Erleben wir eine Entdollarisierung?

Seite 2: Vom Gold über goldgedeckte Währungen zum frei flottierenden Dollar

Im Laufe des 19. Jahrhunderts war ein indirektes Ergebnis von Großbritanniens hochprofitabler Verwaltung seiner Kolonien – und insbesondere des bequemen Abladens der britischen Exporte in ihre Märkte –, dass es in der fortschrittlichen Fertigung und Technologie gegenüber Deutschland und den Vereinigten Staaten ins Hintertreffen geriet: also Länder, in die es den aus Indien und China abgezogenen Reichtum als Investitionen gesteckt hatte.

Aufgrund der industriellen Überlegenheit Deutschlands und der Abkehr Russlands von Großbritannien nach der bolschewistischen Revolution sahen sich die Briten mit einer möglichen Niederlage gegen Deutschland im Ersten Weltkrieg konfrontiert, obwohl Großbritannien während des Krieges mehr als eine Million Menschen vom indischen Subkontinent zum Wehrdienst heranzog (mehr als zwei Millionen Inder sollten Großbritannien im Zweiten Weltkrieg dienen).

US-amerikanische Finanziers liehen Großbritannien so viel Geld, dass die US-Banken bei einer Niederlage im Ersten Weltkrieg einen immensen Verlust erlitten hätten. Als der Krieg zu Ende war, bestanden die Vereinigten Staaten zur Überraschung Großbritanniens auf einer Rückzahlung.

London drängte Deutschland zu Reparationszahlungen, um die US-Kredite zurückzuzahlen, und das Weltfinanzsystem brach in "konkurrierenden Abwertungen, Zollkriegen und internationaler Isolation" zusammen, wie Michael Hudson in seinem 1972 erschienenen Buch Superimperialismus beschreibt. Das bereitete den Weg für den Zweiten Weltkrieg.

Nach dem Zweiten Krieg bestand Washington auf einem Ende der Pfund-Zone. Die Vereinigten Staaten wollten nicht länger zulassen, dass Großbritannien Indien als seine eigene private Geldpumpe benutzt.

Doch John Maynard Keynes, der die Bücher Indian Currency and Finance (1913), The Economic Consequences of the Peace (1919) und die General Theory of Employment, Interest, and Money (1936) verfasst hatte, glaubte, einen neuen und besseren Weg gefunden zu haben, um das für den Außenhandel benötigte Warengeld und das für die inländischen Geschäfte benötigte Token-Geld bereitzustellen, ohne jemanden an ein goldenes Kreuz zu schlagen.

Auf der internationalen Wirtschaftskonferenz 1944 in Bretton Woods, New Hampshire, schlug Keynes eine internationale Bank mit einer neuen Reservewährung, dem Bancor, vor, die zum Ausgleich von Handelsungleichgewichten zwischen Ländern eingesetzt werden sollte.

Wenn Mexiko etwa Öl verkauft und Autos von Deutschland erwirbt, könnten die beiden Länder den Handel in Bancors abwickeln. Wenn Mexiko mehr Bancors schuldet, als es besitzt, oder Deutschland einen wachsenden Überschuss an Bancors hat, würde eine internationale Clearing-Union Druck auf beide Seiten ausüben: Währungsabwertung für die Schuldner, aber auch Währungsaufwertung und Strafzinsen für die Gläubiger.

In der Zwischenzeit könnten die Zentralbanken sowohl der Schuldner- als auch der Gläubigernationen Keynes' Rat folgen und ihre Befugnisse zur Geldschöpfung nutzen, um die heimische Wirtschaft nach Bedarf anzukurbeln, und zwar innerhalb der Grenzen der im Inland verfügbaren Ressourcen und Arbeitskräfte.

Keynes machte seinen Vorschlag, aber die Vereinigten Staaten hatten einen anderen Plan. Anstelle des Bancors sollte der Dollar, der durch das in Fort Knox gelagerte Gold gedeckt war, die neue Reservewährung und das Medium des Welthandels werden.

Nachdem die USA mit einer intakten Wirtschaft und dem größten Teil des weltweiten Goldes aus dem Krieg hervorgegangen waren, führten sie den westlichen Krieg gegen den Kommunismus in all seinen Formen an und setzten dabei Mittel und Waffen ein, die von Putschen und Attentaten bis hin zu Entwicklungshilfe und Finanzinstrumenten reichten.

Auf der wirtschaftlichen Seite umfassten die Instrumente der USA Wiederaufbaukredite für Europa, Entwicklungshilfekredite für den Globalen Süden und Darlehen für Länder in Zahlungsbilanz-Schwierigkeiten (die berüchtigten "Rettungspakete" des Internationalen Währungsfonds (IWF)). Anders als die von Keynes vorgeschlagene internationale Verrechnungsunion verhängte der IWF ausschließlich Strafen gegen die Schuldner und verteilte exklusiv Belohnungen an die Gläubiger.

Die einzigartige Stellung des Dollars verschaffte den Vereinigten Staaten das, was ein französischer Finanzminister ein "beispielloses Privileg" nannte. Während jedes andere Land etwas exportieren musste, um Dollar für den Kauf von Importen zu erhalten, konnten die Vereinigten Staaten einfach die eigene Währung drucken und damit auf Einkaufstour gehen, um die Vermögenswerte der Welt zu erwerben.

Die Golddeckung blieb bestehen, aber die Kosten der Weltherrschaft wurden selbst für Washington während des Vietnamkriegs beträchtlich. Ab 1965 begann Frankreich, gefolgt von anderen Ländern, die Vereinigten Staaten beim Wort zu nehmen und tauschte US-Dollars gegen US-Gold ein, bis Washington die Golddeckung aufhob und der Dollar ab 1971 frei flotierte.

Wie es von hier zum Petrodollar, zur De-Dollarisierung und zu einem neuen Weltwährungssystem kommt, dazu im zweiten Teil mehr, der in Kürze auf Telepolis erscheint.

Der Artikel erscheint in Kooperation mit Globetrotter. Hier geht es zur englischen Version des Artikels. Übersetzung: David Goeßmann.