Ermöglicht das Internet künstlerisch und geistig Schaffenden eine Existenzgrundlage?
Einige Anmerkungen zur Dimension der Urheberrechtsdebatte
Vor dem Supreme Court in Washington wird derzeit ein Klage amerikanischer freischaffender Journalisten verhandelt. Sie wollen für die Einspeisung ihrer Texte durch Verlage in elektronische Archive und Datenbanken ein zusätzliches Honorar, was ihnen bisher seitens ihrer Auftraggeber verweigert wurde. Diese argumentieren, dass elektronische Archive und Datenbanken nur als Überarbeitung der Originalausgabe gelten, was durch das bezahlte Honorar abgedeckt sei. Für die Kläger hingegen handelt es sich dabei um ein neu erstelltes und damit auch neu zu bezahlendes Produkt. In Deutschland gibt es eine ähnliche Auseinandersetzung. Hier will die VG Wort eine zusätzliche Vergütung für die Einspeisung von Texte in Archive oder die Veröffentlichung auf CD-ROM geltend machen.
Derlei Verfahren werfen ein anderes Licht auf die bekannten Urheberrechtsprobleme und scheinen auf den ersten Blick wenig mit dem Internet und seiner Kultur zu tun zu haben. Denn man könnte sie schlicht als das Wiederaufleben alter Kämpfe im neuen Gewand betrachten. Doch das Internet verändert die Grundlagen geistigen und künstlerischen Schaffens, weil es die Distributionswege zwischen Produzent und Nutzern modifiziert. Denn es ermöglicht ein anderes, direkteres Verhältnis zwischen den künstlerischen und geistigen Produzenten und den entsprechenden Konsumenten.
Die Funktion vieler Vertriebs- und Medienfirmen wird sich in Folge dessen wohl radikal wandeln, vielen Künstlern könnte das die Existenz als Freischaffender ermöglichen. Das Urheberrecht, das ja als Interessenausgleich zwischen den unterschiedlichen Parteien wie Produzent, Konsument und Vertrieb von geistigem Eigentum geschaffen wurde, benötigt diesbezüglich wohl eine Erneuerung. Doch der eigentliche Kern des Problems ist die Frage, und das spiegelt sich in solche Verfahren wie dem vor dem Supreme Court wieder, ob das Internet überhaupt künstlerisch und geistig Schaffenden eine Existenzgrundlage ermöglicht. In seiner derzeitigen Struktur scheint es eher, wie bei den derzeit anstehenden Auseinandersetzungen um das Urheberrecht einen gerade zu gegenteiligen Effekt zu erzielen, in dem es die Position der künstlerisch und geistig Schaffenden mangels Interesse noch weiter schwächt.
Für den weitgehenden Zwang, Angebote im Internet müssten für die Nutzer kostenfrei sein, gibt es eine Reihe von Erklärungs- und Rechtfertigungsmodellen, sei es nun die "Kultur des Schenkens" oder die "Theorie einer Aufmerksamkeitsökonomie" . Beide versuchen, das Internet außerhalb der derzeitigen Geldökonomie zu positionieren und zu begründen. Das führt dazu, das gewisse ökonomische Strukturen nicht wahrgenommen oder verdrängt werden, weil sie außerhalb des Wahrnehmungsrasters stehen.
So gibt es im Internet ganz offensichtlich eine erhebliche Schieflage zwischen Gebern und Nehmern. Die Anzahl derjenigen, die ein im Netz vorhandenes Objekt, sei es nun ein Text, ein Programm oder ein Musiktitel, nutzen, ist ungleich größer, als diejenigen, die etwas zur Verfügung stellen. Und es ist die Frage, ob zwischen diesen Gruppen ein gerechter Ausgleich jenseits einer direkten Entlohnung möglich ist. So hat, als ein entsprechendes Detail, eine neue Umfrage ergeben, dass 65% aller Deutschen nicht bereit sind, für das Herunterladen von Musikstücken Geld zu bezahlen.
Das Internet entpersönlicht die Beziehung zwischen den einzelnen, ersetzt sie durch eine abstrakte technische Apparatur. Die moralische Verbindlichkeit, die ein wesentliches Element eines ausgeglichenen Nehmens und Gebens ist, geht dadurch verloren. Noch etwas kommt hinzu. Denn wenn jemand etwas im Netz kostenfrei zur Verfügung stellt oder sich z. B. im Rahmen eines Open Source Projekts unentgeltlich an der Weiterentwicklung eines Programms beteiligt, so kann er dies nur, wenn ihm andere Quellen außerhalb des Internets diese Arbeit finanziell ermöglichen. Das Internet in seiner heutigen Form kann sich als Medium in weiten Bereichen überhaupt nicht selbst tragen, kann die Arbeit, die in es investiert wird, nicht refinanzieren. Viele Angebote existieren daher nur, weil sie sich durch andere (Offline-)Quellen finanzieren. Bisher hat das Internet vor allem als ein großer Vernichter von (auch geistigem) Kapital fungiert.
Im Softwarebereich gibt es dank der technischen Entwicklung längst einen halbwegs funktionierenden Kopierschutz der Produkte, der es auch Einzelnen ermöglicht, von der Frucht ihrer Arbeit zu profitieren. Im Musikbereich wurde genau dies durch die Freigabe der MP3-Technik verunmöglicht. Das Kopieren ohne Kontrolle ist inzwischen in einem Maße verbreitet, dass es sich durch technische Maßnahmen zur Wahrung des Urheberschutzes kaum eindämmen lassen wird. Dabei offenbart die allgemeine Haltung der Nutzer ein erhebliches Desinteresse an der Situation der betroffenen Künstler. Die Argumentation, das Kopieren von Musikstücken würde, wenn überhaupt, nur den großen Musikfirmen schaden, greift da zu kurz. Denn es ist kein nur, sonder allein ein auch. Der Druck, der auf die Firmen entsteht, verschärft aber auf die Dauer die Situation der Künstler in ihrer Auseinandersetzung um eine angemessene Vergütung für ihre Arbeit.
Die anderen Bereiche künstlerischen und geistigen Schaffens sind von den Problemen, die das Internet hervorrufen kann, noch nicht in aller Schärfe betroffen. Manche, wie die bildende Kunst, sind dagegen von Haus aus weitgehend immunisiert, bei anderen, wie z.B. die Literatur oder der Film ist es nur eine Frage der Zeit und der technischen Entwicklung, bis auch sie sich mit analogen Problemen befassen müssen.
Wenn das Internet dann den Produzenten und nicht nur den Nutznießern der Arbeit derart vorteilhaft sein soll, dass es ihnen die Sicherung ihrer Existenz durch ihre Arbeit ermöglicht und nicht zerstört, muss nicht nur der (technische und urheberrechtliche) Schutz ihrer Arbeit gewährleistet sein, sondern sich auch die Vorstellung durchgesetzt haben, dass für die Nutzung künstlerischer und geistiger Arbeit eine finanzielle Abgeltung notwendig ist. Nur dann werden wir weiterhin von den Ideen anderer profitieren können. Denn auf die Frage: "Wovon leben?" müssen wir auch in Zukunft eine Antwort geben.