Erdoğan setzt Notenbankchef ab

Grafik: TP

Murat Çetinkaya hatte sich einer Zinssenkung verweigert

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Der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan hat den türkischen Notenbankchef Murat Çetinkaya heute Nacht mit einem Dekret des Amtes enthoben. Wie heute früh bekannt gegeben wurde übernimmt sein bisheriger Stellvertreter Murat Uysal die Geschäfte.

Offiziell werden in der im türkischen Amtsblatt verkündeten Entscheidung keine Gründe für die Absetzung genannt. Inoffiziell kommt dafür vor allem die unterschiedliche Meinung zur Zinspolitik infrage, die Erdoğan und Çetinkaya schon seit längerer Zeit trennt. Wegen eines Wertverfalls der türkischen Währung hatte Çetinkaya die Zinsen im September 2018 um 6,25 Prozentpunkte auf 24 Prozent erhöht. Dadurch hat das Land jetzt den höchsten Leitzins nach Argentinien.

Inflation ging zwischen dem Oktober 2018 und dem Juni 2019 von 25 auf 15,7 Prozent zurück

Seine wirtschaftlichen Perspektiven gelten allerdings nicht als rosig: Im Juni stufte die Ratingagentur Moody's die Türkei vom Ramschlevel Ba3 auf das noch negativere Ramschlevel B1 herab. Begründet wurden diese Herabstufung und die gleichzeitig diagnostizierte negative Aussicht mit einem schwindenden "Vertrauen, dass die Türkei weiter die hohen Geldsummen anlocken kann, die für die Zahlung von Schulden und die Aufrechterhaltung des Wachstums nötig sind" und mit der "Befürchtung, dass das Risiko einer Zahlungsbilanzkrise und damit das Risiko einer Pleite weiter zunimmt".

Als die türkische Inflationsrate in der Zeit zwischen dem Oktober 2018 und dem Juni 2019 von 25 auf 15,7 Prozent zurückging, geißelte der Staatspräsident den seiner Ansicht nach nun zu hohen Leitzins als "Mutter" der Rezession und der Arbeitslosigkeit und verlangte öffentlich eine Senkung. Der seit 2016 amtierende Çetinkaya, dessen Amtszeit regulär erst 2020 abgelaufen wäre, weigerte sich, dieser Aufforderung nachzukommen. Einen freiwilligen Rücktritt, der ihm Medienberichten nach von Erdoğan und dem türkischen Finanzminister und Erdoğan-Schwiegersohn Berat Albayrak nahe gelegt wurde, lehnte er ab.

Ob sein Nachfolger Uysal die Zinsen nun senkt, steht noch nicht fest. In den nächsten Tagen will er sich dazu auf einer Pressekonferenz äußern. Vorab betonte er, wie wichtig die Preisstabilität und die Unabhängigkeit der Zentralbank auch für ihn seien.

Negativere volkswirtschaftliche Konsequenzen

Kommt Uysal Erdoğans Wunsch nicht nach, könnte ihm das Schicksal seines Vorgängers blühen. Eine weitere schnelle Entlassung würde allerdings die Glaubwürdigkeit der türkischen Zentralbank in den Finanzmärkten und bei internationalen Investoren noch weiter beschädigen als die gerade vorgenommene. Das weiß auch der gelernte Finanzwissenschaftler Faik Öztrak von der Oppositionspartei CHP, der heute Vormittag meinte, "die, die den Zentralbankchef über Nacht abgesetzt haben", hätten "das Recht verloren, Vertrauen in die Wirtschaft des Landes zu fordern".

Wegen des Risikos, das eine Entlassung von Notenbankchefs bedeutet, zögern auch andere Staatschefs, solche Personen vor dem Ablauf der regulären Amtszeit zu entlassen. Einem US-Präsidenten wäre es beispielsweise - anders als bei Supreme-Court-Richtern - nicht grundsätzlich verboten, einen FED-Chef zu entlassen. Der Federal Reserve Act fordert in Section 10 lediglich eine Begründung dafür.

Dass der amtierende US-Präsident Donald Trump den mit ihm zinspolitisch nicht übereinstimmenden FED-Chef Jerome Powell bislang trotzdem noch nicht entlassen hat, dürfte auch damit zusammenhängen, dass er sich mit so einem Eingreifen dem Verdacht aussetzen würde, die Unabhängigkeit der Notenbank nicht ernst zu nehmen. Und wenn die Akteure an den Finanzmärkten so einen Verdacht hegen, kann ihr daraus resultierendes Verhalten für eine Volkswirtschaft negativere Konsequenzen haben als eine Zinserhöhung (vgl. Trump soll über Ablösung von Zentralbankchef nachdenken).

Manche Politiker achten deshalb bereits bei der Auswahl ihrer Zentralbankchefs sehr genau auf eine gewisse Politiknähe. Die gibt es zum Beispiel bei der nominierten EZB-Chefin Christine Lagarde, die früher französische Wirtschaftsministerin war und 2010 offen zugab, dass sie Regeln im Zweifelsfall nicht interessieren (vgl. Massive Kritik am EU-Posten-Karussell).

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