England: Gartendörfer sollen Wohnungsknappheit verringern

Bild: Department of Communities and Local Government

Die Regierung versucht, die Fehler, die man beim Wohnungsbau im 20. Jahrhundert machte, nicht zu wiederholen

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In der britischen Fernsehserie Our Friends in the North, mit der der James-Bond-Darsteller Daniel Craig und der Doctor-Who- und The-Leftovers-Star Christopher Eccleston bekannt wurden, versuchen Labour-Politiker die Wohnungsfrage im England der 1960er Jahre durch den Bau von "Straßen in den Himmel" zu lösen. Diese Plattenbau-Hochhäuser machen zwar mit der Partei verbundene Geschäftsleute reich, erweisen sich aber als so ungeeignet, dass sie selbst nach einer teuren Sanierung völlig verwahrlosen und schließlich als "Schandfleck" abgerissen werden, nachdem eine sich selbst verstärkende Dynamik aus Kriminalität, Lärm, Verfall und Wegzug nicht mehr zu stoppen ist.

Die aktuelle britische Regierung will die Fehler, die nicht nur Labour-Politiker, sondern auch viele Tories in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert machten, nicht wiederholen. Der ehemalige Schatzkanzler George Osborne hatte deshalb bereits im letzten Jahr eine Initiative zum Bau von "Gartenstädten" angekündigt. Sie sollen urbanen Zentren entlasten, sich aber selbst verwalten und ihren Bewohnern sowohl Einkaufs- als auch Freizeitmöglichkeiten zu Verfügung stellen.

Der Begriff "Gartenstadt" wurde von Sir Ebenezer Howard geprägt, der (von Edward Bellamys utopischem Roman Looking Backward und von Henry Georges Progress and Poverty inspiriert) 1898 ein Buch veröffentlichte, das erst unter dem Titel Peaceful Path to Real Reform und später als Garden Cities of Tomorrow erschien. In den von ihm propagierten Ortschaften sollten bis zu 32.000 Menschen auf einer Fläche von 2.400 Hektar leben, deren sechs jeweils 37 Meter breite Boulevards in konzentrischen Kreisen um das Zentrum angelegt sind.

Solche Gartenstädte sollten sich Howards Vorstellung nach selbst versorgen und nicht über die 32.000-Einwohner-Grenze hinaus wachsen. Stattdessen schlug er vor, dass immer neue Gartenstädte errichtet werden, in denen man eine sich vermehrende Bevölkerung unterbringt. Stadtplaner ließen sich von diesen Vorstellungen teilweise beeinflussen, folgen ihnen aber nie streng.

Fördermittel dienen lediglich der Planungsbeschleunigung

Nun hat Wohnungsbauminister Gavin Barwell die Standorte für den Bau von 14 Gartendörfern und drei weiteren Gartenstädten mit jeweils etwa 1.500 bis gut 10.000 Einwohnern vorgestellt. Dazu gehören unter anderem Longcross, Dunton Hills und Harlow-Gilston im Einzugsbereich von London, North Cheshire im Großraum Manchester, Halsnead in der Nähe von Liverpool und der ehemalige Militärflughafen Deenethrope.

Ein Tweet des Department of Communities and Local Government zum Gartenortschaftenprogramm zeigt eine Idylle von einstöckigen Einfamilienhäusern. Tatsächlich müssen die Häuser in den Gartenorten aber nicht unbedingt so oder so ähnlich aussehen, weil die Vorgaben sehr unscharf und allgemein formuliert sind. Dafür sind auch die staatlichen Fördermittel mit lediglich 7,4 Millionen Pfund recht knapp bemessen, wie die Opposition im Westminster-Parlament kritisiert. Mit diesem Geld sollen allerdings keine Häuser gebaut, sondern lediglich Planungsarbeiten beschleunigt werden.

Zusammen mit sieben anderen Projekten, die bereits im letzten Jahr vorgestellt wurden, sollen die neuen Gartenorte etwa 200.000 neue Wohneinheiten bereitstellen. Bis 2020 will man wenigstens 25.000 davon fertiggestellt haben. Damit das klappt, will die Regierung das Ausweisen von Bauland erleichtern.

Landschaftsschützer befürchten Reizverlust

Für Verzögerungen sorgen könnten Landschaftsschützer wie die Campaign to Protect Rural England (CPRE). Diese NGO spricht sich zwar nicht grundlegend gegen die Lösung von Wohnungsproblemen durch Gartenorte aus, fordert aber, dass dort schon länger ansässige Bürger bei der Planung und Ausgestaltung mitreden und Vetos einlegen dürfen. Konkret ein Dorn im Auge ist CPRE der Standort Gilston, weil es dort bereits ein kleineres Dorf und einen Weiler gibt, die in der neuen Londoner Vorstadt aufgehen und - so die Befürchtung - ihren ländlichen Charakter und ihre Reize verlieren würden.

Ob die neuen Gartenstädte und Gartendörfer tatsächlich ohne größere Probleme funktionieren (oder ob sie neue Schwierigkeiten mit sich bringen) wird sich erst dann zeigen, wenn sie fertig sind und bewohnt werden. Dass Verslumung auch in Gegenden ohne Hochhäuser möglich ist, zeigte den Briten in den vergangenen Jahren die Reality-TV-Show Benefits Street, die in einem Stadtteil Birminghams gefilmt wurde, in dem neun von zehn Bewohnern von der Wohlfahrt leben.

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