"Es könnte also sein, dass ich weiterhin in Brüssel Leute ärgern muss"
Seite 2: "Ja, genau"
Nunmehr bricht Ihr letztes Jahr in dieser EU-Legislaturperiode an. Was wollen Sie noch in Brüssel bewegen?
Martin Sonneborn: Wir arbeiten auch in Brüssel verbissen an einem Regime Change. Vier Jahre haben einer Kommission unter von der Leyen ausgereicht, um sämtliche Grundprinzipien, die den europäischen Gedanken einmal ausgemacht haben, zu rasieren: Frieden, Multilateralismus, offener Welthandel, eine freie Gesellschaft.
Zurzeit erinnert uns das alles an eine Orwell'sche Dystopie: eine Milliarde aus der Friedensfazilität für Bomben und Granaten. Krieg ist Frieden. Verschiebung von Geldern in einen militärisch-industriellen und einen pharmazeutischen Komplex. Gelder, die den Ländern fehlen für Bildung, Infrastruktur, soziale Leistungen.
Vor Ihrem sozialen Abstieg zum Politiker hatten Sie in der Satire-Industrie gearbeitet, als dieser Beruf noch als unterhaltsam und regierungskritisch galt. Heute fungieren Satiriker eher als pointenfreie Moralapostel mit staatstragender Attitüde. Haben Sie eine Rückkehr-Perspektive in Ihren alten Job?
Martin Sonneborn: Nein, brauche ich auch nicht. SPD und CDU basteln zwar nach wie vor an einer Prozenthürde für EU-Wahlen - die nach Rechtsauffassung des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag aber erst zur übernächsten Wahl eingeführt werden darf. Es könnte also sein, dass ich weiterhin in Brüssel Leute ärgern muss.
Immer mehr Journalisten wechseln umgekehrt ins Satire-Fach. Ein ehemaliger Chefredakteur interviewt etwa regelmäßig als Anarcho-Comedian eine verwirrte Seniorin, die sich für eine Fürstin hält und den Glauben an Engel propagiert. Brauchen wir eine Kennzeichnungspflicht für Satire?
Martin Sonneborn: Yep. Genau wie früher, wenn "Titanic" draufstand, war Satire drin.
Apropos Spaßpolitik: Die FDP will kommendes Jahr Büttenrednerin Frau Strack-Zimmermann nach Europa abschieben. Erhalten Sie Ihre These noch aufrecht, dass dort einzelne Abgeordnete keinen nennenswerten Schaden anrichten können?
Martin Sonneborn: Nein. Aber Frau Strack-Rheinmetall ist nicht die erste Waffen-Lobbyistin im Parlament. Wussten Sie übrigens, dass Rheinmetall amerikanischen Vermögensverwaltungsgesellschaften gehört? Vanguard, Blackrock etc.. die Gewinne gehen fast komplett in die USA.
Sie waren angetreten, um Europa zu melken, hatten letztes Jahr jedoch erkannt, dass im öffentlich-rechtlichen Rundfunk deutlich mehr Geld abzugreifen ist. Stehen Sie als erfahrener TV-Mann und Print-Potentat im September für die RBB-Intendanz zur Verfügung oder ist Ihnen diese Branche zu unseriös?
Martin Sonneborn: Bin interessiert, weiß aber nicht, ob ich nächstes Jahr in Berlin noch eine Wohnung bezahlen könnte.
Sie haben sich für die Lumpenpazifistin Frau Wagenknecht verwandt, die den ukrainischen Friedenstruppen wie schon Novemberverbrecher Erzberger einen Dolchstoß versetzen wollte. Weshalb sehen ausgerechnet Sie als ehemaliger Oberstgefreiter das Subventionieren militärischen Tötens kritisch?
Martin Sonneborn: Ja, genau.
Frau Wagenknecht denkt angeblich über die Gründung einer eigenen Partei nach, was der um die 5 Prozent-Hürde schwankenden Linkspartei den Rest geben wird. Erwägt die Partei eine Übernahme der Ruine?
Martin Sonneborn: Nein. Das würde unseren Altersschnitt verachtfachen. Wir müssten unser Partei-Shop-Sortiment komplett umstellen.
Wäre die FDP eine dankbare Übernahmekandidatin? Die sind im Bund von 11,5 Prozent auf derzeit ca. 6 Prozent runtergerauscht, sprechen aber überdurchschnittlich viele Erstwähler an und brüsten sich in Schleswig-Holstein sogar wieder mit einer Erotik-Darstellerin.
Martin Sonneborn: Nein. Wir übernehmen keine Spaß-Parteien. Smiley. Die FDP muss ich warnen, als wir in Hamburg - nach der Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre - auf Großplakaten "Puff ab 16!" forderten, erhielten wir keine Mehrheiten.