Entschädigungslose Teilenteignung
Über Fluglärm und externalisierte Kosten
Der größte Flughafen der Schweiz, Zürich-Kloten, ist auch nach der Pleite der Swissair gut ausgelastet. So gut, dass die Schweiz auf eine Aufhebung der bisher geltenden Sperrzeiten für Anflüge vom Norden her drängt. Dort hat die deutsche Regierung nämlich 2003 ein Nachtflugverbot für Maschinen verhängt, die den nur wenige Kilometer hinter der deutschen Grenze liegenden Flughafen von Norden her ansteuern. Bei ihren Landeanflügen verursachen sie nämlich eine Menge Lärm, den auch die Bewohner der auf der deutschen Seite gelegenen Schwarzwalddörfer abbekommen.
Seitdem müssen die Flugzeuge vermehrt Umwege nehmen und von einer anderen Himmelsrichtung her anfliegen. Weil das Gebiet im Süden des Flughafens wesentlich dichter besiedelt ist, als das im Norden, ärgert dies jedoch die Anwohner, die dort leben. Nach schweizerischer Rechnung sind durch den Züricher Flughafen gut 200.000 Schweizer aber nur einige Hundert Schwarzwälder tagsüber einer Lärmbelästigung von 50 Dezibel und darüber ausgesetzt. Deshalb will die dortige Bundesregierung eine Lockerung des deutschen Nachtflugverbots erwirken. Die Schwarzwaldbewohner wiederum fordern von ihrer Bundesregierung genau das Gegenteil, nämlich eine deutliche Verringerung der Lärmbelästigung auch außerhalb der Verbotszeiten.
Eigentlich, so denkt man, müsste der Fall doch relativ einfach zu lösen sein: Die Flugzeuge verursachen schädliche Immissionen, weshalb die Firmen, die mit ihnen Geld verdienen, ihr Tun entweder unterlassen oder einen Ausgleich für die den Anwohnern zugefügten Schäden zahlen müssen. Je nach Höhe dieser Zahlungen könnte das freilich den Flughafenbetrieb durchaus deutlich verteuern. Allerdings: Da diese Kosten bisher nicht mit eingerechnet werden, wird der Preis für Flüge von und nach Zürich eigentlich künstlich verbilligt – die Kosten, die externalisiert werden, tragen die Anwohner in der Flugschneise.
Würden diese mit Summen entschädigt, die ihnen den verlustfreien Umzug in andere Gebiete ermöglichen, dann könnten einige von ihnen damit abwandern, andere wiederum hätten durch die Entschädigung weniger Grund, sich zu beschweren. Allerdings ist bislang noch nichts dergleichen passiert. Und auch bei den im April angelaufenen Neuverhandlungen wird das Thema tabuisiert. Stattdessen wurden auf deutscher Seite plötzlich "unveräußerliche Rechte" ins Spiel gebracht - trotz einer anderslaufenden Praxis bei Braunkohle, Staudämmen und Straßen, die es in der Bundesrepublik gibt (auch wenn die heimischen Medien lieber darüber berichten, wenn so etwas in China passiert).
Hintergrund ist, dass in Deutschland nicht nur ausländische, sondern (in weit stärkerem Ausmaß) einheimische Flughäfen für erhebliche Lärmbelästigung sorgen. Würden die Schwarzwälder von den schweizerischen Flughafenbetreibern angemessen entschädigt, dann stünden die Landesregierungen in Baden-Württemberg und anderswo vor einem Präzedenzfall, den sie aus wirtschaftspolitischen Erwägungen heraus fürchten. Aber auch die Züricher Flughafengesellschaft, die den einheimischen Anwohnern nur so geringe Trostgelder zahlt, dass dagegen tausende von Klagen mit ungewissem Ausgang anhängig sind, hätte einen Präzedenzfall geschaffen, der den Anwälten der Kläger sicher nicht verborgen bleiben würde.