Erdbeben-Katastrophe in Syrien: Wer hilft wem?

Symbolbild: Pixabay

Werden die US-Sanktionen gegen Damaskus für Nothilfe aufgehoben? Wie hilfreich sind die Weißhelme? Naturkatastrophen kennen keine politischen Grenzen, die Hilfe schon?

Wie schlimm kann es kommen? Dem Elend im Nordwesten Syriens, wegen des Ukrainekriegs kaum mehr Thema der Berichterstattung, aber noch die bittere Realität für viele Menschen, fügte das verheerende Erdbeben eine weitere Katastrophe hinzu.

Von den Zerstörungen gibt es bislang vor allem Bilder, die das katastrophale Ausmaß andeuten. Der englisch-sprachige Onlineauftritt der syrischen Nachrichtenagentur Sana meldet heute 389 Tote und 746 Verletzte im Gouvernement Lattakia, 49 Tote und 67 Verletzte in der Provinz Hama, aber bislang gibt es keine offizielle Meldung aus Damaskus zum schwer getroffenen Gouvernement Idlib, das noch näher am Epizentrum der Stadt Gaziantep in der Türkei liegt und laut Bildern schwere Zerstörungen erlitt.

Idlib wird vom al-Qaida-Abkömmling Hayat Tahrir al-Scham kontrolliert, nicht von der Regierung, anzunehmen ist, dass dies der Grund für die Aussparung der Katastrophenmeldungen der Nachrichtenagentur ist. Zwar kannte die Naturkatastrophe keine Grenzen, die Politik aber schon. Das zeigt sich leider auch in moralisch bestimmten Kommentaren der "Gegenöffentlichkeit" zur guten und schlechten Hilfe.

Wobei sich noch zeigen kann, ob das Verdikt der Null-Solidarität, die westlichen Ländern als stur-prinzipielle und im Augenblick unangebrachten Haltung gegenüber Damaskus vorgeworfen wird, wirklich in der Härte gilt, wie sie dem Westen von Hardliner-Kritikern vorgeworfen wird.

Auch die syrische Regierung präsentiert sich bis dato, wie es die News-Politik von Sana andeutet, beschränkt in ihrer Solidarität mit den Gegnern.

Politische Hürden

Es gibt politische Hürden für die Hilfe. Der französische Dschihad-Experte Wassim Nasr spricht die Schwierigkeiten direkt an:

Da sich einige Länder über die Sanktionen hinwegsetzen, um Hilfe nach Damaskus zu bringen, sollten andere den politischen Mut aufbringen, den verwüsteten und bereits verarmten Rebellengebieten im Nordwesten des Landes zu helfen.

Wassim Nasr

Inwieweit ist es im Augenblick wichtig, was vor ein paar Jahren ein großer hitziger Diskussionspunkt war, dass Nasr die Dschihadisten "Rebellen" nennt? Heißt das, dass man mit der Hilfe der Verschütteten, Verletzten, obdachlos gewordenen, Personen, die Angehörige verloren haben, aus politischen Gründen vorsichtig sein soll?

Weißhelme wieder im Scheinwerferlicht

Nach Zahlen, die heute von der türkischen Zeitung al-Sabah übermittelt werden, zählt die Zwischenbilanz des syrischen Gesundheitsministeriums 656 Tote und 1.400 Verletzte infolge des Erdbebens.

Aus Idlib gebe es nur Angaben von den White Helmets aka "Syrian Civil Defense" sowie von nicht näher definierten Gruppen, die "dort operieren". Demnach schätzt deren Zwischenbilanz mindestens 450 Tote und viele Hundert Verletzte.

Die White Helmets, deren politische Nähe zu den islamistischen/dschihadistischen Gruppen vor Jahren für hoch temperierte Auseinandersetzungen sorgte, zählen aktuell 790 Tote und 2.200 Verletzte im Nordwesten Syriens, also ohne klare Bestimmung des Gebietes. Die Zahl der Toten könnte in den nächsten Tagen "dramatisch steigen".

Die syrische Bevölkerung sei am Limit, heißt es auf ihrem Twitter-Account. Es gebe zu wenig Rettungsteams und Zufahrtsstraßen für Hilfslieferungen seien durch das Erdbeben verschüttet, heißt es.

"Vertreter von drei Hilfsorganisationen erklärten (...), dass die Schäden an den Straßen, die zum und vom Grenzübergang Bab al-Hawa führen, wichtige Hilfslieferungen stark behindert und die Krise verschärft haben. Der Grenzübergang Bab al-Hawa ist die einzige Lebensader für Millionen von Menschen im Nordwesten Syriens, die in Gebieten außerhalb der Kontrolle der syrischen Regierung leben", berichtet Middle East Eye.

Schaut man sich die Bilder der Rettungsaktionen der Weißhelme an, so sieht man, dass sie auch viel mit Händen graben, wenn sie nah an Verschütteten sind, aber man sieht auch Werkzeug und größere Gerätschaften.

"Wir haben keine Werkzeuge"

Werkzeuge fehlen in Idlib, wie der französische Journalisten Nasr, der über gute Drähte zu den islamistischen und dschihadistischen Gruppen verfügt, über einen Kontaktmann mitteilt: "Wir haben keine Werkzeuge zum Schneiden von Metall, keine Spürhunde, nicht einmal unsere Helfer sind dafür ausgebildet. Wir graben methodisch mit unseren Händen."

Auch Damaskus sei nicht auf eine solche Katastrophe vorbereitet, heißt es von einem Syrienkenner, der gute Verbindungen dorthin hat. Die syrische Regierung und ihr Gesundheitssystem seien nicht in der Lage, dieses "Todesbeben" zu bewältigen.

Erdbeben, Armut, Kälte und Cholera

Bereits kurz vor dem Beben gab es katastrophale Nachrichten zur Ausbreitung der Cholera im Norden Syriens. "Idleb führt die Liste an, nachdem es den Nordosten, wo alles begann, überholt hat", kommentierte der schwedische Journalist Aron Lund am 5. Februar das Update der UN zur Lage. Die Not durch die Cholera kann hier nachgelesen werden.

Am 5. Februar gab es auch Nachrichten über erhebliche Schäden, die ein Schneesturm in Flüchtlingscamps im nördlichen Gebiet um Aleppo anrichtete. Die Bevölkerung in der Stadt Aleppo ist ebenfalls schwer vom Erdbeben getroffen.

Wo bleibt die Hilfe der Arabischen Liga?, fragt Ehsani22, ein US-Syrer, der seit vielen Jahren, schon vor dem Krieg, der 2011 begann, Insider-Hintergründe zu Syrien publizierte.

Die weitaus größere Frage ist aber, was passiert mit den US-Sanktionen und denen der EU? Sie haben zur Verelendung großer Teile der syrischen Bevölkerung beigetragen, ohne das politische Ziel zu erreichen, das vom Militär gestützte repressive Herrschaftssystem von Baschar al-Assad auch nur zu gefährden.

US-Sanktionen und Wiederaufbau

Die US-Sanktionen verbieten jegliche Hilfe von außen für den Wiederaufbau Syriens, um den Druck auf Baschar al-Assad zu erhöhen, der für viele der Garant gegen eine "syrische Revolution" nach Art der Islamisten und Dschihadisten ist.

Es gab angesichts der Verarmung der Bevölkerung in den letzten Jahren bereits Appelle, die Sanktionen auszusetzen, auch aus der UN. Aktuell kommen sie von der Syrisch-Orthodoxen Kirche und dem Patriarchat von Antiochien. Sie machen den Anfang?

Anscheinend gibt es eine kleine Gruppe von Fanatikern, die vom Erdbeben profitiert haben. ISIS-Dschihadisten, die aus einem Gefängnis im Nordwesten Syriens fliehen konnten.