Energiewende: Will Habeck ein Windrad vor jeder Haustür?
Bundeswirtschaftsministerium legt Plan für Ausbau der Windenergie vor. Abstandsregeln zu Wohngebieten sollen außer Kraft gesetzt werden können. Naturschützer fürchten Rechtsunsicherheit.
Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) macht den Ausbau der Windenergie an Land zur Chefsache. Dafür will er nicht nur die Bundesländer in ihren Kompetenzen und Bürger in ihren Rechten beschneiden – auch der Naturschutz soll auf der Prioritätenliste noch weiter nach hinten rutschen. Denn Widerstand von Anwohnern und Naturschützern sowie lange Genehmigungsverfahren bremsten die Planungen, hieß es bei der Nachrichtenagentur Reuters.
Am Mittwoch legte Habecks Ministerium entsprechende Pläne vor. Ein wesentliches Hindernis für den Ausbau ist der Mangel an verfügbarer Fläche, heißt es im Gesetzentwurf. Deswegen will die Bundesregierung nun verpflichtende Flächenziele vorgeben: Bis 2026 sollen 1,4 Prozent, bis 2032 zwei Prozent der Bundesfläche für Windräder verfügbar sein.
Bislang sind lediglich rund 0,8 Prozent der Bundesfläche für die Windenergie ausgewiesen. Tatsächlich genutzt werden aber nur 0,5 Prozent.
Für die einzelnen Länder sollen unterschiedliche Ziele gelten, weil es unterschiedliche Voraussetzungen für Windenergie gibt. So sind für das flächenmäßig größte Land Bayern Flächenziele von 1,1 Prozent 2026 und 1,8 Prozent 2032 vorgesehen. Gleiches gilt für Baden-Württemberg und Nordrhein-Westfalen.
Länder mit mehr Wind haben schärfere Vorgaben, Mecklenburg-Vorpommern zum Beispiel. Dort sollen bis Ende 2026 rund 1,4 Prozent der Landesfläche für Windräder verfügbar sein, bis 2032 sollen es dann 2,1 Prozent werden. Für Niedersachsen, dem Windkraftland Nummer ein, sollen Werte von 1,7 und 2,2 Prozent vorgeschrieben werden.
Windräder bis vor die Haustür
Sollten diese Ziele nicht erreicht werden, dann sollen die Abstandsregeln zwischen Wohngebieten und Windrädern fallen. Nach geltendem Baurecht können die Länder Mindestabstände von bis zu 1.000 Metern festlegen; in Bayern gilt sogar eine noch schärfere Regel. In Zukunft soll das nur noch möglich sein, wenn die vorgeschriebenen Flächenziele erreicht werden.
Habeck sagte, eine "Verhinderungsplanung" sei nicht akzeptabel. Deshalb sollen die Bundesländer, die beim Ausbau hinterherhinken, schauen, wo sie Windräder errichten: etwa in Nutzwäldern oder Landschaftsgebieten oder näher an Wohngebieten.
Gleichzeitig soll es aber Ländern, die ihre Ziele übertreffen, möglich werden, ihre Windflächen auf andere Länder zu übertragen. Das windreiche Schleswig-Holstein könnte dann zum Beispiel Bayern unterstützen. Allerdings ist die Übertragung auf einen Umfang von 25 Prozent des jeweiligen Flächenwerts begrenzt. Um die Details festzuschreiben, soll bis zum Sommer 2024 ein Staatsvertrag geschlossen werden.
Der Deutschen Umwelthilfe (DUH) gehen die Pläne nicht weit genug. DUH-Bundesgeschäftsführer Sascha Müller-Kraenner forderte am Mittwoch, die Mindestabstände grundsätzlich abzuschaffen. "Es ist wenig überzeugend, wenn erst einmal abgewartet werden soll, ob die betroffenen Bundesländer ihre Flächenziele ohnehin erreichen, um erst dann bestehende Mindestabstände zu überprüfen", sagte er und bezeichnete Habecks Pläne als "Politik nach dem Prinzip Hoffnung".
Mit diesen Vorgaben will die Bundesregierung den Ausbau der Windenergie wieder vorantreiben, der in den letzten Jahren ins Stocken geraten ist. Bis 2030 soll sich die Leistung der Windräder an Land auf 115 Gigawatt verdoppeln. Mit dem Zwei-Prozent-Ziel könnten sogar 165 Gigawatt möglich sein, was in etwa dem Dreifachen der aktuell installierten Leistung entsprechen würde. Der Bundesverband Windenergie gibt an, dass im Jahr 2021 rund 56 Gigawatt Windleistung an Land installiert waren.
Artenschutz kommt unter die Räder
Um den Ausbau möglich zu machen, soll es auch Einschnitte beim Naturschutz geben. Begründet wird das mit dem "überragenden öffentlichen Interesse" an Windrädern, die schließlich auch "der öffentlichen Sicherheit" dienen würden.
Konkret bedeutet das: Vogelschützer dürfen zum Beispiel im Umkreis von 1,5 Kilometern von Flächen, die für Windräder ausgewiesen wurden, keine Nisthilfen mehr anbringen. Damit soll erreicht werden, dass sich dann Greifvögel erst gar nicht dort ansiedeln können. Detaillierte Regeln soll es je nach Art geben.
Um die Vögel zu schützen, müssen die Windkraft-Betreiber in sensiblen Gebieten aber auch zeitweise die Windräder abschalten. Sie können aber auch Ausweichgebiete schaffen, um die Vögel aus der Region wegzulocken. Artenschutzprogramme, die von der Windbranche mitbezahlt werden müsse, sollen zudem dafür sorgen, dass zumindest landes- oder bundesweit die Population einer Vogelart nicht kleiner wird.
Daran übte wiederum der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) Kritik. In einer Erklärung heißt es, die Ausbaupläne der Bundesregierung bedeuten, "dass der Tod des einzelnen Tieres in Kauf genommen wird". Demnach reiche es für die nächsten Jahre aus, "sich die Entwicklung der betroffenen Population für ganz Deutschland anhand der Roten Liste anzuschauen".
Ausnahmen vom Artenschutz dürften nur dann nicht vorgenommen werden, wenn sich eine in der Roten Liste geführte Population schlecht entwickle. Dass eine Art dort gelistet ist, heißt aber, dass sie schon gefährdet ist.
Der Nabu argumentiert nun, dass die neuen Regeln gegen EU-Recht verstoßen würden. Denn laut ihm seien alle Arten geschützt, unabhängig davon, ob es ihnen bereits schlecht gehe. Deshalb werde diese Regelung nur zu Rechtsunsicherheit führen und den Ausbau der Windenergie weiter ausbremsen.