"Es werden zweierlei Maßstäbe angelegt, wenn es um die Mächtigen geht"

Seite 2: Frieden und Stabilität nicht ohne Gerechtigkeit und ohne Gerichtsverfahren

Der folgende Beitrag ist vor 2021 erschienen. Unsere Redaktion hat seither ein neues Leitbild und redaktionelle Standards. Weitere Informationen finden Sie hier.

Ein weiterer Vorwurf lautet, dass das Strafgericht parteiisch und einseitig ist und die wirklich Mächtigen schont. George W. Bush oder Tony Blair müssen sich nicht wegen des Irak-Krieges vor Gericht verantworten. Trügt das Gefühl, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird?

Benjamin Dürr: Die Realität ist komplexer und vielschichtiger. Wenn wegen des Irak-Krieges nicht ermittelt wird, dann liegt das nicht am Gericht, sondern daran, dass der Irak kein Mitglied ist und der UN-Sicherheitsrat keine entsprechende Resolution verabschiedet hat. Dem Gericht kann man keine Schuld geben, wenn bestimmte Länder oder Konflikte nicht in seine Zuständigkeit fallen.

Egal, wie Sie das jetzt erklären – die Frage bleibt doch: Was ist die ganze Strafgerichtsbarkeit wert, wenn die wichtigen Fälle nicht verhandelt werden? Zum Beispiel der Drohnen-Krieg von Friedensnobelpreisträger Barack Obama. Das wäre doch mal interessant zu hören, was ein Gericht dazu sagt.

Benjamin Dürr: Absolut. Die grundsätzliche Frage ist, ob ein schlechtes Gericht besser ist als gar kein Gericht. Ideal wäre, wenn das Gericht weltweit zuständig wäre. Das scheint mir aber angesichts der aktuellen Entwicklungen in nächster Zeit unwahrscheinlich. Die Frage ist, wie geht man dann damit um? Das ist ja das Schwierige: Man versucht, Recht, das für alle gleich sein soll, in einem sehr politischen Feld anzuwenden.

Es gibt noch ein drittes Problem mit der Strafgerichtsbarkeit: Sie kann Friedensverhandlungen gefährden. Oft muss man sich entscheiden: Will man gegen einen Warlord ermitteln oder will man ihn an den Verhandlungstisch bringen?

Benjamin Dürr: Die Frage taucht in sehr vielen Konflikten auf: Kann es Frieden ohne Gerechtigkeit geben? Und kann es Gerechtigkeit ohne Frieden geben? Da hat das Gericht eine sehr deutliche Meinung, und das passiert nicht oft. Aber in diesem Fall sagen alle, sowohl die Anklagebehörde wie die Richter, dass es langfristigen Frieden und Stabilität nicht ohne Gerechtigkeit und ohne Gerichtsverfahren geben kann.

Langfristig gibt es vielleicht keinen Frieden ohne Gerechtigkeit. Kurzfristig aber sehr wohl. Wichtig ist doch erst mal, dass die Waffen schweigen.

Benjamin Dürr: Die Frage ist nur, was dann passiert. Wie kann ein Land wieder auf die Beine kommen, eine Gesellschaft wieder zusammenwachsen, wenn die Täter straffrei ausgehen, wenn die Nachbarn sehen, dass die Mörder ihrer Kinder oder die Vergewaltiger ihrer Frauen straffrei davonkommen?

Dafür gibt es doch auch Beispiele, etwa die Wahrheitskommission in Südafrika. Da wurde auf das harte Aburteilen verzichtet und stattdessen auf Versöhnung gesetzt.

Benjamin Dürr: Das stimmt. Es gibt aber auch Konflikte, wo das nicht der Fall ist. In Mali zum Beispiel hat mir kürzlich eine Opfergruppe erzählt, dass bestimmte Erfahrungen vererbt werden, wenn man sich damit nicht auseinandersetzt. Aber das ist von Konflikt zu Konflikt unterschiedlich. Vielleicht stößt da der generelle Ansatz, den der Strafgerichtshof verfolgt, an seine Grenzen.

Damit stellen Sie jetzt die Idee eines Strafgerichts für die ganze Welt infrage.

Benjamin Dürr: Nein, ich glaube durchaus, dass Frieden durch Recht möglich ist. Der Strafgerichtshof kann eine wesentliche Rolle in Friedensprozessen und Konfliktsituationen spielen. Aber das Strafrecht ist nicht die einzige Möglichkeit und auch nicht immer die beste Möglichkeit.

Aber beweist das nicht, dass die Idee, auch die Mächtigen nicht straffrei davon kommen zu lassen, in der Theorie hervorragend klingt, aber in der Praxis scheitert?

Benjamin Dürr: Die Idee ist nicht gescheitert, aber sie muss sich in der Praxis bewähren und auch entsprechend angepasst werden. Im Grunde ist die Idee eines Völkerstrafrechts extrem neu, gerade mal 20, 30 Jahre alt. Insofern ist es noch zu früh, zu sagen, ob es gescheitert oder ein Erfolg ist. Ich glaube, weder das eine noch das andere ist der Fall.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

Mit Ihrer Zustimmmung wird hier eine externe Buchempfehlung (Amazon Affiliates) geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen (Amazon Affiliates) übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.