Entertainment mit Aufklärung?
Der britische Sender Channel 4 führt in einer Reality TV-Show "torture lite" vor, wie sie in Guantanamo praktiziert worden sein soll
Ein bisschen ist das vermutlich wie bei Kindern. Was man erlebt, in den Medien gesehen oder meist nur über Berichte oder Gerüchte erfahren hat, wird, um fassbar zu werden, nachgespielt, wenn etwas fasziniert hat oder/und erschreckend war. Wenn nun der britische Sender Channel 4 sich für ein neues Reality TV-Format ausgerechnet die Folter in Guantanamo ausgewählt hat - natürlich nur mit den besten Absichten -, dann will man wohl primär die Schaulust nach all den Skandalen von Abu Ghraib und anderswo ansprechen und überschreitet gleichzeitig noch einmal ein Stück das bislang Verpönte.
Natürlich, einigen Formaten der vielen Reality TV-Sendungen liegt bereits zugrunde, dass die neuen Helden der Aufmerksamkeit, die Gladiatoren der Medien, einiges erdulden müssen, um in der Gunst des voyeuristischen Publikums aufzusteigen. Das ist nicht nur bei denen der Fall, die in ungewohnter Umgebung zurecht kommen müssen, sondern etwa auch bei den kleinen Prominenten, die ekligen Situationen ausgesetzt werden.
Möglicherweise gewinnt man etwas daraus, wenn man zusieht, wie es Schiffbrüchigen auf einer einsamen Insel, Bergbauern vor 100 Jahren oder wem auch immer in mehr oder eher weniger realistischen Bedingungen ergangen ist. Und angeblich will Channel 4 den Zuschauern auch anschaulich vermitteln, womit die als "feindlichen Kämpfer" Festgenommenen nach dem 11.9. rechnen mussten, nämlich gefoltert zu werden, um in Verhören erwünschte Informationen preiszugeben.
Auch wenn sich Channel 4 damit einer Wirklichkeit nähert, die normalerweise hinter verschlossen Türen stattfindet und nur wie im Fall von Abu Ghraib zufällig durch einige Bilder blitzlichtartig erleuchtet wurde, darf sie natürlich nur in eingeschränkter Form in Szene gesetzt werden. Die freiwilligen Kandidaten, die sich wohl irgendetwas von ihrer Teilnahme versprechen mussten, werden nur kurz und in einem illusionären Kontext den leichten Formen der Folter ausgesetzt, wie sie nach freigegebenen Dokumenten praktiziert wurden - ganz echt also, wie Channel 4 suggeriert. Angelockt wurden die Freiwilligen über Anzeigen. Gesucht wurden Männer, die zeigen wollten, wie "hart" sie im Nehmen sind. Von den sieben Auserwählten sprang jedoch ein Kandidat nach sieben Stunden ab, nachdem sie psychologisch getestet und darüber informiert wurden, was sie erwartet.
Zum Drehen wurde ein Lagerhaus in London so eingerichtet, dass es in etwa den Bedingungen von Guantanamo glich. Es gab Käfige für die Versuchspersonen, Verhörräume und Überwachungsvorrichtungen. Die Freiwilligen, darunter drei Muslime, nahmen an der zur Schau gestellten Folterpraxis teil und wurden zwei Tage lang der "torture lite" in Form von Schlafentzug, extremen Temperaturen und "leichtem" körperlichen Kontakt ausgesetzt. Wie in Abu Ghraib, Guantanamo und anderswo mussten die TV-Gefangenen auch Zeiten nackt verbringen und wurden sexuell und religiös gedemütigt.
Channel 4 erklärt, dass die Sendung, die Ende des Monats ausgestrahlt wird, Teil eines größeren Programmblocks zum Thema Folter im "Krieg gegen den Terror" ist. Es sei die Absicht, die weit verbreitete Folterpraxis zu untersuchen und zu fragen, ob sie gerechtfertigt werden könne. Neben der Reality-TV-Sendung im nachgebauten Guantanamo gibt es einen Film, der thematisiert, wie Folter vor sich geht. In einem anderen Dokumentarfilm berichtet der investigative Journalist Andrew Gilligan über den Einsatz von Folter gegen mutmaßliche al-Qaida-Mitglieder. Ein dritter Dokumentarfilm hat die Misshandlungen von US-Bürgern in amerikanischen Gefängnissen zum Thema.
Die Anwendung von Folter oder die Verwendung von Information, die durch Folter gewonnen wurde, wurde für den Krieg gegen den Terror als unabdingbar gerechtfertigt. Diese Programmfolge konfrontiert den Zuschauer damit, sich Foltertechniken anzusehen, von denen wir wissen, dass sie in Guantanamo eingesetzt wurden, und sich zu fragen, ob dies jemals gerechtfertigt sein kann. Funktioniert das? Und werden die Werte der westlichen Gesellschaft durch die Anwendung solcher Folter untergraben?
Dorothy Byrne
Das klingt ganz der Aufklärung verpflichtet. Vermuten muss man allerdings, dass die drei Dokumentarfilme das Beiwerk und die Rechtfertigung für die Reality TV-Show sind. Muss man, um auf das durchaus wichtige Thema der Folter aufmerksam zu machen und die Menschen zum Nachdenken zu bringen, tatsächlich Menschen leichter Folter unter den Augen der Kameras unterziehen? Was könnten die Zuschauer davon lernen? Schließlich handelt es sich nicht um wirkliche Folter an Gefangenen, die rechtlos für unbestimmte Zeit eingesperrt und ihren Wächtern wehrlos ausgesetzt sind? Die stets mit noch Schlimmerem rechnen müssen und wirklich, nicht nur in der Simulation oder im Spiel, gedemütigt und als Persönlichkeit gebrochen werden sollen? Die Tage, Wochen, Monate solchen Praktiken ausgesetzt sind, ohne auf ein Ende oder Freiheit hoffen zu können?
Lernen die Zuschauer für ihr Leben als möglicherweise irgendwann auch Verdächtige, die weggesperrt werden, indem sie einen Vorgeschmack auf die harmloseren Folterpraktiken erhalten und sehen, wie andere Menschen darauf reagieren? Lernen sie, dass ja eigentlich alles gar nicht so schlimm ist, weil es die Freiwilligen ja auch in einem kurzen Abenteuerurlaub überstanden haben und weil die schlimmen Formen der Folterung doch nicht gezeigt werden? Werden und sollen sie gegen Folter sensibilisiert werden? Was auch immer Absicht und Folge tatsächlich sind, so ist mit dieser Sendung wieder ein Schritt weiter in die Richtung gegangen worden, Grenzen zu überschreiten und Fernsehen der Wirklichkeit näher zu bringen, so simuliert die Grausamkeit, das Leid und der Schmerz in diesem Fall auch sein mögen. In der schon lange sich aufschaukelnden Spirale der Aufmerksamkeitsökonomie wird man vermutlich dabei nicht stehen bleiben und Schritt für Schritt an Überbietungen arbeiten. Man sollte dabei auch nicht vergessen, dass die sadistischen Folterpraktiken in Abu Ghraib - und wahrscheinlich auch anderswo - auch davon leben, dass sie für die Kamera und damit für die Zuschauer inszeniert wurden - und dass der erste Zuschauer der Folterknecht ist, der es genießt, sich als Herr über das gedemütigte Opfer zu fühlen, das seiner Menschlichkeit beraubt wird.