Erreichbarkeit im Weihnachturlaub: Weniger als die Hälfte gönnt sich echte Auszeit
Die gewerkschaftliche Sicht erscheint vielen nicht praktikabel. Ein Grund sind tatsächliche oder vermeintliche Erwartungen von Vorgesetzten und Kollegen. Oder die Angst, dass liegengebliebene Arbeit sich rächt.
Geht es nach der Dekoration in Einzelhandelsgeschäften, beginnt die "besinnliche Zeit" gefühlt jedes Jahr früher. Viele Berufstätige kennen sie aber im engen Wortsinn gar nicht mehr. Mehr als die Hälfte der Beschäftigten ist auch im Weihnachtsurlaub dienstlich erreichbar, wie eine aktuelle Umfrage des Berliner Digitalverbands Bitkom ergab.
55 Prozent sind es insgesamt – 31 Prozent lassen sich sogar per Video-Call kontaktieren. Praktisch alle der Erreichbaren gehen im Weihnachtsurlaub dienstlich ans Telefon, fast ebenso viele reagieren auch auf Kurznachrichten.
Weit weniger genutzt werden an den Feiertagen Tools wie Microsoft Teams oder Slack – nur eine Minderheit von vier Prozent ist in diesem Zeitraum auch auf solchen Wegen erfolgreich zu kontaktieren.
Spannungsfeld zwischen dienstlichen Kontaktpersonen und Familie
Die meisten Berufstätigen, die zur Weihnachtszeit erreichbar sind, wollen der ausdrücklichen oder vermuteten Erwartung von Vorgesetzten entsprechen (62 Prozent). Bei 46 Prozent geht es um die wahrgenommene Erwartungshaltung von Kollegen und bei 28 Prozent um die der Kundschaft.
Ein Fünftel will den Erwartungen von Geschäftspartnern Rechnung tragen – und 14 Prozent stellen an sich selbst den grundsätzlichen Anspruch, auch in den Ferien erreichbar zu sein.
Wer nicht erreichbar ist, will in der Regel bewusst eine klare Abgrenzung zwischen Berufs- und Privatleben: 60 Prozent möchten einfach nicht dienstlich kontaktiert werden. Ein knappes Drittel lehnt dies auf Wunsch von Familienangehörigen ab.
Allerdings gibt es auch Unternehmen, die schlichtweg keine Erreichbarkeit an den Feiertagen erwarten – dies ist bei 29 Prozent der Berufstätigen der Fall. 16 Prozent werden sogar von Vorgesetzten aktiv ermutigt, sich konsequent eine Auszeit zu nehmen. Für zwei Prozent gilt von Seiten der Vorgesetzten ein Verbot der Erreichbarkeit im Urlaub.
Verschwimmende Grenzen
"Die Grenzen zwischen Berufs- und Privatleben verschwimmen in einigen Jobs stark. Damit das Wohlbefinden der Beschäftigten nicht leidet, sollten Arbeitgeber während der Urlaubszeiten funktionierende Vertretungslösungen organisieren und klare Regeln zur Erreichbarkeit kommunizieren", erklärte dazu am Montag Bitkom-Hauptgeschäftsführer Dr. Bernhard Rohleder.
Für die Gewerkschaft ver.di ist der Fall klar: "Beschäftigte sind für den Arbeitgeber während des Urlaubs nicht erreichbar und müssen es auch nicht sein."
In der Praxis gestaltet sich das dank Arbeitsverdichtung oft schwierig, weil es Beschäftigten nach dem Urlaub "auf die Füße fallen" kann, wenn sie es zeitlich vorher nicht schaffen, die aufgetragene Arbeit abzuschließen oder eine reibungslose Übergabe zu organisieren. Arbeitsrechtlich darf eine permanente Erreichbarkeit im Urlaub aber zumindest nicht vorausgesetzt werden.
Die Tendenz zur Erreichbarkeit ist nach Bitkom-Erhebnungen 2022 im Vergleich zum Vorjahr leicht gestiegen – 2021 waren über die Feiertage laut Umfrage 53 Prozent in irgendeiner Form dienstlich erreichbar. Im Vor-Corona-Jahr 2019 waren es allerdings noch 71 Prozent.