Erdgasstreit: Schlichtung in Stockholm

Seite 2: Naftogaz vs. Gazprom: Schlichtung in Stockholm

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Ein Problem der Umstrukturierung von Naftogaz ist die Auseinandersetzung mit dem russischen Gasriesen Gazprom, einem Schauplatz der sich beständig verschlechternden Beziehungen zwischen der Ukraine und Russland. Seit 2014 befinden sich beide staatlichen Unternehmen in einem erbitterten Rechtsstreit über vertragliche Verpflichtungen hinsichtlich der Lieferbedingungen und der Modalitäten des Gastransits durch die Ukraine.

Die Streitigkeiten wurden seitdem vom Schiedsinstitut der Stockholmer Handelskammer geprüft. Das vermittelt und schlichtet in Streitfällen, deren Parteien eine außergerichtliche Einigung anstreben. In Übereinstimmung mit den Gepflogenheiten dieses Gremiums gab es von dort keine offiziellen Stellungnahmen zu den bisher erzielten Ergebnissen, dafür Meldungen beider Lager, die konkrete Entscheidungen als jeweiligen Sieg für sich verbuchten.

So habe der Schlichter aus Naftogaz-Sicht im Mai 2017 in einer vorläufigen Entscheidung die Behauptung von Gazprom zurückgewiesen, Naftogaz habe "Take or Pay"-Bestimmungen des Kaufvertrags verletzt, nach denen die Ukrainer verpflichtet gewesen seien, jedes Jahr überschüssige Gasmengen zu zahlen - unabhängig von der tatsächlichen Nachfrage. Der Vertrag sah eigentlich vor, dass im Jahr 2009 40 Milliarden Kubikmeter Gas und ab 2010 52 Milliarden Kubikmeter Gas geliefert werden sollten - Mengen, die Naftogaz nicht aufnehmen konnte, wie sich zeigte. Gazprom hatte Entschädigungen für nicht abgenommene Gaslieferungen und die Begleichung von Zahlungsrückständen für früher geliefertes Gas gefordert, alles in allem 37 Milliarden US-Dollar. Der Ukraine ging es um rückwirkende Preisänderungen ab 2011, die Rückforderung von Überzahlungen für Gas und die Aufhebung des "Take or Pay"-Prinzips.

Ende Dezember 2017 wähnte man sich bei Naftogaz durch eine erneute Entscheidung des Instituts fast am Ziel. Bei Gazprom wiederum sah man sich in den Kernforderungen bestätigt, die Hauptpunkte des Vertrags seien gültig. Das Schiedsgericht hatte Naftogaz zur Zahlung von 2 Milliarden US-Dollar an Gazprom verurteilt und das jährliche Vertragsvolumen der Käufe auf 5 Milliarden Kubikmeter reduziert. Gleichzeitig wurde die "Take or Pay"-Klausel für 80% dieses Volumens beibehalten. Das Gericht wies ebenfalls die meisten Forderungen von Naftogaz an Gazprom zurück, die die Überzahlung für geliefertes Gas betrafen.

Die Schlichter hatten abschließend in einem weiteren Verfahren zum Transitvertrag am 28. Februar 2018 Naftogaz' Ansinnen abgelehnt, die Tarife für den Gastransit zu erhöhen und den Vertrag im Einklang mit den ukrainischen Gesetzen zu ändern. Außerdem hatte Naftogaz Entschädigungen für ausgebliebene, vorher vereinbarte Transitmengen verlangt, insgesamt 16 Milliarden US-Dollar. Das Schiedsinstitut belegte Gazprom mit einer Strafzahlung von 4.63 Milliarden US-Dollar.

Bei Gazprom will man das Urteil anfechten: Zwar hätte das Schiedsinstitut die ukrainische Argumentation akzeptiert, die die wirtschaftliche Stagnation als Ursache für den geringeren Gasbedarf im Land und die geringere Abnahme von Gas durch Naftogaz angab. Doch auf der anderen Seite ließen die gleichen Schlichter dieselbe Argumentation nicht zu, wenn es um zurückgehende Gaseinkäufe europäischer Konsumenten gehe, die eine Verringerung des Transitvolumens zur Folge hätten.

Während man bei Gazprom nun mit allen verfügbaren Rechtsmitteln gegen die Entscheidung vorgehen will, sieht man sich bei Naftogaz als Gewinner des Schiedsverfahrens ( ).

Geplante Wiederaufnahme der Gaslieferungen in die Ukraine auf Eis gelegt

Naftogaz hatte im Januar 2018 gegen den Widerstand der ukrainischen Regierung und des Finanzministeriums angedeutet, bereits im ersten Quartal 2018 die Gaseinkäufe bei Gazprom wieder aufnehmen zu wollen. Gazprom hat die bereits eingegangenen Zahlungen für die geplante Märzlieferung jedoch zurücküberwiesen, wie am 1. März 2018 bekannt wurde, der vorgebrachte Grund: Ungereimtheiten in den Zusatzklauseln des Liefervertrags. Die Gaslieferungen werden bis auf weiteres nicht wieder aufgenommen.

Der aktuelle Vertrag zum Gastransit erlischt Ende 2019. Gazprom hatte bereits erwogen, dann keine weiteren Lieferungen mehr durch die Ukraine schicken zu wollen. Hier kommen andere Lösungen wie TurkStream durch das Schwarze Meer über die Türkei ins Spiel, die die Ukraine südlich umgeht. Oder Nord Stream 2 (Putins Falle), das aktuell umstrittene russisch-europäische Projekt, das die mit Nord Stream 1 bereits installierten Kapazitäten auf der Strecke durch die Ostsee auf 110 Milliarden Kubikmeter Gas pro Jahr verdoppeln soll.

Wird Nordstream 2 umgesetzt, könnte die Ukraine nach Schätzungen pro Jahr bis zu 2 Milliarden US-Dollar an Transiteinnahmen für das Durchschleusen von russischem Gas einbüßen. Wenn aus dem wichtigen Gastransitland ein randständiger Marktteilnehmer wird, verliert die Ukraine zudem ihre bisherige Bedeutung für den europäischen Energiemarkt.

Nach Gesprächen mit dem österreichischen Kanzler Sebastian Kurz in Moskau hatte der russische Präsident Wladimir Putin jüngst geäußert, dass Nord Stream 2 ein "entpolitisiertes" Projekt sei, das keine Alternative für den Transit durch die Ukraine darstelle. Er betonte, dass die russische Seite nichts gegen eine Zusammenarbeit mit der Ukraine habe. Die neuen Trassen würden das Angebot freilich diversifizieren und stabiler machen.