Entschädigung für traumatisierende Grenzanlagen?
Die Entscheidung könnte ein Meilenstein für globale Rechte sein, wenn nun auch Menschen gegen die EU-Grenzanlagen klagen könnten
DDR-Flüchtlinge können Anspruch auf besondere Hilfen und Entschädigung haben, wenn ihre Flucht zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen führte. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig sprach am Mittwoch einem Mann entsprechende Leistungen im Grundsatz zu. Die Begründung ist interessant.
Denn danach braucht jemand gar nicht direkt von Grenzbeamten bedroht oder verletzt worden zu sein, um Opfer von Menschenrechtsverletzungen an der Grenze zu werden. Allein die Existenz der Grenzanlagen und die bewaffneten Grenzen können eine Menschenrechtsverletzung sein, urteilen die Richter. Damit widersprechen sie unteren Instanzen, die die Klage abgewiesen hatten. So heißt es in der Pressemitteilung des Gerichts:
Die Revision des Klägers hatte Erfolg und führte zur Verpflichtung des Beklagten, die Rechtsstaatswidrigkeit der ausgelösten Grenzsicherungsmaßnahmen festzustellen. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die Grenzsicherungsmaßnahmen der DDR seien lediglich abstrakt-generell gegen die Gesamtheit der Bevölkerung der DDR gerichtet gewesen, so dass eine verwaltungsrechtliche Rehabilitierung ausscheide, verletzt Bundesrecht.
Die zur Verhinderung eines bestimmten Grenzübertritts ausgelösten Grenzsicherungsmaßnahmen der DDR waren hoheitliche Maßnahmen, die sich konkret und individuell gegen den Betroffenen - hier den Kläger - richteten. Sie waren rechtsstaatswidrig, weil sie in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit verstießen und Willkürakte im Einzelfall darstellten.
Der Kläger hat darüber hinaus schlüssig dargelegt, dass die ausgelösten Grenzsicherungsmaßnahmen bei ihm zu einer gesundheitlichen Schädigung geführt haben können, die noch unmittelbar schwer und unzumutbar fortwirkt. Die abschließende Entscheidung über Folgeansprüche obliegt dem zuständigen Versorgungsamt.
Aus der Presseerklärung des Bundesverwaltungsgerichts Leipzig
Können sich jetzt Migranten, die in der EU ein besseres Leben finden wollen, darauf berufen?
Nun sind die Grenzanlagen zwischen den beiden Deutschlands bekanntlich seit fast 30 Jahre Geschichte. Jedoch haben sich die Grenzen nur verlagert. Sie gehen heute durch das Mittelmeer, sie trennen den europäischen Kontinent und seine Auslagerungen von den Menschen aus Afrika und Asien.
Besonders sichtbar sind die heutigen Grenzanlagen in den europäischen Kolonien auf dem afrikanischen Kontinent Ceuta und Melilla, wo messerscharfe Klingen und modernste Technik die Migranten am Übertritt hindern sollen.
Immer wieder kommt es dort zu schweren Verletzungen und auch zu Toten. Dagegen waren die Grenzanlagen der DDR sogar eher konventionell. An anderen Stellen zwischen dem globalen Süden und der EU sind die Grenzanlagen nicht so offensichtlich, aber trotzdem sehr wirkungsvoll und oft auch tödlich.
Wer sich kurz und knapp darüber informieren will, bekommt mit dem kürzlich von den Migrationsforscher Bernd Kasparek im Verlag Bertz + Fischer herausgegebenen Büchlein unter dem Titel "Europas Grenzen" einen guten Überblick. Nun stellt sich die Frage, ob nicht die Migranten, die durch diese heutigen Grenzsicherungen abgeschreckt werden sollen, die Entscheidung des Leipziger Gerichts zum Anlass für eine Klage nehmen können.
Denn diese Grenzsicherung verstößt in "schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit und der Verhältnismäßigkeit". Was die Leipziger Richter in Bezug auf die DDR-Grenzanlagen feststellen, trifft auf globalen Maßstab auf die EU-Grenzen zu.
Würden nun Tausende Menschen aus dem globalen Süden klagen, wäre die Leipziger Entscheidung ein Meilenstein für die Durchsetzung von globalen Menschenrechten. Wenn aber die Entscheidung nur für DDR-Bürger gilt, wäre sie im Gegenteil nationalborniert und ausgrenzend. Dann würde richterlich einmal mehr festgeschrieben, dass die Frage nach Rechten vom Pass und der Staatsangehörigkeit abhängt.
Ein DDR-Bürger, der nach der bundesdeutschen Lesart immer Deutscher war, kann auf Entschädigung klagen, weil ihn allein die Existenz der Grenzanlagen und ihr Drohpotential angeblich traumatisieren. Ein Mensch aus dem Senegal hingegen hat das nicht das Recht, gegen die EU-Grenzsicherung zu klagen. Dabei haben beide Gruppen nur ihr Recht auf Mobilität wahrgenommen, als sie Grenzen überschreiten wollten.
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