Es ist eine Maschine
Interview mit Jean Pierre Lebreton, Projektwissenschaftler bei der Huygens-Mission, über die Sonde und den geheimnisvollen Saturnmond Titan
Die Huygens-Sonde von der Europäischen Weltraumbehörde, die seit dem Start 1997 an Bord von Cassini reist, soll 2004 den Saturnmond Titan untersuchen. Er ist im Sonnensystem einzigartig, da seine Atmosphäre, wie man glaubt, weitgehend derjenigen auf der Erde gleicht, bevor dort das Leben entstanden ist. Um Titan, der einen Durchmesser von über 5000 Kilometern aufweist, näher zu untersuchen, von dem wenig bekannt ist, wird sich die Sonde von Cassini lösen, in die Atmosphäre eintauchen und in gewissem Rahmen auch selbsttätige Entscheidungen treffen. Messungen werden während des zweieinhalbstündigen Flugs durch die extrem kalte Atmosphäre (-120 bis zu -200 Grad Celsius) vorgenommen, aber man hofft auch, dass die Sonde unbeschadet mit einer Geschwindigkeit von 20 Stundenkilometer auf der Oberfläche des geheimnisvollen Mondes landen wird, um auch von dort Bilder zu senden. Huygens wird dann auch die erste europäische Sonde sein, die auf einer anderen Welt landet.
Hans-Arthur Marsiske spricht mit dem Entwickler der Sonde über sein Verhältnis zur ihr, die Suche nach Leben, die Erforschung des Jupitermondes Europa und die Zukunft der Weltraumroboter.
Herr Lebreton, im Dezember dieses Jahres wird es in gewisser Weise zu einem Gipfeltreffen berühmter Astronomen - zumindest der nach ihnen benannten Raumsonden - kommen, wenn sich Galileo, Cassini und Huygens für kurze Zeit beim Jupiter begegnen...
Jean Pierre Lebreton: Die beiden Sonden Galileo und Cassini werden einige gemeinsame Beobachtungen durchführen. Das ist in der Tat eine einzigartige Gelegenheit, Jupiter mit zwei Sonden gleichzeitig zu untersuchen, die sich wahrscheinlich in den nächsten Jahrzehnten nicht wiederholen wird. Wir freuen uns sehr darauf.
Das eigentliche Ziel der von Ihnen betreuten Huygens-Sonde, die an Bord von Cassini mit reist, ist aber der Saturnmond Titan. Was interessiert Sie daran?
Jean Pierre Lebreton: Titan ist im Sonnensystem einzigartig. Er hat eine Atmosphäre, die in vielerlei Hinsicht derjenigen auf der Erde ähnelt, bevor dort das Leben entstanden ist. Es ist eine sehr dichte Atmosphäre, die überwiegend aus Stickstoff besteht, aber auch Methan und andere Kohlenwasserstoffe enthält. Eine Reise zum Titan ist in gewisser wie eine Reise in die Vergangenheit der Erde vor vier Milliarden Jahren.
Hoffen Sie, Schlüssel zur Entstehung des Lebens auf der Erde zu finden?
Jean Pierre Lebreton: Lassen Sie mich zunächst klar sagen: Wir suchen auf Titan nicht nach Leben. Wir glauben nicht, dass dort Leben möglich ist. Aber wir hoffen in der Tat, durch die Untersuchung der Titan-Atmosphäre die organische Chemie besser zu verstehen, die auf der Erde schließlich zur Entstehung des Lebens geführt hat.
Was könnte für Sie die aufregendste Entdeckung bei dieser Mission sein?
Jean Pierre Lebreton: Zum einen kennen wir nicht die Oberfläche von Titan. Wir wissen, dass es eine feste Oberfläche gibt, aber ob sie aus Eis oder Fels besteht, ob es Gebirge gibt oder womöglich einen flüssigen Ozean, ist unklar.
Wieso das? Ist die Oberfläche von Wolken verdeckt wie bei der Venus?
Jean Pierre Lebreton: Nein, wir sind nicht einmal sicher, ob es auf Titan Wolken gibt. Das ist eine weitere Frage, die wir klären wollen. Außerdem suchen wir nach flüssigem Methan. Wir wissen, dass es reichhaltige Vorkommen auf Titan gibt, wissen aber nicht, ob sie in Form von Seen existieren oder ob es sich um unterirdische Vorkommen handelt, die möglicherweise als Geysire gelegentlich an die Oberfläche dringen. Also, es geht grundsätzlich um ein besseres Verständnis der Mondoberfläche und ihr Zusammenwirken mit der Atmosphäre.
Das Ziel der Mission ist es, die Sonde an Fallschirmen kontrolliert durch die Atmosphäre sinken zu lassen und mit Glück heil die Oberfläche zu erreichen?
Jean Pierre Lebreton: Ja, Huygens ist eine Atmosphären-Sonde. Beim Eintritt in die Atmosphäre wird sie zunächst mit ihrem Hitzeschild abbremsen. Nach etwa zwei Minuten werden in einer Höhe von 120 Kilometern nacheinander drei Fallschirme entfaltet. Der Abstieg wird maximal zweieinhalb Stunden dauern.
Diesen Abstieg wird die Sonde autonom steuern müssen, da sie für eine Fernsteuerung per Funk zu weit entfernt ist.
Jean Pierre Lebreton: Wir unterscheiden bei der Huygens-Mission zwei Phasen. In der gegenwärtigen Phase ist die Sonde noch mit der Muttersonde Cassini verbunden und normalerweise inaktiv. Wir wecken sie etwa alle sechs Monate, um Justierungen vorzunehmen und die Systeme zu überprüfen. Nachdem wir das Saturnsystem erreicht haben, wird sich Huygens von Cassini lösen und antriebslos für etwa drei Wochen weiter fliegen wie ein Stein. Kurz vor dem Eintritt in die Titan-Atmosphäre wird die Sonde von drei Weckern aktiviert. Dann startet eine sehr komplexe Sequenz automatischer Befehle, die schließlich zum Entfalten der Fallschirme und Einschalten der Instrumente führt, die die Atmosphäre untersuchen sollen. Es gibt da eine Menge Unsicherheiten, wir dringen wirklich in eine unbekannte Welt vor. Insofern haben wir die Sonde mit einem begrenzten Maß an Intelligenz ausgestattet, die es erlaubt, die Messungen an die vorgefundene Umgebung und an die jeweils durch Radar bestimmte Höhe anzupassen. In einem bestimmten Rahmen kann Huygens eigene Entscheidungen treffen. Wir haben die Sonde aber natürlich ausführlich unter verschiedenen zu erwartenden Bedingungen getestet.
Werden die Daten direkt zur Erde übermittelt?
Jean Pierre Lebreton: Nein, das geht nicht. Wir nutzen Cassini, die Titan einige Stunden nach Huygens' Eintritt in die Atmosphäre überfliegen wird, als Relais-Station. Dort werden die Daten zunächst gespeichert. Nachdem die Huygens-Mission abgeschlossen ist, wird Cassini die Antenne auf die Erde ausrichten und die Daten senden.
Sie sagten, dass Sie auf Titan nicht nach Leben suchen. Ich vermute, dass es dort einfach zu kalt ist, um Leben zu ermöglichen?
Jean Pierre Lebreton: Leben, wie wir es von der Erde kennen, benötigt einige Voraussetzungen, die auf Titan nicht gegeben sind. Es gibt kein flüssiges Wasser. Wenn Wasser vorhanden ist, existiert es bei diesen Temperaturen nur als Eis. Es gibt keinen Sauerstoff. Und es ist viel zu kalt. Leben kann es daher dort nicht geben, wohl aber dessen Vorstufe, die präbiotische Chemie. Das ist es, was uns interessiert.
Der Jupitermond Europa ist ebenfalls sehr kalt. Dennoch schätzen viele Wissenschaftler die Aussichten, hier flüssiges Wasser zu finden, recht hoch ein. Wie stehen Sie dazu?
Jean Pierre Lebreton: Europa ist eine andere, interessante Welt. In der Tat hat die Galileo-Sonde Hinweise auf flüssiges Wasser unter der Eisdecke gefunden. Ob sich dort, unter den extremen Bedingungen, Leben entwickeln konnte, wissen wir nicht. Um diese Fragen zu klären, wäre eine genauere Untersuchung von Europa durch Raumsonden der nächste Schritt.
Ich habe von Plänen gehört, eine Art Roboter-U-Boot nach Europa zu schicken, das sich durch das Eis schmilzt. Das dürfte aber noch einige Jahre in der Zukunft liegen, oder?
Jean Pierre Lebreton: Mehr als einige Jahre. Gegenwärtig arbeitet man bei der NASA an einem Orbiter, der in eine Umlaufbahn um Europa geschickt werden soll. Als nächstes könnten dann vielleicht bewegliche Roboter auf der Oberfläche abgesetzt werden, die das Eis genauer untersuchen. Erst in einer ferneren Zukunft können wir an einen Roboter denken, der sich durch das Eis schmilzt oder bohrt, um den möglicherweise darunter liegenden flüssigen Ozean zu untersuchen.
Das Eis soll mehrere Kilometer dick sein?
Jean Pierre Lebreton: Einige Wissenschaftler glauben, es könnte an einigen Stellen dünner sein, vielleicht nur einige hundert Meter. Aber die Mehrheit geht von mehreren Kilometern aus. Einen solchen Roboter zu konstruieren wäre daher eine große, aber auch sehr aufregende Herausforderung.
Wie sehen Sie die Zukunft von Weltraumrobotern? Bei der Vorbereitung dieses Gespräches erwähnten Sie kurz etwas von Roboterkolonien auf dem Mars...
Jean Pierre Lebreton: Wir haben zwei Möglichkeiten, andere Planeten zu erkunden, insbesondere die in unserer unmittelbaren Nachbarschaft wie Mars, Venus und Merkur. Die eine ist, Orbiter, Lander und Roboter zu entsenden. Damit meine ich gut konstruierte Roboter, die autonom agieren und sich den jeweils vorgefundenen Bedingungen anpassen können. Die andere Möglichkeit wäre, Proben von den Planeten auf die Erde zu holen. Es hat dazu schon einige Studien gegeben. Aber das Scheitern der jüngsten NASA-Missionen zum Mars zeigt uns, das wir möglicherweise doch noch nicht so weit sind. Ich halte es daher für aussichtsreicher, hoch entwickelte Roboter zum Mars zu schicken, die sich auf der Oberfläche bewegen, verschiedene Orte untersuchen und chemische Analysen durchführen können. Solche Roboter könnten den Transport einer Probe zur Erde vorbereiten oder auch - warum nicht? - eine bemannte Mission zum Mars.
Unter Weltraumwissenschaftlern gibt es viel Widerstand gegen bemannte Missionen. Ich habe den Eindruck, dass das vor allem mit dem Kampf um die begrenzten finanziellen Mittel zu tun hat. Oder gibt es noch andere Gründe?
Jean Pierre Lebreton: Das ist ein sehr kompliziertes Thema. Natürlich haben wir aus den Gesteinsproben, die die NASA-Astronauten vom Mond mitgebracht haben, viel über den Mond gelernt. Aber die Russen haben mit unbemannten Raumfahrzeugen auch Proben auf die Erde gebracht. Bemannte und unbemannte Missionen haben sich gegenseitig ergänzt. Darauf kommt es auch bei der Erkundung des Mars an, auf dem früher oder später sicher auch Menschen landen werden.
In gewisser Weise sind Raumsonden doch eine Verlängerung und Erweiterung unserer Sinne. Haben Sie manchmal das Gefühl, dass mit Huygens Teile Ihrer Augen und Ohren zum Titan unterwegs sind?
Jean Pierre Lebreton: Ja, ich vergleiche die Sensoren gerne mit menschlichen Sinnen. Radar und Mikrofon sind die Ohren, die Geräte zur chemischen Analyse entsprechen der Nase. Insofern gibt es Ähnlichkeiten zwischen einem Menschen, der Titan untersucht, und dieser von Menschen gebauten Sonde.
Was für ein Verhältnis haben Sie zu dieser Sonde? Ist es eine Maschine für Sie oder hat sie auch Ähnlichkeiten mit einem Haustier oder einem Kleinkind?
Jean Pierre Lebreton: Nein, es ist eine Maschine. Ich arbeite jetzt seit 18 Jahren an dieser Mission. Aber die Sonde ist aus Metall und mit hoch entwickelter Elektronik ausgestattet. Es ist kein Lebewesen. Es ist eine Maschine.