"Erst inspirieren, dann spielen"
Die Macher des Internetpuzzles Aladygma über Indie-Games, Netzkunst und Virales Marketing
Im Februar 2007 wurde mit Aladygma ein Projekt ins Leben gerufen, das ein Jahr später startete und seither im Internet seine Fäden spinnt. Im Grunde ist es eine Art Online-Schnitzeljagd, bei der Spieler Botschaften in Texten und Bildern erkennen müssen. Dann gibt man die jeweilige URL in eine Suchmaschine ein und hofft, dass sich Gleichgesinnte in Foren finden. Auf den ersten Blick wirkt alles undurchschaubar – und das trifft auch auf die Macher zu: Sie agieren anonym. Tefay und Chami, so die Nicknames des Duos, im Interview.
Wieso ist das Konzept von Aladygma so undurchsichtig?
Tefay und Chami,: Das kann man so beschreiben: Wenn man sich ein abstraktes Bild ansieht, das eine blaue Linie zeigt inmitten von braungrünen Farben, dann versucht unser Gehirn, sich alles Mögliche vorzustellen. Das Blau könnte ein Fluss sein oder ein Blick zum Himmel zwischen zwei Wänden. Genauso kann man sich durch die Farben in eine bestimmte Stimmung versetzen. Dasselbe Bild als Satellitenfoto von einem Stück Land oder irgendeines Flusses wird sofort von unserem Gehirn als Landschaft übersetzt, da man den Reiz in einem bestimmten Rahmen sieht, also Informationen hat, die unsere Wahrnehmung bestimmen. Wir wollen durch Aladygma vor allem Stimmungen erschaffen, die die Kreativität fördern und das Vorstellungsvermögen bewegen. Zwar geben wir auch Infos, die zum richtigen oder auch zum augenscheinlich falschen Weg führen, doch was zählt, ist nicht, ob man auf dem richtigen Weg ist oder nicht, vielmehr zählt, inwieweit man sich vom Reiz hat stimulieren lassen. Wir wollen erst inspirieren, und dann spielen.
Kommt Ihr aus der Netzkunst der 90er oder hat sie Euch in irgendeiner Weise beeinflusst?
Tefay und Chami,: Netzkunst hat uns schon beeinflusst, Künstler wie Ken Geldberg und Olia Lialina, aber auch Künstler, die nicht unbedingt oder direkt mit dem Netz zu tun haben, sondern eher mit Installationen und Provokation. Da gibt es einige, zum Beispiel Carl Andre, Dan Flavin, Roy Lichtenstein, Walter De Maria, Claes Oldenburg, Andy Warhol oder Joseph Beuys. Darüber hinaus hat uns die Comicwelt inspiriert und vor allem die Filmwelt, H.R. Giger und Filme wie „Blair Witch Projekt“ sowie „Cloverfield“ und Internetkampagnen wie die Virale Kampagne von „A.I.“.
Die Netzkunst galt ja lange Zeit als tot. Ist Aladygma insofern als Revival gedacht?
Tefay und Chami,: Netzkunst ist interessant, weil sie jenseits der üblichen Vertriebskanäle des Kunstbetriebs existiert. Sie braucht keine Galerien oder Museen, ist unabhängig, man braucht kaum Kapital für den Start und so weiter. Doch Netzkunst hat auch ihre Grenzen, diese dürfen Aladygma wiederum nicht ausbremsen.
Wo liegen diese Grenzen?
Tefay und Chami,: Kunst ist seit jeher auch eine Geschichte der Grenzen. Durch Kunst versucht man ja oft Grenzen zu entkommen oder diese in irgendeiner Weise zu bewältigen. Es gibt Kunst gegen Langweile, gegen Gewalt, gegen Krieg, gegen die Mauer, und Kunst, um den Grenzen des Alltagslebens zu entkommen. Kunst wird natürlich auch vom Betrachter als Befreiung erlebt. Doch der Künstler selbst kämpft ständig mit Grenzen: „Hab ich genug Geld, um meine Leinwand zu kaufen?“, „Wie kann ich über die Grenzen der eingerahmten Leinwand gehen?“. Viele Künstler wie Picasso oder Pollock haben auch gekämpft, nämlich gegen die Kunst selbst, weil die Malerei selbst eingrenzt. Also weg von den Formen, ein Gesicht mal eckig malen, eine Leinwand einfach zufällig bespritzen statt ordentlich, bewusst zu malen.
Übertragen auf die Netzkunst würde das heißen, das Internet setze einem Grenzen…
Tefay und Chami,: Ja, auch wenn das Internet auf den ersten Blick grenzenlos scheint. Denn gerade das macht es dem Künstler schwer. Wie soll er seine Kunst verkaufen, wenn jeder sie kopieren und weitergeben kann? Wie kann man das Medium nutzen, damit man davon profitieren kann? Das Internet ist schneller als der Künstler selbst, nichts bleibt für ewig erhalten, keine Site hat die hundertprozentige Sicherheit und Garantie zu überleben. Es sind Grenzen da, denen Aladygma versucht zu entkommen, indem es diese Grenzen für sich nutzt. Ist eine Barriere da, dann zeigen wir sie auf und fragen: „Was kommt danach?“. Wir lassen den User antworten, das ist die Kunst. Außerdem versuchen wir bewusst, uns nicht als Künstler zu sehen, sondern mal als Forscher, mal als Betrachter selbst. Wir müssen immer wieder von unserer Rolle als Künstler wegkommen und die Spieler-, die Betrachterposition einnehmen. Nur so können wir verstehen, was unsere Arbeit zu sehr eingrenzt und wie man alles erweitern und verbessern kann. Außerdem haben wir die Grenzen der Grenzenlosigkeit des Internets bewältigt, indem wir auch echte Menschen eingesetzt haben, die in der realen Welt antworten und agieren.
Was haltet Ihr von der aktuellen Independent-Games-Szene und der kommerziellen Branche?
Tefay und Chami,: Wir mögen die Indie-Games-Szene sehr, doch von Anfang an haben wir versucht, uns so wenig wie möglich davon beeinflussen zu lassen. Wir wollten von Anfang an etwas schaffen, das nicht von Spezialeffekten, tollen Animationen und genialer 3D-Grafik lebt, sondern eher auf Emotionen baut. Einfache Bilder, die Indizien verstecken, bewegen den Besucher länger als ein dreidimensionales Spiel, das morgen eventuell schon veraltet wirkt. Wir haben gern echte Menschen, die real antworten, denn der Realitätsbezug ist uns besonders wichtig. Einige unserer Schauspieler sind tatsächlich so in diese Geschichte involviert, dass ihre Aussagen mehr als ehrlich sind, weil ihr Leben von Aladygma beeinflusst wird. Sie werden von Fans angesprochen, bekommen Unmengen von E-Mails, wurden gesucht, obwohl sie meistens gefakte Namen haben und ihre Gesichter noch nicht gezeigt wurden. Es ist keine Übertreibung, wenn wir erzählen, dass ein Schauspieler fast dabei ist, seine Wohnung aus diesem Grund wechseln zu müssen. Es war unseren Akteuren von Anfang an klar, dass sie einen harten Weg gehen, der vor allem aber auch neuartig und spannend ist. Das ist für uns das, was in der Games-Szene am meisten gefehlt hat und was wir mit Aladygma geschaffen haben. Es verbleibt nicht alles virtuell. Das soll auf den ersten Blick billig aussehen. Filme, die man mit dem Handy dreht, als wären sie spontan in einer bestimmten Situation aufgenommen worden. Es soll so aussehen, als könne es fast jeder genau so machen, wenn nicht sogar besser. Viele Videos auf YouTube, die sich als Aladygma verkaufen, sind besser als die, die wir produziert haben, und das ist gut so. Es ist wie bei Pop-Musik – Weniger ist mehr.
Pop-Musik? Inwiefern?
Tefay und Chami,: Man hört ein Lied, das wenige Noten oder Klänge hat, und dennoch stellt man sich im Kopf ein Orchester vor. Und unser Erfolg basiert auf der Vorstellungskraft der Besucher, der Fans, der Spieler, weil sie in Aladygma alles sehen wollen, was von ihnen sehnsüchtig gesucht wird. Manchmal haben unsere Spieler richtig geraten, manchmal nicht. Aber für sie ist es gut so. Man kann auch in einem Schwarzweißfilm eine blutige Szene intensiver empfinden als in einem Farbfilm, da man sich alles noch schlimmer vorstellt als es womöglich wirklich ist.
Da ist das Internet doch das optimale Medium für Euch, oder?
Tefay und Chami,: Von Anfang an war klar, dass wir mit allen möglichen Mitteln des Internets arbeiten wollten, vor allem aber, mit den Mitteln, die einfache Menschen haben und nutzen, Blogs, Videos, die mit einer kleinen Kamera erstellt werden können. Die Schönheit und der Wahnsinn des Internets bestehen darin, dass jeder die Geschichte neu erfinden kann. Offensichtlich nutzen viele es, um etwas Böses zu tun, doch wir wollen zeigen, dass Menschen ein enormes künstlerisches Potenzial haben.
Ohne die User würde also gar nichts gehen?
Tefay und Chami,: Nun, was bei Aladygma zählt, sind seine Fans. Aladygma ist weniger wichtig als das, was die Menschen daraus machen. Man muss nur sehen, wie viele Blogs sich rund um unser Projekt entwickelt haben und wie viele Videos weltweit gedreht wurden und so weiter. Das Internet ist eine Waffe in den Händen einer Rebellengruppe, leider oft für falsche Zwecke benutzt, aber das Internet kann viel besser als eine organisierte Reise, wie eine Fernsehsendung sein, in der alles, was man sieht, von einer Person oder Firma beschlossen wurde. Wir wollten das Internet anders sehen. Nicht nur als mehr oder weniger exakte Enzyklopädie, nicht nur als Unterhaltung, sondern als Möglichkeit, ein weltweites Kunstwerk zu schaffen. Aladygma ist ein Beispiel dafür, wie Barrieren, wie Sprache und Symbole überwunden werden, und nicht, weil wir Aladygma übersetzen, sondern die, die mitspielen, sich darum kümmern, dass auch andere Mitspieler weiterkommen.
Ihr werdet ja dem Viralen Marketing zugeschrieben. Doch das passt besser zu mittelständischen Unternehmen. Wäre da Guerilla Marketing nicht passender?
Tefay und Chami,: Das ist ein schwieriges Thema, aber auch interessant. Viele diskutieren bereits darüber, was eigentlich der Unterschied zwischen beiden Begriffen sei.
Ja, mitunter betrachten manche Virales Marketing sogar nur als Instrument des Guerilla Marketings…
Tefay und Chami,: Wir glauben, dass wir im Grunde kaum Guerilla Marketing betrieben haben. Das funktioniert nämlich nicht unbedingt durch Mitwirkung der Konsumenten, sondern dadurch, dass sie überrumpelt werden. Es kann dann zu viralen Effekten kommen, vorausgesetzt, die Überraschung war positiv. Aber es ist hierbei viel schwieriger, als Betreiber damit umzugehen und vor allem auf lange Sicht zu arbeiten.
Die Methode ist also zu hart?
Tefay und Chami,: Ja, denn solche Hintergründe können auch nerven, stören, unangenehm sein. Beim Guerilla Marketing wird etwas plötzlich wie eine Bombe explodieren, und zwar an Stellen, an denen man es nicht erwartet hätte. Das ist so was wie eine Art Umwelt-Spam. So haben wir unsere Botschaft allerdings nicht verbreitet. Und wie gesagt, Virales Marketing ist hingegen auf die Mitwirkung der Rezipienten angewiesen, also auf diejenigen, die damit in Berührung kommen und die es von sich aus weiterleiten. Virales Marketing kann deshalb niemals Spam sein – Spam wird meist schnell identifiziert und nicht weitergeleitet.
Einleuchtend. Andererseits ist Aladygma von unten, ohne nennenswertes Budget entstanden…
Tefay und Chami,: Es ist schon sehr schwierig, eine Trennlinie zu ziehen, da letztlich jeder seine Interpretation davon hat. Aber nun, wenn man Guerilla Marketing als Kunst sieht, den von Werbung übersättigten Konsumenten, größtmögliche Aufmerksamkeit durch unkonventionelles beziehungsweise originelles Marketing zu entlocken, dann haben wir tatsächlich auch Guerilla Marketing betrieben. Schließlich haben wir uns außerhalb der klassischen Werbekanäle bewegt. Wir haben am Anfang kaum Geld eingesetzt, dafür aber maximale Aufmerksamkeit erreicht. Das ist eben auch eine Kunst.
Tefay und Chami beantworteten Telepolis-Autor Frank Magdans die Fragen für sein in diesen Tagen erscheinendes Buch „Game Generations“ (Schueren-Verlag).
Platz hat das Interview darin nicht gefunden, daher wird es an dieser Stelle veröffentlicht. In einem der Kapitel geht es unter anderem um die Independent-Games-Szene, in dem auch auf Aladygma eingegangen wird.