Erdogans Deutschland-Wahlkampf abgesagt?
Der türkische Präsident bezichtigt Deutschland der Terrorunterstützung. Wahlkampfauftritte seiner Minister werden unterbunden. Justizminister Maas zeigt Haltung
Es ist Wahlkampf. Türkischer Wahlkampf - in Deutschland. Fast eineinhalb Millionen Türken hierzulande sind beim Verfassungsreferendum im April stimmberechtigt. Da die Umfragen innerhalb der Türkei kein gutes Ergebnis für die Regierungspartei AKP und Staatschef Recep Tayyip Erdogan erwarten lassen, tobt nun der Kampf um Stimmen aus dem Ausland.
Und das nicht zum ersten Mal. Erdogans Auftritte vor deutsch-türkischen Anhängern haben seit vielen Jahren Tradition. Aber diesmal geht es um mehr. Die Verfassungsreform, die in ein Präsidialsystem münden soll, würde faktisch Rechtsstaat, Gewaltenteilung und parlamentarische Demokratie am Bosporus abschaffen (vgl. Wählen, ohne zu wissen, worum es geht).
Alle Macht im Staat würde auf den Präsidenten übergehen - ohne Checks and Balances wie im französischen oder amerikanischen Präsidialsystem. Die Frage, die die Gemüter erhitzt: Darf auf deutschem Boden für eine Wahl geworben werden, die fundamental gegen europäische Werte verstößt?
Der Wind dreht sich
Bislang hatte sich die Bundesregierung zurückhaltend gezeigt. Die Hexenjagd auf Oppositionelle, die Erdogan seit dem gescheiterten Putschversuch vom Sommer 2016 betreibt, hat man allenfalls vorsichtig kommentiert. Man hielt an Ankara als NATO-Partner fest. Bundeswehrsoldaten sind am NATO-Stützpunkt in Incirlik aktiv; die deutsche Rüstungsindustrie macht Milliardengeschäfte und der Flüchtlingsdeal mit der EU scheint bisweilen wichtiger zu sein als der Umgang der AKP mit Menschenrechten und Pressefreiheit.
Doch nun dreht sich der Wind. Seit der Verhaftung von Deniz Yücel, dem Türkei-Korrespondenten der "Welt", kühlt sich die Stimmung merklich ab. Die Istanbuler Staatsanwaltschaft wirft Yücel Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vor. Als Belege dienen dessen journalistische Arbeiten - wie fast immer, wenn Journalisten verhaftet werden. Mehr als 150 sind es inzwischen, mehr als in jedem anderen Land der Welt.
Das AKP-nahe Hetzblatt "Star" schrieb in einem Aufmacher zu Yücel: "Kein Journalist, sondern PKK-Killer." Der Beitrag wurde unter anderem mit einem Bild Yücels nebst einer Öcalan-Flagge illustriert. Das Foto, das den propagandistischen Unsinn belegen soll, stammt von einer Hate-Poetry-Lesung. Yücel und einige andere Journalistenkollegen verlesen bei diesen Auftritten vor Hass strotzende Leserzuschriften und begegnen den rassistischen Ausfällen mit Humor.
Deutliche Worte von Heiko Maas
Seither bemühen sich Freunde und Kollegen Yücels, mit der Aktion #FreeDeniz Öffentlichkeit herzustellen. Sie fordern seine umgehende Freilassung - und auch die der anderen in der Türkei inhaftierten Journalisten. Eine von Hunderten Kollegen unterzeichnete Anzeige erschien vor einigen Tagen in zahlreichen großen Medien bundesweit.
Inzwischen fand auch Justizminister Heiko Maas (SPD) deutliche Worte. Im Gespräch mit Özgürüz-Chefredakteur Can Dündar, der selbst aus der Türkei flüchten musste, mahnte er, die Bundesregierung dürfe das nicht hinnehmen: "Die Zeit der leisen Töne ist vorbei."
Auf Nachfrage Dündars zeigte Maas eine klare Haltung zu der Frage, ob Erdogan, wie es angedacht ist, erneut zu einem Wahlkampfauftritt nach Deutschland kommen kann:
Wer bei uns von der Meinungsfreiheit Gebrauch machen will, für den muss dort, wo er herkommt die Pressefreiheit und die Rechtsstaatlichkeit genauso Realität sein. Und das scheint im Moment eher ein Problem in der Türkei zu sein. Insofern hängt es an Herrn Erdogan selber, die Voraussetzung dafür zu schaffen, in Deutschland auftreten zu dürfen oder eben nicht.
Heiko Maas
Erdogan: Yücel ist PKK-Mitglied und deutscher Agent
Erdogan selbst legte am Freitag nach. Er bezeichnete Deniz Yücel als PKK-Mitglied und deutschen Agenten, der sich in der deutschen Botschaft versteckt habe. Es sind durchschaubare Lügen, die bei einem kleiner werdenden Teil der AKP-Anhänger auf fruchtbaren Boden fallen.
Zudem forderte Erdogan, Deutschland solle wegen Unterstützung von Terrorismus angeklagt werden. Der türkische Präsident konstruiert eine bundesdeutsche Verschwörung gegen die Türkei, weil die Bundesregierung es nicht geschafft hat, eine klare und entschiedene Haltung zu zeigen.
Vor kaum zwei Wochen sprach der türkische Ministerpräsident Binali Yildirim vor rund 8.000 Anhängern in Oberhausen. Dort wurde erneut der Ruf nach Wiedereinführung der Todesstrafe laut, die Erdogan für den Fall seines Wahlsieges signalisiert hatte. Am Donnerstag sollte Justizminister Bekir Bozdag in Gaggenau sprechen - doch der Termin wurde von der Stadtverwaltung in letzter Minute "aus Sicherheitsgründen" gecancelt.
Ebenso wurde ein geplanter Auftritt von Wirtschaftsminister Nihat Zeybekci in Köln am Sonntag vom Bezirksrathaus Porz abgesagt, und auch das erhoffte Ausweichquartier in Frechen im Kölner Speckgürtel sagte ab. Für Erdogans eigenen Auftritt sieht es folglich nicht gut aus. Alles andere wäre nach seinen letzten Äußerungen auch indiskutabel.