Erdogan, die Paradise Papers und sein Korruptionssumpf

Bei den Enthüllungen über internationale Korruption, Steuerhinterziehung und Geldwäsche tauchen regelmäßig der Erdogan-Clan und sein Umfeld auf

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Da wäre zum Beispiel die Familie des türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim. Der Ministerpräsident Binali Yildirim hatte in den 90er Jahren unter dem damaligen Istanbuler Bürgermeister Erdogan Karriere in der Schiffsindustrie gemacht. Das daraus resultierende Familienvermögen beläuft sich auf über 140 Millionen Dollar. Korruptions- und Steuerhinterziehungsvorwürfe wurden immer wieder laut, zuletzt in den Enthüllungen der Malta Files im Frühjahr, wurden aber nie geahndet.

Während die Türkei die Verbrauchssteuern auf fast 40% erhöht hat, um die wirtschaftliche Talfahrt zu bremsen, umgehen seine Söhne Steuerzahlungen in der Türkei, berichtet Frank Nordhausen in der Frankfurter Rundschau. Die Söhne besitzen mehrere Schiffsfirmen auf der Mittelmeerinsel Malta, die Schiffe kaufen und verkaufen, sowie Waren transportieren.

Alles sei "offen und klar" - ein globales Geschäft. Pech nur, dass die oppositionelle Zeitung Cumhuriyet ihre ominösen Verflechtungen und Falschaussagen offenlegte. So behauptete der Ministerpräsident, er hätte 2002 seine Schiffsfirmen seinen Söhnen Erkam und Bülent Yildirim übergeben, als er in die Politik wechselte. Und er hätte sie ermahnt, Privatgeschäfte von staatlichen Aufträgen zu trennen.

Erkam Yildirim scheint die Mahnung seines Vaters nicht sonderlich ernst genommen zu haben. Die Zeitung Cumhuriyet veröffentlichte Dokumente, aus denen hervorging, dass Erkam Yildirim über seine maltesische Offshore-Firma Nova Warrior Ltd. erst vor acht Monaten einen staatlichen Sieben-Millionen-Dollar-Auftrag erhalten hatte.

Die Yildirims verklagten die Zeitung wegen dieser Offenlegung und fordern 111.000 Euro Schmerzensgeld u.a. wegen "Verletzung der Persönlichkeitsrechte". Die Brüder Yildirim besitzen noch weitere, auf Malta registrierte Firmen: die im April 2004 gegründete Hawke Bay Marine Co. Ltd. und den 2007 gegründeten direkten Nachfolger Black Eagle Marine Co. Ltd. Direktor und Mehrheitsbesitzer dieser Firmen ist Erkam Yildirim.

Zu diesem Zeitpunkt war Vater Binali Yildirim als Verkehrsminister auch für Seewege und -handel zuständig. Später bekamen auch Geschäftspartner der Yildirim-Söhne Zuschläge bei Ausschreibungen des Verkehrsministeriums, das der heutige Ministerpräsident Binali Yildirim früher leitete.

In den Paradise Papers sollen sich laut Cumhuriyet Hinweise auf acht weitere maltesische Firmen der Yildirims gefunden haben, in die auch Onkels und Neffen involviert sind. Nach Bekanntwerden dieser Verstrickungen über die Paradise Papers forderten die Oppositionsparteien CHP und HDP eine parlamentarische Untersuchung, die jedoch am vergangenen Mittwoch von Erdogans Regierungspartei AKP abgelehnt wurde. Das wundert nicht, schließlich sind insgesamt 75 türkische Politiker und Geschäftsleute in den Skandal verwickelt.

Der Erdogan-Clan

Täglich veröffentlicht die Cumhuriyet neue Verbindungen im Zusammenhang mit den Paradise Papers. Wenn Erdogan immer wieder an die türkischen Bürger und Unternehmer appelliert, Vermögen nicht außer Landes zu schaffen, sondern in der Türkei zu investieren, scheint er seinen eigenen Clan und sein Umfeld davon auszunehmen. Denn auch er und sein Clan zahlen lieber die niedrigen Unternehmenssteuern in Malta mit fünf Prozent statt in der Türkei mit 20 Prozent.

Der Erdogan-Clan soll nach Informationen der Cumhuriyet ebenfalls mehrere Offshore-Firmen in Maltas Hauptstadt Valetta besitzen. Die Fäden laufen bei der Calik-Holding zusammen. Diese wurde bis 2013 von Erdogans Schwiegersohn und jetzigem Energieminister Berat Albayrak geführt.

Man erinnere sich an den Korruptionsskandal Ende 2013 und die beschlagnahmten Schuhkartons mit 4,5 Millionen Dollar beim Generaldirektor der staatlichen Halkbank und den illegalen Immobiliendeals zwischen der staatlichen Wohnungsbauagentur TOKI und einem bekannten türkischen Baulöwen, wo Erdogans Sohn Bilal seine Finger im Spiel gehabt haben soll.

Drei AKP-Minister mussten damals zurücktreten: der Innenminister Muammer Güler, der Wirtschaftsminister Zafer Caglayan und der Umweltminister Erdogan Bayraktar. Beim Sohn des Innenministers fand die Polizei Safes, eine Geldzählmaschine und fast 1,5 Millionen Dollar, Euro und Türkische Lira in bar. Erdogans Sohn Bilal geriet 2013 ebenfalls ins Visier der Ermittlungsbehörden.

Aber Vater Erdogan, damals noch Ministerpräsident, untersagte polizeiliche Ermittlungen gegen seinen Sohn. Die Staatsanwaltschaft und der Polizeichef von Istanbul wurden deswegen abgesetzt und angeklagt. Erdogan behauptete bereits damals, diese Ermittlungen stellten einen Justizputsch der Gülen-Leute gegen seine Regierung dar. Die Anklage wurde damals fallengelassen und das beschlagnahmte Geld wurde mit Zinsen zurückgegeben. Gegen die zurückgetretenen Minister wurde nicht einmal Anklage erhoben.

Nach dem Putschversuch vom Juli 2016 ließ die Calik-Holding ihre windigen Steuersparmanöver parlamentarisch legalisieren, schreibt die Frankfurter Rundschau. Erdogans Schwiegersohn Serhat Albayrak, Bruder des Energieministers Berat Albayrak, taucht nun plötzlich in den neuen Enthüllungen als Direktor der Firma Frocks International Trading auf. Deren Gründer stammen allesamt aus dem Umfeld der Calik Holding.

Sie ist eine der größten Firmenkonglomerate in der Türkei, in deren Geschäfte nicht nur die Gebrüder Albayrak, sondern auch mehrere AKP-Größen involviert sind. Zusätzlich ist nicht nur Erdogans Schwiegersohn, sondern auch der eigene Sohn Bilal in dubiose Geschäfte verwickelt. Bilal Erdogan, der in Harvard/USA studierte und bei der Weltbank tätig war, steht in Italien unter Verdacht, Geldwäsche betrieben zu haben.

Erdogan in der Klemme

Das mafiöse Netzwerk rund um den Erdogan-Clan ist kaum zu durchdringen. Ein Mann allerdings kann Erdogan richtig gefährlich werden: Reza Zarrab. Der 33-jährige Goldhändler besitzt türkische, aserbaidanische und iranische Pässe. Im März 2016 wurde er in den USA wegen des Verstoßes gegen die von den Vereinigten Staaten im Atomstreit gegen den Iran verhängten Wirtschaftssanktionen, Bankbetrug und Geldwäsche festgenommen.

Die Ermittlungsspuren dazu führen zurück ins Jahr 2013 und bis in die türkische Regierung hinein - und zu Erdogan selbst. In einem dem New Yorker Gericht Ende Oktober vorgelegten Dokument des Justizministeriums heißt es, die US-Regierung "geht davon aus, dass die bei der Verhandlung vorgelegten Beweise zeigen werden, dass türkische Regierungs- und Bankbeamte integraler Bestandteil der Umgehung der Sanktionen sind".

Im Zusammenhang mit dem Korruptionsskandal 2013 wurde Zarrab beschuldigt, drei Minister mit 66 Millionen Dollar bestochen zu haben. Zarrab soll unter Mitwirkung der türkischen Minister und Regierungsbeamten rund 200 Tonnen Gold in den Iran exportiert haben - ein klarer Verstoß gegen die US-Sanktionsrichtlinien.

Das Handelsblatt schreibt, dass Reza Zarrab mit den mehr als 11 Milliarden US-Dollar, 15 Prozent des Leistungsbilanzdefizits der Türkei gedeckt habe. ANF berichtet, diese Transaktionen seien über über Offshore-Firmen und -bankkonten gelaufen sein.

Trotz der Vorwürfe wurde Zarrab in der Türkei nicht festgenommen, da die türkische Regierung nach wie vor der Meinung ist, dass sie sich nicht an Sanktionen der USA gegen andere Staaten halten muss. Erst im März 2016 wurde Zarrab bei der Einreise nach Florida/USA verhaftet. Im November 2016 wurde dann auch Zarrabs Bruder Mohammad angeklagt.

Nach monatelanger Haft in den USA ist Reza Zarrab vor kurzem bis zum Beginn seines Prozesses am 4. Dezember freigekommen - und will aussagen. Das birgt einigen Sprengstoff für die türkische Regierung, denn die US-Ermittlungen gehen trotz massiver Interventionen der türkischen Regierung weiter.

Erdogan soll 2016 den ehemaligen Vizepräsidenten Joe Biden persönlich gebeten haben, den Fall Zarrab ad Akta zu legen und den leitenden Staatsanwalt Preet Bharara zu entlassen - Joe Biden ablehnte ab. Stattdessen wurde im März dieses Jahres der stellvertretende Leiter der Halkbank, Mehmet Hakan Atilla, wegen der Beteiligung an den Iran-Geschäften am Flughafen in New York verhaftet.

In der Anklageschrift werden Akten zitiert, die aus dem Korruptionsskandal von 2013 um den Erdogan-Clan und seinem engsten Zirkel von Ende 2013 stammen. Seit September 2017 besteht auch gegen den früheren Wirtschaftsminister der Regierung Erdogan, Zafer Caglayan, ein Haftbefehl.

Versuche, auf US-Justiz Einfluss zu nehmen

Die türkische Regierung versuchte bislang vergeblich die US-Regierung dazu zu bringen, die Ermittlungen einstellen zu lassen. Im September bot Erdogan den USA an, den ein Jahr zuvor in der Türkei verhafteten US-Pastor Andrew Brunson gegen Gülen austauschen. Vor gut einem Monat, im Oktober, traf sich der türkische Justizminister Bekir Bozdag mit seiner amerikanischen Amtskollegin Loretta Lynch, um eine Einstellung der Ermittlungen gegen Zarrab zu erreichen.

Auch er hatte keinen Erfolg. Bozdag bezichtigt nun die US-Justiz, ein Werkzeug der Gülen-Bewegung zu sein. Der FBI-Sonderermittler Robert Mueller dagegen ermittelt laut ANF, ob Erdogan dem Ex-General Michael Flynn und seinem im Dezember 2016, während der Präsidentschaftsübergabe mehr als 15 Millionen Dollar angeboten hat, damit er seine bevorstehende Position als nationaler Sicherheitsberater Trumps für die Entführung Gülens nutze - der Spiegel spricht von Auslieferung.

Gülen sollte heimlich mit einem Privatjet ausgeflogen und auf die Gefängnisinsel Imrali gebracht werden, wo seit 1999 auch der Vorsitzende der PKK, Abdullah Öcalan in Isolationshaft sitzt. In dem Gespräch mit Flynn soll es auch um die Freilassung von Reza Zarrab gegangen sein. Flynn soll bereits 2016 von einem türkischen Geschäftsmann mit engen Verbindungen zu Erdogan 500 000 Dollar für einen Beratervertrag kassiert haben.

Reza Zarrab hat in dieser Angelegenheit neuerdings eine wichtige Funktion: Rechtsanwalt Danny Cevallos, ein Rechtsanalyst für MSNBC und NBC News, sagte, die Entscheidung Zarrabs, mit den Behörden zusammenzuarbeiten, sei eine bedeutende Entwicklung, die Licht ins Dunkel der Beziehung Erdogan - Flynn bringen könne. Anscheinend hat Zarrab, dem 75 Jahre Haft drohen, einen Deal mit den amerikanischen Justizbehörden ausgehandelt: Strafminderung gegen Aussagen über die Beteiligung türkischer Politiker am Iran-Geschäft.

Mitte November reiste Ministerpräsident Binali Yildirim mit einer Delegation zu US-Vicepräsident Pence nach Washington um das Verfahren in letzter Sekunde noch zu verhindern. Zur Delegation gehörte auch wieder Erdogans Schwiegersohn und Energieminister Berat Albayrak.

Visa-Stopp für türkische Staatsbürger

Da die Reise erfolglos blieb warf Erdogan selbst daraufhin den USA vor, mit dem Zarrab-Prozess eine politisch motivierte Aktion gegen sein Land führen zu wollen und Zarrab zum antitürkischen "Überläufer" zu machen. Er reagierte mit weiteren Denunziationen von US-Bürgern und rückte demonstrativ seinen Stuhl noch näher an Russland heran.

Als Retourkutsche gegen die USA erlies nun die Staatsanwaltschaft in Istanbul einen Haftbefehl gegen den ehemaligen Mitarbeiter des Planungsstabes des US-Außenministeriums und Hochschulprofessor, Henri Barkey.

Angeblich habe er am Tag des Putschversuches vom 15. Juli 2016 im Auftrag des CIA ein Seminar von Hochschullehrern auf der Insel Büyükada vor Istanbul (der Tagungsort, wo auch die Menschenrechtler wie Peter Steudner tagten) abgehalten und habe dort den Putschversuch als eigentlicher Strippenzieher koordiniert. Auch der verhaftete Metin Topuz, Mitarbeiter im US-Konsulat und der ebenfalls verhaftete liberale Mäzen der türkischen Zivilgesellschaft, Osman Kavala, sollten dabei mitgewirkt haben.

Auf diese Provokation reagierte Washington mit einem erneuten Visa-Stopp für türkische Staatsbürger. Ankara konterte, sie wollen die Einreisepapiere von US-Bürgern zurückhalten. Am vergangenen Samstag leitete die türkische Staatsanwaltschaft gegen die beiden US-Staatsanwälte Preet Bharara und sein Nachfolger Joon Kim ein. Die türkische Staatsanwaltschaft wirft den beiden Staatsanwälten vor, sie hätten Beweise gefälscht.

Sie wollen nun von den US-Behörden wissen, wo, wie, wann und von wem die US-Behörden Dokumente, Audioaufzeichnungen und andere Inhalte, erworben haben. Die türkische Staatsanwaltschaft versucht das Blatt zu drehen, so dass der Anschein entstehen kann, die US-Behörden arbeiten mit dem im US-Exil lebenden Fethullah Gülen zusammen, um Erdogan zu stürzen. So erklärte die regierungsnahe Tageszeitung Yeni Safak auf ihrer Titelseite, dass das NATO-Bündnis einen Angriff auf die Türkei vorbereite.

Geldstrafen für türkische Banken

US-Behörden bereiten nun erhebliche Geldstrafen für die am Iran-Deal beteiligten türkischen Banken vor. Die staatliche Halkbank, sowie fünf weitere türkische Banken, die in die Geldwäsche verwickelt sind, müssen mit Geldstrafen von mindestens 5 Milliarden Dollar rechnen. Die Frage ist, ob die angeschlagenen türkischen Banken diese Geldstrafen stemmen können. In türkischen Bankenkreisen ist man äußerst beunruhigt. Die türkische Lira fiel nach diesen Nachrichten auf ein Rekordtief.

Atilla Yesilada, ein Länderanalyst für GlobalSource Partners ist der Meinung, die Gefahr sei, dass ausländische Banken den türkischen Banken keine Kredite mehr gewähren könnten. Dies würde Kredite in der Türkei teurer machen, die Währung weiter schwächen, was zu einer Verlangsamung der wirtschaftlichen Entwicklung führt.

Dies bekommt dann die Bevölkerung direkt spüren: die Kaufkraft schrumpft, die Armut steigt, kleine Unternehmen müssen schließen und die Löhne halten nicht mit der Inflation Schritt. Dies kann auch bei der normalen Bevölkerung zu einem Imageverlust von Erdogan und der AKP führen. Ob er dann 2019 die nächsten Wahlen gewinnen würde, ist fraglich.

Die "Zins-Lobby"

Erdogan versucht von Kritik an seiner Politik abzulenken und gibt der türkischen Zentralbank die Schuld an steigender Inflation und hohen Zinssätzen. Die Verantwortlichen würden eine westliche Mentalität anwenden und der "Zins-Lobby" dienen, zitiert ihn Al-Monitor.

Erdogan lehnt die Zinspolitik als "unislamisch" ab. Noch gibt sich die türkische Zentralbank unabhängig, aber keiner kann einschätzen, ob Erdogan persönlich in die Finanzgeschäfte der Zentralbank eingreift.

Investoren ziehen Geld ab

Aber die internationalen Märkte sind verunsichert. Innerhalb der letzten Woche zogen ausländische Investoren 1 Milliarde Dollar aus der Türkei ab. Erol Bilecik, der Chef der türkischen Industrie- und Wirtschaftsvereinigung kritisierte Erdogan indirekt: "In Zeiten steigender geopolitischer und wirtschaftlicher Unsicherheiten sollte zumindest unsere eigene Politik und Rhetorik die Unsicherheiten minimieren, anstatt neue zu schaffen, damit unser Finanzsystem gesund funktionieren kann…Wir brauchen Botschaften und Richtlinien, die den Anlegern Vertrauen geben und den Märkten Klarheit verschaffen."

Allein die britischen Investitionen sind seit dem Putschversuch um 20% gesunken. Als Grund wird die Unberechenbarkeit der türkischen Politik benannt. Unter dem Ausnahmezustand hat die Regierung 1.019 Unternehmen mit rund 50.000 Beschäftigten beschlagnahmt, die jetzt vom Spareinlagenversicherungsfonds verwaltet werden. Bloomberg schreibt, die inländischen Investoren der Türkei sein ein wichtiger Grund für den rasanten Fall der Lira, da diese allein in der letzten Woche Fremdwährungen im Wert von 250 Millionen Dollar kauften.