Es ist paytime in Europa

Abbildung 1

Deutschland muss in der Flüchtlingskrise für seine Sünden in der Eurokrise bezahlen

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Chickens come home to roost, sagt man im Englischen und man meint, dass böse Taten früher oder später zum Täter zurückkommen. So ist das in Europa in der Flüchtlingskrise. Wer auf europäischer Ebene arbeitet, merkt das offenbar eher als die nationalen Akteure. So sagt Martin Schulzvon der SPD, der Präsident des europäischen Parlaments, jetzt sei "paytime" in Europa, die anderen Länder würden die Gelegenheit der Flüchtlingskrise dafür nutzen, Deutschland etwas für sein Verhalten in der Eurokrise heimzuzahlen.

Abgesehen davon, dass das mit Martin Schulz einer sagt, der in erheblichem Maße Schuld am deutschen Verhalten ist und offenbar jetzt erst merkt, was er und andere angerichtet haben, hat er vollkommen Recht. Es ist paytime. Aber es ist nicht nur paytime, weil die anderen Länder genüsslich Deutschland etwas heimzahlen wollen, sondern es ist auch aus sachlichen Gründen eine vollkommen gerechtfertigte paytime.

Dass die Europäer alle gemeinsam in den Heimatländern der Flüchtlinge versagt haben, muss ich nicht wiederholen (hier findet sich ein Stück dazu). Dass die Flüchtlinge aber mit Deutschland vor allem das Land als Ziel ausgewählt haben, das den anderen Europäern in der Eurokrise in die Feder diktiert, was sie falsch gemacht haben, das hat gute Gründe.

Europa ist nämlich, wir beklagen es seit Jahren, wirtschaftlich ein gespaltener Kontinent. Auf der einen Seite stehen einige Nordländer, die hohe Überschüsse im Außenhandel aufweisen und in denen die Arbeitslosigkeit relativ niedrig ist. Dafür steht vor allem Deutschland. In den meisten Ländern des Ostens und des Südens ist aber die Arbeitslosigkeit sehr hoch, weil sie nach der Rezession von 2008/2009 nicht gesunken, sondern gestiegen ist (Abbildungen 1 bis 3).

Das gilt jenseits der südeuropäischen Krisenländer auch für Italien und Frankreich. Für diese beiden großen Länder ist Deutschland der wichtigste Handelspartner und sie sind deswegen besonders von der deutschen Politik negativ betroffen.

Aber auch kleinere Länder, die auf der Route der Flüchtlinge liegen, wie Kroatien und Slowenien haben weit schlechtere Arbeitsmarktbedingungen als Deutschland.

Abbildung 2

Nehmen wir ein anderes Beispiel: In anderen kleinen Ländern Osteuropas ist die Lage nicht so, dass man von dort freudige Zustimmung zu vermehrter Einwanderung erwarten kann. Das gilt auch für die baltischen Staaten, wo die offizielle gemessene Arbeitslosigkeit noch recht niedrig ist, die Probleme gleichwohl sehr groß sind.

Abbildung 3

Friederike Spiecker hat dazu vor einigen Monaten geschrieben: "Das heißt, die baltischen Arbeitsmärkte haben die hohe Zahl der Arbeitslosen keineswegs absorbiert, wie das die sinkenden Arbeitslosenquoten suggerieren könnten, sondern viele Menschen haben sich entweder entmutigt vom Arbeitsmarkt zurückgezogen oder sind abgewandert. Dass Abwanderung eine große Rolle spielt, dafür spricht die stark sinkende Bevölkerungszahl (Estland: -78000, Lettland: -395000, Litauen: -595000 Personen im Zeitraum zwischen 1999 und 2014; bei einer Gesamtbevölkerung im Jahr 2014 von knapp 3 Millionen in Litauen, knapp 2 Millionen in Lettland und 1,3 Millionen in Estland), die nur teilweise auf eine rückläufige Geburtenrate zurückzuführen ist." (Hier ist der Beitrag zu finden).

Dass die Lage bei der Arbeitslosigkeit in vielen Ländern so trostlos ist, liegt aber in erster Linie an der Politik der Eurogruppe, die von Deutschland dominiert wird. Wer mitten in der Rezession Austerität als einzige Lösung verkauft, wie das Herr Schäuble immer wieder getan hat (hier ein Beispiel), muss sich nicht wundern, dass mehr als der halbe Kontinent in extrem hoher Arbeitslosigkeit verharrt und in vielen Ländern die einheimische Bevölkerung auswandert, um woanders ihr Glück zu suchen.

Wer seit Beginn der Europäischen Währungsunion nichts anderes tut, als sich selbst über merkantilistisches Lohndumping absolute Vorteile im Außenhandel zu verschaffen und dabei absolute Nachteile der Partnerländer sehendes Auges in Kauf nimmt, muss sich nicht wundern, dass die Handelspartner die Geduld verlieren und froh sind über jede Belastung, die den Merkantilisten in die Schranken weist.

Es ist aber auch vollkommen klar, dass es Flüchtlinge und andere Migranten vorwiegend in die Länder zieht, wo die Arbeitslosigkeit niedrig ist. Wenn das ein Land mit absolut hohen Löhnen (und hoher Produktivität) ist, umso besser. Das zeigt die ganze Perversion der Situation, die in Europa durch den deutschen Merkantilismus geschaffen worden ist.

Ein Land mit einem absolut hohen Lohnniveau hat sich über relative Lohnstückkostensenkung (nominale Lohnzurückhaltung im Verhältnis zur eigenen Produktivität und zur Lohnentwicklung der Partner im Verhältnis zu deren Produktivität) Vorteile erschlichen, die dazu geführt haben, dass das Hochlohnland Deutschland seine Arbeitslosigkeit in die Partnerländer, auch in die mit absolut deutlich geringeren Löhnen, exportiert hat. Wäre es so, wie man es aus der traditionellen ökonomischen Theorie her kennt, dass nämlich das Land mit den hohen Löhnen auch die höhere Arbeitslosigkeit hat, gäbe es eine gewisse Balance bei dem Anreiz, von einem Land zum anderen zu wandern. So ist es aber nicht.

Man kann die Dinge auch so sehen: Bei hoher Mobilität der Arbeitskräfte in Europa hätte der deutsche Export von Arbeitslosigkeit zu einer hohen Zuwanderung von Arbeitskräften vor allem aus Niedriglohnländern mit geringerer Arbeitslosigkeit führen müssen. Das ist weitgehend ausgeblieben. Nun aber schaffen die Flüchtlinge den Ausgleich zwischen den nationalen Arbeitsmärkten, der angesichts der geringen innereuropäischen Mobilität ausgeblieben ist.

Daraus folgt, dass die in Deutschland diskutierten Wege zur Eindämmung der Einwanderung via Asylsuche niemals zum Ziel führen können. Eine deutsche Obergrenze für die Zahl der Flüchtlinge würde unmittelbar eine österreichische Obergrenze nach sich ziehen. Bei unvermindertem Ansturm würde das dazu führen, dass die Menschen in Slowenien bleiben müssen, in Kroatien oder in Griechenland, also in Ländern, denen es schlecht geht und die eine wesentlich höhere Arbeitslosigkeit als Deutschland haben.

Frau Merkel weiß im Gegensatz zur CSU (die es in ihrer Sturheit einfach nicht wissen will), dass das für Europa vollkommen unakzeptabel ist. Aber auch Kontingente sind nur dann machbar, wenn es von vorneherein klar ist, dass Deutschland wegen seiner besseren Arbeitsmarktlage sehr viel mehr Flüchtlinge aufnimmt, als es seiner Bevölkerungszahl entspricht. Das wird Deutschland nicht behagen, aber jede andere Lösung werden die Partner als ungerecht empfinden. So kommt nach Hause, was früher oder später nach Hause kommen musste: Deutschland bleibt allein in der Flüchtlingskrise, weil es in der Eurokrise die anderen über den Tisch gezogen hat.

Der Text wurde mit freundlicher Genehmigung von der Website flassbeck-economics übernommen. Heiner Flassbeck will hier versuchen, "der Volkswirtschaftslehre eine rationalere Grundlage zu geben". Von Heiner Flassbeck und Costas Lapavitsas ist das eBook "Nur Deutschland kann den Euro retten" erschienen. Siehe den exklusiven Auszug in Telepolis: Nur Deutschland kann den Euro retten!.

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