Entscheidung über Fusionsreaktor wurde vertagt
Über den Standort des Experimentalreaktors ITER soll jetzt frühestens im Februar entschieden werden
Entgegen den Ankündigungen ist es am Samstag zu keiner Entscheidung über den Standort des Internationalen Experimentellen Fusionsreaktors ITER (International Thermonuclear Experimental Reactor, zugleich lateinisch: der Weg) gekommen. Die Vertreter der beteiligten Länder China, Europa, Japan, Kanada, Russland, Südkorea und USA, die sich in einem Hotel bei Washington darüber berieten, konnten zu keiner Einigung kommen. In einer gemeinsamen Erklärung stellten sie eine Entscheidung für Februar in Aussicht.
Der voraussichtlich 4,7 Milliarden Euro teure Experimentalreaktor soll zeigen, dass sich, analog zu den Prozessen im Sonneninnern, auch auf der Erde Energie durch Kernfusion erzeugen lässt. Dafür soll ein Gemisch der Wasserstoffisotope Deuterium und Tritium auf über 100 Millionen Grad Celsius erhitzt werden, sodass deren Atomkerne miteinander verschmelzen. Da kein Material den hierbei entstehenden Temperaturen widerstehen kann, muss die miteinander reagierende Materie durch ein starkes Magnetfeld zusammengehalten werden. Bislang verschlingt die Erzeugung dieses Magnetfeldes noch mehr Energie, als sich durch die Kernfusion gewinnen lässt.
Bei ITER hingegen sollen etwa 73 Megawatt eingespeist und bis zu 500 Megawatt heraus geholt werden. Im Jahr 2015 soll der Reaktor den Betrieb aufnehmen und ungefähr 30 Jahre laufen. Bis Mitte des Jahrhunderts könnte dann geklärt sein, inwieweit die Kernfusion als sichere und kommerziell interessante Energiequelle dienen kann.
Die USA waren 1998 aus dem ITER-Konsortium ausgeschieden, sind dann aber im Januar 2003 überraschend wieder zurückgekehrt und beteiligen sich jetzt mit zehn Prozent. Die Förderung der Nuklearenergie wird von Präsident George W. Bush mit Nachdruck betrieben. Als Standorte für ITER sind allerdings nur noch zwei Alternativen in der Diskussion: Cadarache bei Aix-en-Provence in Frankreich und das Dorf Rokkasho-Mura im Norden Japans. Für Frankreich spricht ein bereits existierendes, hervorragendes Forschungsinstitut und ein günstigeres Klima. Japan kann mit der Nähe eines Hafens und einem soliden Felsuntergrund punkten. Den Entscheidungsträgern in der amerikanischen Delegation dürfte auch die Nähe einer US-Militärbasis gefallen.
Da die jeweilige Region von dem Reaktor ökonomisch stark profitieren kann, ist die Entscheidung heiß umkämpft. Zu den Baukosten kommen noch einmal Betriebskosten in ungefähr gleicher Höhe. Französische Experten schätzen, dass über die gesamte Laufzeit des Reaktors bis zu 30 Milliarden Euro in die Region fließen könnten.
Da das Projekt auch nach der Entscheidung die Unterstützung aller beteiligten Parteien braucht, ist ein Konsens erforderlich. Eine einfache Mehrheitsentscheidung würde nicht ausreichen. Es wurde daher beschlossen, den Bewerbern bis Ende Dezember weitere Fragen vorzulegen, für deren Beantwortung sie bis Ende Januar Zeit haben. Zur gleichen Zeit sollen die Vorteile eines "breiteren Zugangs zur Fusionsenergie" erkundet werden, wie es in der gemeinsamen Erklärung heißt. Was damit gemeint ist, wird nicht näher erläutert. Es klingt aber nach einem taktischen Manöver, im letzten Moment noch einmal die Grundlagen der Entscheidung zu verändern. Darüber, wer hinter dem Manöver steckt, lässt sich derzeit nur spekulieren.