge König bedient sich eines Handlungsmusters des Gangsterfilms, nur unter umgekehrten Vorzeichen. Wenn James Cagney (The Public Enemy) und Paul Muni (Scarface) ihren besten Freund verlieren, ist es der Beginn des Abstiegs. Bald wird nun auch der Gangsterboss eine Leiche sein. Im Film von Steinhoff ist der Verlust des besten Freundes die Voraussetzung für den Aufstieg, für die Verwandlung des liederlichen Kronprinzen in den legendären Preußenkönig. Die Freundschaft muss besonders groß sein, damit auch aus Friedrich ein ganz Großer wird (und aus dem "effeminierten" Thronfolger ein männlich harter König). Andererseits sind die Liebesbekundungen des Leutnant Katte ein Problem. Der Film ist der Schaffung eines großen Königs gewidmet, als dessen Nachfolger sich Hitler inszenierte. Der Führer konnte schlecht am Ende einer - von den Nazis behaupteten - Entwicklungslinie stehen, an deren Anfang der König ein schwules Verhältnis hatte.

Der alte und der junge König

Hier kommt nun Friedrichs Schwester Wilhelmine ins Spiel, der man ohnehin eine nennenswerte Rolle zuweisen musste, weil sie durch die Veröffentlichung ihrer Memoiren sehr bekannt geworden war; sie einfach wegzulassen, wäre taktisch äußerst ungeschickt gewesen. Also wurde die Freundschaft zwischen dem Kronprinzen und dem Leutnant durch Kattes Liebe zur Prinzessin Wilhelmine (Marieluise Claudius) ergänzt. Die Überlieferung wurde dafür etwas aufgehübscht. Es gibt mehrere Gemälde, die angeblich den historischen Hans Hermann von Katte zeigen und auf denen er mal so und mal anders aussieht, aber nie so, wie ihn die von Fontane zitierten Zeitzeugen beschreiben. Diesen Quellen nach war er "hässlich, blatternarbig, mit breiten buschigen Augenbrauen", er wirkte "finster, melancholisch, unheimlich". Wilhelmine attestiert dem ziemlich klein geratenen Freund ihres Bruders "Geist, Belesenheit und Welt", erwähnt in ihren Memoiren aber auch, dass sein Gesicht "mehr abstoßend als einnehmend" gewesen sei, dass sein Blick "etwas Unheimliches" gehabt und "eine dunkle, von den Blattern bezeichnete Hautfarbe […] seine Hässlichkeit" noch vermehrt habe. Außerdem habe er "die Liederlichkeit bis zum Exzess" getrieben: "Viel Ehrgeiz und Keckheit begleiteten dieses Laster."

Der alte und der junge König

Einiges spricht für eine amouröse Affäre zwischen Katte und dem Kronprinzen, nichts für eine solche zwischen ihm und der Prinzessin. Allerdings hatte er sich ein Portrait Wilhelmines in einem Amulett oder einer Dose besorgt, das er gern herumzeigte, um eine intime, nicht vorhandene Beziehung vorzutäuschen und sich auf Kosten der Prinzessin wichtig zu machen. Die Königin fürchtete um den Ruf ihrer Tochter und forderte die Herausgabe des Portraits. Katte erfand Ausreden, warum er es nicht übergeben könne und zeigte das Portrait weiter herum. Das war nicht sehr galant und offenbar das Verhalten eines zur Selbstüberschätzung neigenden Mannes, dem seine Nähe zum acht Jahre jüngeren, in allen Angelegenheiten seinen Rat suchenden Kronprinzen zu Kopf gestiegen war. Steinhoffs Film jedoch braucht dringend eine heterosexuelle Komponente, damit der Zuschauer nicht auf dumme Gedanken kommt, wenn der Leutnant wieder einmal seine Liebe zum jungen Fritz bekundet. Darum hat die Kino-Wilhelmine dem Leutnant das Amulett mit ihrem Portrait geschenkt, als Zeichen einer intimen Beziehung. Der in hoffnungsloser Liebe zur Prinzessin entbrannte Katte trägt es auf seinem Herzen und ist erst in der Stunde seines Todes bereit, sich davon zu trennen. Dramaturgisch ist das Amulett ganz überflüssig und sogar störend, weil es als ein wichtiges Requisit präsentiert wird, ohne eine narrative Funktion zu haben. Es ist nur dafür da, Zweifel an Kattes Heterosexualität zu zerstreuen (und in der Folge an der des Kronprinzen).

Wann ist ein Mann ein Mann?

Zur weiteren Absicherung gibt es den Erbprinzen von Bayreuth, den vom alten König für seine Tochter ausgesuchten Gatten. Die Rolle wurde mit dem aus dem Genre des heiteren Unterhaltungsfilms importierten Georg Alexander besetzt. Mit Alexander als dem Erfinder eines weiblichen Roboters, der singen und tanzen kann, hatte das Duo Steinhoff/Ritter kurz vor Hitlerjunge Quex die ziemlich verrückte (und unterschätzte) Verwechslungskomödie Liebe muss verstanden sein gemacht. Er war ein Publikumsliebling, was dem künftigen Gatten Wilhelmines automatisch einen Bonus verschaffte, wenn ihn die Zuschauer unter der Perücke des Erbprinzen erkannten. Alexander spielt den Bayreuther als eitlen Gecken, der sich parfümiert und nach der neuesten, "unmännlichen" Mode kleidet. Bei seinem ersten Auftritt wird er von Friedrich Wilhelm verdächtigt, sich eine Geschlechtskrankheit geholt zu haben (beim Sex mit Frauen, soll man sich da denken). Dann bewährt er sich beim abendlichen Treffen mit dem König und seinen Saufkumpanen, wo er mit den derben Späßen umzugehen weiß und sich als Schwiegersohn empfiehlt. Ein Mann, soll uns das sagen, kann "effeminiert" wirken, ohne schwul zu sein. Der König höchstpersönlich hat es für uns überprüft. Natürlich gibt es Männer, die mit einer Frau verheiratet sind und trotzdem homosexuell. Das hier ist aber Fiktion und der Erbprinz der Notnagel, an dem der Zuschauer etwaige Zweifel an der Männlichkeit des ebenfalls "effeminierten" Kronprinzen aufhängen soll.

Der alte und der junge König

An diesem Gecken aus Bayreuth zeigt sich, wie schwer es ist, ein gutes Drehbuch zu schreiben. Oft löst man ein Problem, indem man ein neues schafft. Dramaturgisch ist der Erbprinz so überflüssig wie das Medaillon. Er tritt auf, als wäre er für die Handlung wichtig, und dann tritt er wieder ab, weil man ihn für die Geschichte, wie aus einem schwachen und undisziplinierten jungen Mann ein starker Herrscher wurde (nur darum geht es), überhaupt nicht braucht. Verantwortlich für das Drehbuch zeichnen der Lyriker und Dramatiker Rolf Lauckner sowie Thea von Harbou, Ex-Frau von Fritz Lang und eine glühende Verehrerin Adolf Hitlers. Die von Jannings als "Kitschliese" geschmähte Thea von Harbou hatte einen fatalen Hang zum in Gefühlsschwulst verwandelten Expressionismus (ihre Romane erdrückt das fast), aber auch viel Sinn für die Konstruktion einer Geschichte. Das machte sie zu einer nicht nur von Fritz Lang geschätzten Drehbuchautorin.

Der alte und der junge König

Wahrscheinlich war sie es, die bemerkte, dass die Handlung durchhängt, wenn der Erbprinz auftritt. Als solche erkannte und nicht zu beseitigende Konstruktionsfehler werden üblicherweise durch den Dialog vertuscht. Hier ist das auch nicht anders. Allerdings wird zugleich versucht, der Dramaturgie zu ihrem Recht zu verhelfen. Beim Treffen mit den Saufkumpanen hält der Erbprinz eine improvisierte Grabrede auf den Soldatenkönig. Das wirft plötzlich einen Schatten auf die bis dahin heitere (oder wenigstens angeheiterte) Runde und bereitet vor, dass dem Tod noch eine tragende Rolle im Drama um den alten und den jungen König zukommen wird. Darüber hinaus fördert die Außensicht des Redners auf Friedrich Wilhelm die Identifikation mit diesem. Wir, das Publikum, wissen, wie der Monarch "wirklich" ist, weil wir ihn von innen erleben dürfen, im Kreise der Familie. Mit solchen Schmeicheleien - wir und nicht dieser Erbprinz von Bayreuth sitzen mit am königlichen Frühstückstisch - manipuliert man die Zuschauerreaktion. Klappt immer wieder erstaunlich gut.

Mit der Liebe der Soldaten zu ihrem Führer geht es demnächst weiter, in der Geschichte einer Verwicklung zweitem Teil: Emil und der Turm des Königs

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