Erdoğan baut seinen Einfluss nicht nur militärisch aus
Nachdem der Amtsinhaber über Einschüchterungen und eine massive Einflussnahme aus Ankara klagte, wird der Favorit der AKP neuer Präsident Nordzyperns
Die nach dem türkischen Einmarsch und der ethnischen Säuberung von 1974 ins Leben gerufene türkische Republik Nordzypern wird von keinem Land auf der Welt außer der Türkei anerkannt (vgl. Griechischer Außenminister vergleicht Ostukraine mit Nordzypern). Ein reiner Marionettenstaat, wie ihn beispielsweise Japan mit Mandschukuo in China errichtet hatte, war Nordzypern bislang trotzdem nicht. Das lag auch daran, dass die Wahlen dort und in der Türkei bis gestern nicht immer Politiker an die Macht brachten, die sich einig waren.
"Nation in mehreren Staaten"
In Nordnikosia, der Hauptstadt Nordzyperns, amtierte zuletzt Mustafa Akıncı von der Sozialdemokratischen Toplumcu Demokrasi Partisi (TDP) als Staatspräsident. In Ankara dagegen herrscht seit 2003 Recep Tayyip Erdoğan von der islamistischen AKP - erst als Ministerpräsident, später dann als Präsident (wobei er die Türkei nach seinem Amtswechsel in eine Präsidialrepublik umgestaltete).
Erdoğan macht kein großes Geheimnis daraus, dass seine Ambitionen auch über die Grenzen der Türkei hinausreichen: In Libyen kämpft er einen Stellvertreterkrieg gegen Ägypten und die Vereinigten Arabischen Emirate. Im Nordwesten Syriens ließ er nach der Eroberung des Grenzgebiets einen islamistischen Vasallenstaat errichten. In Aserbaidschan, dem östlichen und schiitischen Teil seiner "Nation in mehreren Staaten", erkämpfen seine Drohnen und aus Nordsyrien herbeigeholte Dschihadisten nicht nur den Korridor zwischen Armenien und Arzach zurück, sondern auch die armenische Region, die 1991 ihr in den 1920er Jahren versprochenes Recht auf eine Volksabstimmung wahrgenommen und sich für selbständig erklärt hatte (vgl. "Mit allen Möglichkeiten an der Seite der aserbaidschanischen Geschwister").
Und im östlichen Mittelmeer sucht er nach Erdgas, das unter den Wirtschaftszonen von Griechenland und Zypern liegt
Zyprische Wiedervereinigung vs. "Ausbau" der Beziehungen zu Ankara
In den zyprischen Gewässern berief sich Erdoğan dabei auf die türkischen Nordzyprer, auch wenn es mit deren Präsidenten manchmal Meinungsverschieden gab: Mustafa Akıncı strebte nämlich eine Wiedervereinigung mit dem griechischen Teil Zyperns an. Nun wurde er abgewählt.
Gestern gewann bei einer Stichwahl sein Herausforderer Ersin Tatar von der Ulusal Birlik Partisi (UBP), der "Nationalen Einheitspartei". Er lehnt eine Wiedervereinigung mit dem griechischen Teil Zyperns ab und will stattdessen die Beziehungen zur Türkei "ausbauen". Dem öffentlich-rechtlichen Sender BRT zufolge kam der Favorit Ankaras auf 51,7 Prozent Stimmenanteil, der Brüssels lediglich auf 48,3 Prozent. Erdoğan gratulierte dem Gewinner nach dem Bekanntwerden dieses Ergebnisses nicht nur, sondern meinte auch, die Türkei werde "weiter alles unternehmen, um die Rechte des Volks von Nordzypern zu verteidigen".
Rückzug wäre "besser für Akıncı, dessen Familie und die Nation"
Etwas zurückhaltender gratulierte der nordzyprische Wahlverlierer Akıncı, der gewarnt hatte, er wolle nicht, dass Nordzypern eine türkische Provinz wird. Der 72-Jährige erkannte Tatars Sieg zwar an, meinte jedoch, das sei "keine Wahl gewesen, die unter normalen Umständen durchgeführt wurde" - und er hoffe, "dass niemand mehr auf solche Mittel zurückgreift".
Vorher hatte er sich darüber beklagt, dass Mitglieder der finanzkräftigen türkischen Regierungsparteien AKP und MHP in Nordzypern zur Unterstützung seines Herausforderers aufwendig Wahlkampf machten, dass man sich Zugriff auf seine Email verschaffte und dass sein Stabschef von einem Mann mit Verbindungen zum türkischen Geheimdienst gewarnt wurde, es wäre "besser für Akıncı, dessen Familie und die Nation", wenn der gelernte Architekt seine Kandidatur zurückziehen würde.
Tatar hatte sich daraufhin empört, es sei unmöglich, das sein Präsident so etwas über die Türkei behauptet. Als die nordzyprische Özgür Gazete Mitglieder seines Wahlkampfteams bei täglichen geheimen Strategietreffen mit dem türkischen Vizepräsidenten Fuat Oktay fotografierte, ging der 60-Jährige Liebling der türkischen Leitmedien in die Offensive und meinte, die Fotos seien im Auftrag der Geheimdienste ausländischer Mächte entstanden, die auf diese Weise den Wahlkampf manipulieren wollten.
In jedem Fall scheinen Tatar die Fotos ebenso wenig nachhaltig geschadet zu haben wie die Tätigkeit des in einem englischen Internat erzogenen und in Cambridge ausgebildeten Ökonomen für die britische Skandalpleitefirma Polly Peck. Deren Pleite hatte andere juristische und natürliche Personen in den 1990er Jahren 1,3 Milliarden Pfund gekostet. Ihr CEO Asil Nadir wurde dafür zu zehn Jahren Haft verurteilt, weshalb Tatar lange befürchten musste, bei einer Wiederkehr in das UK ebenfalls angeklagt zu werden. Erst 1991 teilte ihm London mit, dass das "nicht mehr länger im öffentlichen Interesse" sei.
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