Energieachse Berlin-Moskau
Die Öl- und Gaskooperation, im Rahmen derer am Donnerstag der Bau der "Ostsee-Pipeline" vereinbart wurde, ist langfristig angelegt und ist wichtiger Bestandteil der strategischen Zusammenarbeit zwischen Berlin und Moskau
Zurückhaltung lag Bundeskanzler Gerhard Schröder am Donnerstag fern. "Das ist schon ein historischer Tag", resümierte er nach seinem Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Im Beisein der beiden hatten die Vorstandschefs der drei Energieriesen Gazprom, Eon und BASF Verträge unterschrieben, mit denen der Bau der so genannten "Ostsee-Pipeline" in die Wege geleitet wird. Dem Projekt wird hohe Bedeutung zugeschrieben - für die strategische Energieversorgung Deutschlands und Europas, aber auch für mögliche Konflikte mit westlichen und östlichen Nachbarländern.
"North European Gas Pipeline Company" heißt das deutsch-russische Gemeinschaftsunternehmen, das die "Nordeuropäische Gasleitung" (NEGP) quer durch die Ostsee bauen wird. Vom russischen Wyborg bis zum deutschen Greifswald soll sich die Röhre rund 1.200 Kilometer durch das Meer ziehen. Mit Kosten von rund 5,7 Milliarden Euro wird gerechnet. Die teilen sich die kooperierenden Unternehmen entsprechend ihren Anteilen an dem vereinbarten Joint Venture. Daran wird der russische Gasmonopolist Gazprom 51 Prozent halten, Europas größter privater Energiekonzern Eon (Düsseldorf) und das weltweit führende Chemieunternehmen BASF (Ludwigshafen) bekommen jeweils 24,5 Prozent.
Gigantisch sind nicht nur die Kosten des Projekts, sondern auch die geplanten Rohstoffströme. Ein erster Leitungsstrang mit einer Transportkapazität von rund 27,5 Milliarden Kubikmetern Erdgas pro Jahr könne im Jahr 2010 in Betrieb genommen werden, ein zweiter Leitungsstrang solle die jährliche Transportkapazität auf rund 55 Milliarden Kubikmeter pro Jahr verdoppeln, heißt es bei den beteiligten Unternehmen. Der deutsche Gasverbrauch liegt derzeit bei rund 90 Milliarden Kubikmetern jährlich. "Deutschland sichert in direkter Partnerschaft mit Russland große Teile seiner Energieversorgung auf Jahrzehnte", befand Bundeskanzler Schröder im Blick auf den vereinbarten Bau der "Ostsee-Pipeline". Die umfassende Erdgas-Kooperation bildet den vorläufigen Gipfel der deutschen Russland-Politik.
Triebkräfte für die Kooperation
Die enge Zusammenarbeit zwischen Berlin und Moskau wird oft der Männerkumpanei zwischen Gerhard Schröder und Wladimir Putin zugeschrieben. Das ist irreführend und vernebelt den Blick auf viel wichtigere Triebkräfte der deutsch-russischen Kooperation.
Schröders Kanzlerschaft begann - daran erinnerte kürzlich der Russland-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), Alexander Rahr - nicht Moskau-freundlich, sondern mit heftigen, durch den Kosovo-Krieg verursachten Spannungen zwischen der Bundesregierung und dem Kreml. Erst später kam die Wende, berichtet Rahr, ein herausragender Kenner der Materie: "(I)m Frühjahr 2000 wurde der neue Kanzler von den führenden Kapitänen der deutschen Wirtschaft nach Russland 'getrieben'".
Starke Interessen in Russland hat insbesondere die deutsche Energiewirtschaft. Moskau kontrolliert rund ein Drittel der weltweit bekannten Erdgasvorkommen, die russische Erdölförderung erreicht fast den Umfang der Produktion Saudi-Arabiens. Eine erste deutsch-russische Energie-Kooperation leitete in den 1960er Jahren das so genannte Erdgas-Röhren-Geschäft ein: Moskau lieferte den Rohstoff und nahm dafür deutsche Industrieprodukte ab. Vor 15 Jahren begann die deutsche BASF die direkte Zusammenarbeit mit dem russischen Monopolisten Gazprom, um Zugriff auf die immensen Energieressourcen des Landes zu bekommen. Im Jahr 1999 gelang schließlich der Durchbruch: Die BASF-Tochter Wintershall (Kassel) erhielt die Aussicht auf Mitarbeit an der Exploration und Förderung von Erdöl und Erdgas in Russland. Wer sich aber an die russischen Rohstoffe heranmachen will, die vom Kreml streng gehütet werden, der tut gut daran, sich politische Unterstützung zu sichern.
Deutsche Unternehmen hatten dabei Erfolg. Die im Jahr 2000 eingeleitete "Männerfreundschaft" zwischen Gerhard Schröder und Wladimir Putin zahlte sich aus, berichtet Russland-Experte Rahr:
Während die USA im Zuge der Jukos-Affäre und des Streits um den Irak-Krieg den Energiedialog und die Antiterrorkoalition mit Russland praktisch beendeten, erwarben deutsche Konzerne auf dem russischen Markt strategische Vorteile.
Zwar umfassen die deutsch-russischen Wirtschaftsbeziehungen weit mehr als den Energiesektor: "Bereits im ersten Halbjahr dieses Jahres hat der Handelsumsatz zwischen unseren beiden Ländern um 50% zugenommen und die Größenordnung von 15 Milliarden Dollar überschritten", erklärte Wladimir Putin in Berlin. Doch besonders die Öl- und Gaskooperation ist langfristig angelegt und hat großen Einfluss auf die strategische Zusammenarbeit zwischen Berlin und Moskau.
Langfristige Strategie
Die Dimensionen erschließen sich etwa am Beispiel des sibirischen Feldes Urengoy. Dort will Wintershall mit einem deutsch-russischen Joint-Venture rund 200 Milliarden Kubikmeter Erdgas und 40 Millionen Tonnen Kondensat fördern - in den kommenden 40 Jahren. Auch das westsibirische Feld Yushno Russkoje werden Wintershall und Gazprom gemeinsam entwickeln. Das dort geförderte Erdgas soll über die von den beiden Unternehmen geplante Nordeuropäische Gasleitung ("Ostsee-Pipeline") nach Deutschland transportiert werden.
Langsam, aber sicher verdichtet sich der Zugriff des deutschen Unternehmens auf die russischen Ressourcen. Mit dabei ist auch die deutsche Eon AG. Sie ist über ihre Tochtergesellschaft Ruhrgas mit 6,4 Prozent an Gazprom beteiligt, Ruhrgas-Chef Burckhard Bergmann sitzt als einziger Westeuropäer im Direktorenrat des Monopolisten.
Den massiven Interessen der Energiekonzerne kann sich selbstverständlich auch die CDU nicht entziehen, zumal Deutschland rund ein Drittel seiner Erdölimporte und etwa 40 Prozent seiner Erdgaseinfuhren aus Russland bezieht. "Letztendlich wird auch die Russland-Politik einer neuen Bundesregierung von nüchternen Realitäten geprägt sein", vermutet DGAP-Fachmann Rahr. Die CDU-Kanzlerkandidatin Angela Merkel befürwortete bereits im Februar vor der Münchner Sicherheitskonferenz eine "strategische Partnerschaft" mit Russland; der CDU-Außenpolitiker Wolfgang Schäuble bestätigte im August in Moskau, dass auch eine CDU-geführte Bundesregierung nur leichte Modifikationen an der deutschen Politik gegenüber dem Kreml vornehmen werde. Gestern hat Merkel hinzugefügt, auch die "Ostsee-Pipeline" stoße bei ihr auf Sympathie.
EU-Pläne
Die Nordeuropäische Gasleitung entspricht nicht nur deutschen Interessen, sie ist darüber hinaus in Strategiepapieren der Europäischen Union fixiert. Dort ist sie gemeinsam mit der Yamal-Pipeline, die über Belarus und Polen führt, zur Versorgung Europas mit russischen Rohstoffen vorgesehen. Um die Lieferungen aus Russland zu sichern, hat Brüssel am 30. Oktober 2000 eigens eine "Energiepartnerschaft" mit Moskau vereinbart. Aus russischen Vorkommen bezog die EU im Jahr 2003 rund 32 Prozent ihres Erdgases und rund 22 Prozent ihres Erdöls. Russland ist damit einer von drei Pfeilern, die die europäische Energieversorgung sichern sollen.
"Für die Europäische Union ist es wichtig, dazu beizutragen, dass Russland seine Rolle als Gas- und Öllieferant bewahrt und ausbaut", heißt es in der "Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat über die Entwicklung einer Energiepolitik für die erweiterte Europäische Union, ihre Nachbarn und Partnerländer" vom Mai 2003.
Entsprechend hoch ist die Bedeutung der "Ostsee-Pipeline", die über die Niederlande bis nach Großbritannien weitergeführt werden soll. In dem Kommissions-Papier wird sie als "vorrangig" eingestuft. Daher ruft die Tatsache, dass das Vorhaben jetzt als rein deutsch-russisches Projekt geplant wird, ohne - wie zunächst beabsichtigt - einen Energiekonzern aus einem dritten Staat einzubeziehen, Verstimmungen in westeuropäischen Energiekreisen hervor. Denn damit besitzen deutsche Unternehmen die Kontrolle über die Versorgungssicherheit anderer EU-Staaten, insbesondere Großbritanniens. Und das stößt ungeachtet aller Europäisierungs- und Globalisierungslyrik in kaum einem Land auf Begeisterung, schon gar nicht in London, wo über verschiedenste politische Fragen häufig ganz andere Meinungen vertreten werden als in Deutschland.
Sorgen in Polen
Für starke Besorgnisse sorgt das deutsch-russische Vorhaben auch in Polen, das mit der Pipeline-Führung durch die Ostsee als mögliches Transitland ausgebootet wird. In Warschau hat man nicht vergessen, dass allzu enge Kooperation zwischen dem westlichen Nachbarn und dem Riesenreich im Osten in den vergangenen 250 Jahren fünfmal zur Annexion polnischen Territoriums geführt hat - dreimal (1795, 1815, 1939) sogar zur vollständigen Liquidation des polnischen Staats.
Zwischen Oder und Bug beobachtet man die immer engere Zusammenarbeit zwischen Berlin und Moskau seit langem mit deutlichem Misstrauen, inzwischen ist gar von einem "Schröder-Putin-Pakt" die Rede. Die Auseinandersetzung scheint in ähnlichem Maße zu eskalieren wie der deutsch-polnische Streit um das "Zentrum gegen Vertreibungen", der vor zwei Jahren entbrannte und immer noch nicht zur Ruhe gekommen ist.
Das wiegt umso schwerer, als man in Polen auch von einem Regierungswechsel keine prinzipielle Änderung der deutsch-russischen Kooperation erwartet. "Ich befürchte, dass sowohl die jetzige Bundesregierung als auch die nächste an der Pipeline festhalten wird", erklärte der derzeitige Favorit für die im Oktober anstehenden polnischen Präsidentenwahlen, Donald Tusk, nach Gesprächen mit der möglichen zukünftigen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Zwar sagen CDU-Politiker nach wie vor, Polen und die baltischen Staaten stärker in außenpolitische "Überlegungen" einbeziehen zu wollen. Dies jedoch, so ahnt man in Warschau, ist im Zweifelsfall wenig mehr als ein Lippenbekenntnis.
"Man muss dort Verständnis dafür haben, dass der deutsche Bundeskanzler deutsche Energieinteressen zu vertreten hat", verlangte Bundeskanzler Schröder brüsk nach der Unterzeichnung der Verträge über die "Ostsee-Pipeline". Und äußerte deutlich seine Forderungen an die Unionsparteien: "Ich rate der deutschen Opposition, sich nicht gegen die Vertretung deutscher Interessen zu wenden".