Erste sich selbst auch materiell replizierende Roboter

Wissenschaftler stellen ersten automatischen Koevolutionsprozess von Hardware und Software vor

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Künstliches Leben, das sich evolutionär entwickelt, findet bestenfalls in den Speichern von Computern statt. Roboter, die einen materiellen Körper haben, können sich bislang weder selbständig fortpflanzen noch evolutionär entwickeln. Just diese Möglichkeit, die Hardware und die Software wie in der biologischen Evolution zusammen autonom entwickeln zu lassen, haben sich Wissenschaftler der Brandeis University vorgenommen - und sind dem bereits ein Stück weit näher gekommen.

In Wirklichkeit freilich ist eine autonome Evolution von Robotern noch in weiter Ferne, auch wenn die Träume bereits alt sind. Wäre es nicht schön, wenn Roboter auf dem Mond oder dem Mars sich reproduzieren und dabei auch optimieren, um eine Kolonie aufzubauen, in die dann auch irgendwann Menschen einziehen könnten oder die zumindest in der Lage wäre, Rohstoffe oder fertige Produkte für die Erde zu liefern?

Eine evolutionäre Entwicklung und Optimierung der Hard- und Software von Robotern würde natürlich auch die Menschen entlasten, die nicht mehr jeden Schritt selbst planen und umsetzen müssten - und dabei den Überblick verlieren. Dass sich mit evolutionären Strategien durchaus erfolgreich etwas konstruieren lässt, zeigen nicht nur die biologische Lebewesen, sondern auch die sogenannten genetischen Algorithmen. Und auch wenn die Kognition sowie das durch den Körper beschränkte Verhalten von Robotern softwaremäßig "autonom" wäre, so ist der letzte und wichtige Schritt dennoch wie in der biologischen Evolution eine gleichzeitige Anpassung von Software und Hardware, von Kognition oder Verhalten und Körper.

Hod Lipson und Jordan Pollock beschreiben in Automatic design and manufacture of robotic lifeforms (Nature, 406, 31. August 2000, 974-978) im Rahmen des Golem-Projekts ihre ersten Lösungen auf dem Weg zur Entwicklung eines wirklichen künstlichen Lebens, das sich selbst durch Reproduktion weiter entwickelt: "Unsere zentrale Behauptung ist, dass, um künstliches Leben zu verwirklichen, eine vollständige Autonomie nicht nur auf der Ebene der Energie und des Verhaltens erreicht werden muss (was heute das Ziel der Robotik ist), sondern auch auf der des Designs und der Herstellung. Erst dann können wir erwarten, dass künstliche Lebewesen in ihre eigene Evolution eintreten." Notwendig sei also eine automatische Planung und Herstellung von Robotern, die sich geringfügig unterscheiden sowie leicht, billig und massenhaft zu produzieren sind - eben so, wie die Natur Lebewesen schafft, testet und selektiert.

Die neuen Experimente sind die Konsequenz aus vorangegangenen Versuchen, bei denen ein Computer evolutionär eine Brücke aus Lego-Bausteinen entwerfen sollte. Die Bausteine konnten allerdings damals nicht vom Computer bewegt werden und mussten von Menschen zusammengefügt werden.

Die Wissenschaftler beschränkten sich bei ihrem Ansatz auf die koevolutionäre Entwicklung von einfachen Bauteilen - Stäbe und Gelenke - für den Körper und von künstlichen Neuronen für die Steuerung. Die Simulation ging von zylindrischen Stäben aus, deren Elastizität und Belastung ausgerechnet wurden. Die Länge der Aktuatoren veränderte sich in den Evolutionsschritten nur geringfügig, höchstens aber einen Zentimeter pro Zyklus. Je einfacher die Bauteile seien, desto größer sei auch der Lösungsraum für mögliche Strukturen. Am Optimalsten sei daher zumindest theoretisch die Verwendung von Atomen. Bei den evolutionär sich entwickelnden Bewegungsrobotern müssen allerdings die Bauteile von Hand zusammengesetzt und zur Fortbewegung mit einem Motor ausgestattet werden. Sensoren haben sie noch keine.

Gestartet wird die Evolution als Simulation ohne Neuronen und Stäbe. Die Selektion der Startpopulation von 200 Maschinen geschah lediglich anhand ihrer Fitness im Hinblick auf horizontale Fortbewegung, d.h. auf die Entfernung, die sie in einer bestimmten Zeit auf einer ebenen Fläche kriechend oder laufend, allerdings nicht springend zurücklegen konnten. Die fitteren Maschinen produzierten Nachkommen mit veränderten Eigenschaften, indem Bauteile hinzugefügt, entfernt oder verändert wurden. Dieser Prozess durchlief normalerweise 300 bis 600 Generationen, in denen sich Körper und Steuerung koevolutionär entwickelten.

Die Gewinner der evolutionären Lotterie wurden dann automatisch aus der Simulation in die Wirklichkeit übersetzt. Zunächst wurden sie in dreidimensionale grafische Modelle mit den Gelenken, "Knochen" und der Halterung für den Motor umgesetzt und dann ohne Eingriff von Menschen mit Rapid Prototyping Technik materialisiert, die das dreidimensionale Modell Schicht für Schicht mit einem thermoplastisches Material nachbaut. Alle Bauteile werden in einem Stück mit winzigen Plastikverbindungen produziert, die bei der ersten Bewegung auseinanderbrechen. Schließlich werden die Motoren eingebaut.

Normalerweise bestanden die Roboter aus durchschnittlich 20, manchmal redundanten Bauteilen - vielleicht, so die Wissenschaftler, damit Mutationen weniger katastrophal sind. Viele der erfolgreichen Roboter wiesen eine hohe Symmetrie auf und waren in dem Sinn robust, dass auch eine Veränderung der Länge ihrer Bauteile nicht wesentlich die Beweglichkeit behinderte.

Auch wenn die Roboter und ihre Evolution noch sehr einfach im Vergleich mit anderen Produkten von Menschen oder gar der biologischen Evolution seien, glauben die Wissenschaftler doch, gezeigt zu haben, wie sich ein Prozess starten lässt, bei dem "automatisch entworfene elektromechanische Systeme roboterhaft hergestellt wurden. Wir haben sorgsam menschliche Eingriffe in die Design- und Herstellungsschritte minimiert. Abgesehen vom Einfügen der Motoren bestand die einzige Arbeit von Menschen darin, die Simulation über das 'Universum' zu informieren, das hergestellt werden kann." Falls autonom sich entwickelnde künstliche Systeme mit und in der Realität handeln können sollen, dürfen sie nicht virtuell bleiben, sondern müssen sie nach Ansicht der Wissenschaftler "die Kluft zwischen Simulation und Realität überwinden, um zu lernen, sich evolutionär zu entwickeln und direkt die materielle Welt zu beeinflussen. Schließlich müsste der Evolutionsprozess Feedback von der live stattfindenden Leistung seiner Erzeugnisse akzeptieren."

Rodney Brooks vom MIT Artificial Intelligence Lab schreibt in einem ebenfalls in Nature veröffentlichten Kommentar, dass es eines der ehrgeizigsten Ziele in der AL-Forschung (Artificial Life) sei, lebende Systeme aus nicht-lebenden Teilen herzustellen. Lipson und Pollack haben für ihn "einen ersten Schritt zur Überbrückung der Kluft zwischen Computermodellen und materieller Realität geleistet." Allerdings weist er auch auf noch bestehende Mängel hin. So geschehe die Evolution der Bewegungsroboter lediglich im Computer, aber nicht in der materiellen Realität, so dass es kein Feedback von der materiellen Realität zur Simulation geben kann: "Das gleicht bestenfalls einem Virus, der andere komplexe Maschinen benutzt (die in diesem Fall selbst keine Lebensformen sind), um sich zu reproduzieren."

Andererseits spiegle der Evolutionsprozess Entwicklungsformen von lebenden Systemen. Beispielsweise produziere die Technik des Rapid Prototyping Gelenke, bei denen die Kugeln von der Pfanne nicht zu lösen sind, ohne sie zu zerstören. so ähnlich würden auch biologische Systeme wachsen. Und man könne auch sagen, dass die Roboter sich "natürlich" entwickelt hätten, weil die Experimente mit einem leeren "Genom" gestartet seien und sich wirklich zufällig - natürlich im Rahmen der Selektionskriterien - entwickelt hätten. Auf eine große Schwäche weist Brooks eher nebenbei hin: die Körper der Roboter, die durch Rapid Prototyping entstehen, sind noch weitaus primitiver als die Produktionsmaschine. Bei einer wirklichen Evolution sollten freilich die Produkte "fitter" sein, also durchaus - zumindest gelegentlich - komplexer.

Auf jeden Fall ist es noch ein weiter Weg von den winzigen, über eine Fläche kriechenden Plastikrobotern zu einer Generation von Robotern, die sich für bestimmte Aufgaben in der wirklichen Welt selbst entwerfen, optimieren und herstellen. Vielleicht trägt ja zur Beschleunigung die Erweiterung Golem@Home bei, ein Projekt des verteilten Rechnens, an dem jeder teilhaben kann, wenn er sich einen Bildschirmschoner herunterlädt und Prozessorkapazität zur Verfügung stellt (siehe auch Golem@home).