Enteignung der Sparer?
Die Geldpolitik senkt die Sparzinsen, was den Sparkassen-Chef im Namen seiner Sparer aufregt – aber können die Geldvermögen endlos weiter wachsen?
Die Geldpolitik der Europäischen Zentralbank sorgt dafür, dass die Zinsen für Spareinlagen immer weiter sinken. Der Chef des Sparkassenverbandes Georg Fahrenschon sieht hier eine "Enteignung" am Werk. Moment mal: Ist das Nicht-Erhalten einer künftigen Zahlung Enteignung?
Immerhin ist es doch so: Die Banken in diesem Lande sind Dienstleister für jene, die Geld übrig haben. Jene "Sparer" haben mehr Leistungen an die Gesellschaft erbracht, als sie von dieser nachgefragt haben. Das Geld, welches sie als Überschuss "sparen", wollen sie aufheben, um ihre Ansprüche später einzulösen, also um die Gegenleistung der Gesellschaft später abzufragen.
Offensichtlich ist: Wenn das jeder tut, funktioniert es nicht. Da nur dann jemand mehr leisten, als nachfragen kann, wenn ein anderer weniger leistet, als er nachfragt, muss es immer "Sparer" und "Schuldner" im System geben - es sei denn jeder Wirtschaftsteilnehmer fragt Leistungen in genau derselben Größenordnung nach, wie er erbringt. Das Bankensystem erbringt somit eine Dienstleistung an den "Sparer". Woraus schlussfolgert der Sparkassen-Verbands-Präsident, dass für diese Dienstleistung auch noch Zinsen zugunsten des Sparenden fließen müssen?
Wachstum ohne Wachstum
Die Denkweise des Sparkassen-Chefs kommt aus einer Zeit, in der Wirtschaftswachstum ständiger Begleiter war. Aus dieser Epoche wächst unsere Wirtschaft aber ganz offensichtlich heraus. Seit 2007 haben diverse ausgewachsene Volkswirtschaften in Europa und anderswo Probleme, nur ansatzweise an alte Wachstumsraten anzuknüpfen. Diese tendieren gegen Null.
Wen das jedoch verwundert, hat von Naturgesetzen wenig Ahnung: Wie soll in einer begrenzten physikalischen Welt der Output eines Wirtschaftssystems dauerhaft weiterwachsen können? Vielmehr gilt: Unsere Ökonomien bewegen sich auf eine Postwachstumsökonomie zu, eine Epoche, in der Wachstum eher die Ausnahme als die Regel ist. Wenn aber eine Volkswirtschaft ihren Output nicht mehr ständig steigert, wie sollen dann die Geldvermögen in diesem System weiter steigen?
Nichts anderes jedoch fordert der Sparkassen-Präsident, wenn er kritisiert, dass die Zinsen im Finanzsystem sinken. Er fordert, dass die Geldvermögen weiter wachsen, obwohl die volkswirtschaftliche Grundlage dafür ganz offenbar erodiert.
Altersarmut als Lobbyargument
Allerdings beunruhigt Georg Fahrenschon etwas anderes: Altersarmut. Er meint, weil die Sparzinsen niedrig sind, droht Armut für die Sparenden und breite Armut unter Älteren.
Da habe ich schlechte Neuigkeiten für Herrn Fahrenschon: Die Zahl jener, die von Jobs leben, die gar keine Ersparnisse mehr zulassen, wächst. Wer von seinem Lohn Geld am Monatsende übrig hat, gehört zu einer zunehmend privilegierten Schicht. Sich um die leistungslosen Einkommen dieser Schicht zu sorgen, ist Klientelpolitik, schlicht: Lobbyismus. Wirklich verantwortungsvolle Politik, die sich um Altersarmut sorgt, sollte sich um die grundlegenden Fragen der Vermögensverteilung kümmern und nicht um die läppischen Almosen, die dem gemeinen Sparer als Zinsen hintergeworfen werden.
Wenn sich der Sparkassenpräsident wirklich um Altersarmut sorgt, sollte er aktiv werden, die wirklich großen Geldvermögen in diesem Lande zugunsten der armen Schichten abzuschmelzen. Er sollte thematisieren, wie absurd eine kapitalgedeckte Rente in einem Wirtschaftssystem ist, in dem die rollierende Leistungserbringung der Arbeitenden und der rollierende Leistungskonsum der Nicht-mehr-Arbeitenden ganz offensichtlich ein Umlageverfahren sind: Die Arbeitenden leisten für die Rentner mit, und zwar nicht "auf Vorrat" und nicht in einer unbestimmbaren Zukunft, sondern heute und jederzeit.
Betrachtet man dieses System auf Leistungsebene fällt sofort auf, dass es "Sparen" nur in Form von "Investitionen in Infrastruktur und Produktionsbasis" gibt. Sparen "in Geld" ist dagegen oft nur der Versuch einer sich aufblähenden Finanzindustrie, das Unwissen der Leistenden zugunsten eigener Renditen auszunutzen. Für diesen Vorwurf mögen die Sparkassen der falsche Adressat sein, aber auch sie sind Teil eines Systems, in dem gilt: Wer hat, dem wird gegeben.
Ihnen gehören 64.000 Euro! Leider nur im Durchschnitt
Trotz des niedrigen Sparzins-Umfeldes stiegen die Geldvermögen der deutschen Haushalte von 2012 zu 2013 um über 200 Milliarden Euro - das ist ein Zuwachs von 4% auf nun 5,15 Billionen Euro.
Bei 80 Millionen Einwohner besitzt damit statistisch jeder Deutsche 64.000 Euro Geldvermögen (Immobilien, Grund und Boden und andere materielle Vermögensgegenstände nicht mitgerechnet). Auf einen vierköpfigen Haushalt entfallen somit eine viertel Million Euro durchschnittliches Geldvermögen. Jeder Euro, der dir, lieber Leser zu dieser Summe fehlt, muss ein anderer mehr haben. (Quelle: Monatsbericht der Deutschen Bundesbank von Mai 2014, S. 141) Da der Zins- und Zinseszinseffekt jene begünstigt, die besonders viel Geld haben, vergrößern sich große Vermögen umso schneller, während kleine Vermögen im Grunde mit Peanuts ruhiggestellt werden.
Behält man im Auge, dass es nicht die Sparkassen und Banken sind, die die Zinsen zahlen, sondern die Kreditnehmer und Schuldner, die die ihnen aufgebürdeten Kapitalkosten in ihren Produkt-Preisen verstecken, kommt man zu dem Schluss, dass jeder Mensch beim Einkaufen Zinsen bezahlt. Verlierer in diesem kapitalen Umverteilungsspiel sind jene, die mehr Zinsen beim Geldausgeben bezahlen, als sie auf ihre paar Spargroschen erhalten - also die Mehrheit aller Teilnehmer am Zahlungssystem. Die Zinsen, deren Schrumpfen den Sparkassenvertreter empört, könnten also auch dort schrumpfen, wo sie unsichtbar von jedem von uns gezahlt werden: in den Produktpreisen.
Wirtschaftsregeln in einer Postwachstumswirtschaft
Und nun steht die Frage im Raum: Soll diese Gesellschaft lieber hohe Zinsen anstreben, damit "die Sparer" beruhigt ein paar Krümel vom großen Kapitalkuchen abbekommen, während große Vermögen dadurch wahrlich wachsen können - und zugleich hohe Zinslasten beim Einkauf der Alltagswaren und bei Anschaffungen mitbezahlt werden? Oder soll die systemisch zwangsläufige Entwicklung zu einer Ökonomie des Nicht-Mehr-Wachsens akzeptiert werden und müssten die ökonomischen Regeln so angepasst werden, dass eine Postwachstumsökonomie auch funktionsfähig und möglichst krisenarm funktioniert?
Es ist bedauerlich, dass die orthodoxe Wirtschaftswissenschaft so krampfhaft im fossil getriebenen Wachstumsparadigma feststeckt, dass sie gar nicht mitbekommt, dass Wirtschaft keine Scheibe ist, in der Geldflüsse und Vermögen nur für das Individuum relevant sind, sondern dass wir in einem vernetzen System aus wechselseitigen Abhängigkeiten leben, in dem die Kosten des einen immer der Erlös eines anderen ist und die Geldvermögen des einen immer die Schulden anderer sind. Altersarmut über Zinsen lösen zu wollen, ist nicht der richtige Weg. Altersarmut kann nur durch einen neuen Generationenvertrag gelöst werden, bei dem auch die bisherigen Rentenansprüche so manchen Großverdieners infrage gestellt werden. Denn welchen Zweck erfüllt eine Rente, die so groß ist, dass ihr Empfänger sie gar nicht ausgeben kann, sondern weitere Sparvermögen anhäuft, während andere Rentner als Aufstocker zusätzliches Staatsgeld aus anderen Töpfen beantragen müssen?
Angesichts der Komplexität des Systems ist Jammern über die Geldpolitik der EZB (im Namen einer wohlhabenden Kundschaft) nicht nur ein schlechter Zug, sondern offenbart auch, dass die Finanzkrise seit 2007 nicht zwingend zu mehr Verständnis wirtschaftlicher Zusammenhänge in den Chefetagen beigetragen hat. Bedauerlich. Angesichts der Risiken im System: gefährlich. Und hinsichtlich Zukunft unserer Gesellschaft: reichlich absurd.