Es war einmal in einer schlecht beleuchteten Galaxis

Seite 2: Die Schwarmdummheit

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"Infinity War" heißt jetzt der neue "Avengers"-Film, und er geht gleich mit einer Szene los, die eher einem Ende ähnelt: Es war einmal in einer schlecht beleuchteten Galaxis.

Die ungleichen nordischen Brüder Thor und Loki - die Kenntnis der einzelnen Charaktere ist hier jetzt mal, wie im Film selbst, vorausgesetzt (aber im konkreten Fall hilft vielleicht auch Horst Seehofers Heimatmuseum) - wurden von Thanos gefangen und gefoltert. Denn dieser sammelt die sogenannten "Infinity Stones", kleine bunte Glassteinchen, deren jeder irgendeinen sehr sehr bedeutenden Bereich der Welt kontrolliert: Zeit, Raum, Macht, Geist, Wirklichkeit und Seele.

Wenn Thanos alle Steine hat, und jeden davon in einem Ring auf seinem Stahlhandschuh, dann kann er alles tun, überall und mit jedem. Aus unerfindlichem Grund interessieren ihn dabei die Menschen am meisten, die Hälfte will er ausrotten, um "das Universum ins Gleichgewicht zu bringen". Loki besitzt noch einen der Steine, doch der scheint ihm kein bisschen zu helfen. Als Brüderlein gefoltert wird, wird Loki schwach, gibt den Stein her: Danach dann lässt er sich zu einem recht dilettantischen Attentatsversuch hinreißen, worauf ihn Thanos tötet.

Aus irgendeinem Grund ist Hulk auch vor Ort, wird aber von Thanos schnell besiegt und verliert darob seine Kraft.

Bild: © Marvel Studios 2018

Wir könnten jetzt weiter erzählen, aber dann würden wir "spoilern", so nennt man das, und die Schwarmdummheit der Fans geht hier einher mit der Marketingstrategie und der Bosheit des PR-Apparats. Sie wissen übrigens tatsächlich nicht, was die tun, sie sind nett die PR-Frauen, sie würden Presse für "Die Revolution" und für "Die klassenlose Gesellschaft" und "Krieg den Palästen!" machen, mit Vergnügen und Passion, wenn das Filme wären.

Wir spoilern nicht, wie gesagt, ausnahmsweise, aber nicht weil wir irgendetwas unterschreiben mussten, sondern weil dieser Film viel zu schlecht, viel zu doof, viel zu enttäuschend, viel zu langweilig ist, um ihn durch Geheimnisenthüllung interessanter zu machen, als er ist. Denn er hatte noch nie Geheimnisse.

Tutorials für die Handlung

"Avengers: Infinity War" ist somit einer der schwächsten seiner Art geworden. Man muss dafür gar kein Kulturpessimist sein und über Superheldenfilme per se die Nase rümpfen: Auch Fans werden mit diesem Ergebnis der Regiebemühungen des Brüderpaares Anthony und Joe Russo kaum zufrieden sein.

Das liegt nicht allein an der unübersichtlichen Handlung,für die im Internet schon Tutorials angeboten werden und für deren Verständnis es sich unbedingt empfiehlt, die Vorgängerfilme zu pauken, inklusive der "Guardians of the Galaxy", damit man überhaupt versteht, wer die Figuren sind und warum der Schurke Thanos die Weltherrschaft will.

Für sich genommen, das darf man feststellen - als ein zwei Stunden und 40 Minuten langer Film macht "Avengers: Infinity War" keinen großen Sinn. Dies ist kein Film, kein Leinwandstück, das einen Anfang hat, eine Mitte und ein Ende, wenn auch nicht notwendig in dieser Reihenfolge. Dies ist das 18. Mittelteil, eine Serienfolge unter vielen in einer unendlichen Serie. Und keine besonders geglückte.

Es liegt eher schon daran, dass hier rund zwei Dutzend Heldenfiguren in der Balance gehalten werden müssen

So ist dieser Film permanent beflissen bemüht, alles richtig zu machen, niemanden zu vergessen, jedem seinen Auftritt zu geben und wirkt doch wie ein steifes deutsches Klassikerdrama aus dem 19.Jahrhundert: Auftritt des Helden. Kurzes Deklamieren. Abgang.

Dazu kommt, dass die Superhelden komplett aus ihrem jeweiligen Umfeld heraus in einen abstrakten Kosmos gerissen wurden. Fast alles spielt auf namenlosen Planeten im Universum.

Immer stirbt einer oder stirbt fast oder stirbt für eine Weile

"Avengers: Infinity War" verkrampft, ihm ist die Leichtigkeit anderer Marvel-Filme komplett abhanden gekommen, alles ist langatmig und humorlos. Der Humor ist rein mechanisch, also nicht vorhanden. Der Film nimmt sich viel zu ernst, und ist von einer Herr-der-Ringe-haften Selbstbesoffenheit um die eigene Bedeutung durchzogen.

Schließlich die Tatsache, wie engmaschig alles gestrickt ist, wie unlässig: Immer ist alles megagroß, immer stirbt einer oder stirbt fast oder stirbt für eine Weile.

Dies soll ein Unterhaltungsfilm sein, aber hier ist nichts, womit man "einfach nur mal Spaß haben" kann: Dafür gibt es regelmäßig, etwa alle 12 Minuten, eine etwa 30-Sekunden lange Humorszene oder einen Spruch von Iron Man, der hier noch am meisten er selbst bleibt. Dann, nur dann, darf man lachen. Marvel will auch bestimmen, wann Spaß erlaubt ist.

Jeder im Publikum ist fortwährend Regeln unterworfen - dazu gehört auch, dass man die zehn Minuten langen End-Credits angucken muss, um die obligatorische, obligatorisch überraschende "End-Credit-Szene" zu sehen.

Der Kunst kommt derzeit die Fähigkeit abhanden, Utopien zu entwerfen

Ohne Regelbefolgung ist kein Spaß erlaubt - was das mit der Gegenwart zu tun hat, ist so offensichtlich wie die politischen Implikationen des Avenger-Universums: Die Schurken siegen. Auf Frieden ist nicht zu hoffen, auf Gerechtigkeit nur punktuell. Braucht man für so etwas Filme? Der Kunst kommt derzeit die Fähigkeit abhanden, Utopien zu entwerfen.

Die Welt ist konstruiert. Sie hat enge Grenzen, innerhalb derer aber gibt es Variablen und Inklusion. Und strikte Normen. Diese akzeptieren wir, ohne sie mitzugestalten. Wir leben im MCU-Regime.

Dabei könnte bereits der Titel "Unendlicher Krieg" Warnung genug sein: "Infinity War" ist einfach ein weiterer zweieinhalbplusetwas-Stunden langer Zwischenschritt ohne richtigen Anfang und ohne sinnvolles Ende.

Dass das Ende nahe sei, ist eben nur eine Phrase, die sich längst abgenutzt hat, weil es immer nahe ist - tatsächlich wird es jetzt, wie es in der Natur der ökonomischen Sache liegt, doch kein Ende haben mit diesen Filmen - eine genauestens kalkulierte Neue Mythologie legt die Maske ab und enthüllt ihren Warencharakter.

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