Erleben wir eine Entdollarisierung?

Eine geopolitische Neuordnung durch Russland und China kündigt sich an. Der Dollar könnte als Leitwährung verschwinden. Der Aufstieg zur globalen Währungsmacht und der drohende Niedergang. Teil 1

Die Entdollarisierung ist offenbar da, "ob es uns gefällt oder nicht", wie ein Video des Quincy Institute for Responsible Statecraft, einer friedensorientierten Denkfabrik mit Sitz in Washington, D.C., vom Mai 2023 zeigt.

Justin Podur ist Buchautor und lehrt an der York University in Toronto Umwelt- und Stadtentwicklung.

Quincy ist nicht allein damit, über die Entdollarisierung zu diskutieren: Die politischen Ökonomen Radhika Desai und Michael Hudson haben die Mechanismen in vier Sendungen zwischen Februar und April 2023 in ihrem vierzehntägigen YouTube-Programm "Geopolitical Economy Hour" erläutert. Der Wirtschaftswissenschaftler Richard Wolff lieferte eine neunminütige Erklärung zu diesem Thema auf dem Kanal Democracy at Work.

Andererseits haben Medien wie Business Insider ihren Lesern versichert, dass die Dominanz des Dollars nicht verschwinden wird. Der Journalist Ben Norton berichtete über eine zweistündige, parteiübergreifende Anhörung im US-Kongress, die am 7. Juni stattfand – "Dollar-Dominanz: Bewahrung des Status des US-Dollars als globale Reservewährung" – über die Bewahrung der US-Währung vor einer Entdollarisierung.

Während der Anhörung äußerten sich die Kongressmitglieder sowohl optimistisch als auch besorgt über die Zukunft der Vormachtstellung des Dollars. Doch was hat diese Debatte ausgelöst?

Bis vor Kurzem akzeptierte die Weltwirtschaft den US-Dollar als Weltreservewährung und als Medium für internationale Transaktionen. Die Zentralbanken Europas und Asiens hatten einen unstillbaren Appetit auf in Dollar gehandelte US-Staatsanleihen, was wiederum Washington ermöglichte, nach Belieben Geld auszugeben und seine Schulden zu finanzieren.

Sollte ein Land politisch oder militärisch aus der Reihe tanzen, konnte Washington es sanktionieren und vom auf dem Dollar beruhenden Welthandelssystem ausschließen.

Aber für wie lange? Nach einem Gipfeltreffen zwischen dem russischen Präsidenten Wladimir Putin und dem chinesischen Präsidenten Xi Jinping im März erklärte Putin:

Wir sind dafür, den chinesischen Yuan für Zahlungen zwischen Russland und den Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas zu verwenden.

Fareed Zakaria von CNN stellte diese Aussage in folgenden Zusammenhang:

Die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und ihr größter Energieexporteur versuchen gemeinsam aktiv, die Dominanz des Dollars als Anker des internationalen Finanzsystems zu brechen.

Bereits jetzt, so Zakaria, halten Russland und China weniger als zuvor von ihren Zentralbankreserven in Dollar und wickeln den Großteil ihres Handels in Yuan ab, während andere von den USA sanktionierte Länder sich dem "Tauschhandel" zuwenden, um nicht vom Dollar abhängig zu sein.

Ein neues globales Währungssystem oder zumindest eines, in dem es keine nahezu universelle Reservewährung gibt, würde eine Neuordnung der politischen, wirtschaftlichen und militärischen Kräfte bedeuten: eine geopolitische Neuordnung, wie es sie seit dem Ende des Kalten Krieges oder sogar des Zweiten Weltkriegs nicht mehr gab.

Ein Blick auf die Ursprünge und die Entwicklung des Systems macht jedoch deutlich, dass die Idee eines einheitlichen globalen Wechselkurssystems relativ neu ist und es keine festen Regeln gibt, die vorschreiben, wie ein solches System zu organisieren ist.

Werfen wir einen kurzen Blick auf die turbulente Währungsgeschichte des Welthandels und betrachten wir dann die Faktoren, die eine neue Phase in seiner Entwicklung auslösen könnten.

Imperiales Geld, das auf Gütern ruht

Vor der Dollarisierung der Weltwirtschaft hatte das internationale System einen Goldstandard, der durch die Seeherrschaft des Britischen Empire verankert war. Doch ein Währungssystem, das mit Gold, einem Rohstoff, unterlegt war, hatte einen inhärenten Makel: Deflation.

Solange die Metallförderung mit dem Wirtschaftswachstum mithalten konnte, funktionierte der Goldstandard. Doch wie Karl Polanyi 1944 in seinem Buch "The Great Transformation" feststellte, "kann die verfügbare Goldmenge [nur] um ein paar Prozent innerhalb eines Jahres erhöht werden ... nicht um Dutzende innerhalb weniger Wochen, wie für eine plötzliche Ausweitung der Transaktionen erforderlich wäre. In Ermangelung von Münzgeld müssten die Geschäfte entweder eingeschränkt oder zu sehr viel niedrigeren Preisen abgewickelt werden, was zu einem Einbruch und zu Arbeitslosigkeit führen würde."

Diese Deflationsspirale, die jeden wirtschaftlich belastet, beschrieb der ehemalige US-Präsidentschaftskandidat William Jennings Bryan in seiner berühmten Rede auf dem Parteitag der Demokraten im Jahr 1896, in der er erklärte: "Ihr sollt die Menschheit nicht an ein goldenes Kreuz festnageln". Für die wirklich Wohlhabenden war der Goldstandard natürlich eine gute Sache, da er ihr Vermögen vor Inflation schützte.

Die Alternative zum "Goldkreuz" für die Regierungen war, dafür sorgen, dass genügend Geld im Umlauf ist, um die Wirtschaft am Laufen zu halten. Statt also Warengeld aus Gold oder Silber zu verwenden, würde Token- oder "Fiat"-Geld herstellt: Papiergeld, das von der Staatsbank nach Belieben ausgegeben wird.

Das Problem mit dem Papiergeld war jedoch, dass es nicht auf fremdem Boden zirkulieren konnte. Wie sollte es also in einer globalen Wirtschaft möglich sein, den Außenhandel in Warengeld (Gold, Silber) und den Binnenhandel in Wertmarkengeld (Papier) abzuwickeln?

Das spanische und das portugiesische Imperium hatten eine Lösung, um den Fluss der Metalle aufrechtzuerhalten: Sie verübten Völkermord an den Zivilisationen Amerikas, raubten ihr Gold und Silber und zwangen die indigenen Völker, sich in den Minen zu Tode zu schuften.

Das niederländische und später das britische Imperium verschafften sich über verschiedene Mechanismen Zugang zu diesem Gold, u. a. über die Monopolisierung des Sklavenhandels durch den sogenannten Assiento-Vertrag von 1713 und den Raub indigener Ländereien in den Vereinigten Staaten und Kanada.

Gestohlenes Silber wurde zum Kauf wertvoller Handelsgüter in China verwendet. Großbritannien stahl dieses Silber nach den Opiumkriegen von dort zurück, im Zuge dessen das unterlegene China immense Entschädigungen (in Silber) zahlen musste.

Nachdem es sich als globaler imperialer Manager etabliert hatte, beharrte das britische Empire auf dem Goldstandard, während es Indien auf einen Silberstandard setzte. In seiner Dissertation aus dem Jahr 2022 bezeichnete der Politologe Jayanth Jose Tharappel dieses System als "bimetallische Apartheid": Großbritannien nutzte den Silberstandard für den Erwerb indischer Rohstoffe und den Goldstandard für den Handel mit europäischen Ländern.

Indien wurde dann als Geldpumpe für die britische Kontrolle der Weltwirtschaft benutzt und nach Bedarf ausgepresst: Indien erwirtschaftete einen Handelsüberschuss gegenüber dem Rest der Welt, hatte aber inzwischen ein Handelsdefizit mit Großbritannien, das von seiner Kolonie "Heimatgebühren" für das Privileg, ausgeplündert zu werden, verlangte.

Großbritannien erhob auch Steuern und Zölle in seinen Kolonien und Halbkolonien, indem es einfach Geld und Waren beschlagnahmte, die es gewinnbringend weiterverkaufte, was oft zu Hungersnöten und Millionen von Menschen das Leben kostete.

Das System der sogenannten Council Bills (von Großbritannien ausgestelltes Papiergeld) war ein weiterer raffinierter Plan: Die britische Krone verkaufte Papiergeld an Kaufleute gegen Gold und Silber. Die Händler nutzten die Council Bills, um indische Waren zum Weiterverkauf zu erwerben.

Die Inder, die in den Besitz der Council Bills kamen, lösten sie ein und erhielten Rupien (ihre eigenen Steuereinnahmen) zurück. Das Ergebnis all dieser Aktivitäten war, dass Großbritannien zwischen 1765 und 1938 45 Billionen Dollar aus Indien abzog, wie der Wirtschaftswissenschaftler Utsa Patnaik herausgefunden hat.