"Es werden zweierlei Maßstäbe angelegt, wenn es um die Mächtigen geht"

Seite 3: "Man kann nicht erwarten, dass der Strafgerichtshof weltweit Frieden und Gerechtigkeit schafft"

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Sie arbeiten selbst als Prozessbeobachter am Strafgerichtshof. Wie sieht die Arbeit eines Prozessbeobachters aus?

Benjamin Dürr: Ich arbeite nicht für das Gericht selbst, auch nicht für die Anklage oder die Angeklagten. Ich verfolge die Verfahren dort für unterschiedliche Organisationen, vor allem Nichtregierungsorganisationen. Ich analysiere die Verfahren und berate NGOs, die sich etwa gegen sexuelle Gewalt in Konflikten engagieren.

Sie haben Ihre Beobachtungen in dem Buch "Im Namen der Völker. Der lange Kampf des Internationalen Strafgerichtshofs" verarbeitet. Wie nehmen Sie die Prozesse wahr?

Benjamin Dürr: Als spannend und gleichzeitig unspektakulär. Auf der einen Seite sind die Verfahren sehr interessant, vielseitig und komplex. Die tägliche Arbeit des Gerichts ist aber oft sehr unspektakulär. Oft geht es um prozessbezogene, juristische Kleinigkeiten. Spannend wird es, wenn man die einzelnen Teile zusammenfügt.

Was gibt es an den Verfahren am Strafgerichtshof zu verbessern?

Benjamin Dürr: Die Effizienz. Das Gericht wurde 2002 eröffnet und hat seither fünf Urteile gesprochen. Das ist relativ wenig. Das Gericht ist zwar neu gegründet worden und konnte nicht vom ersten Tag an Urteile fällen. Aber die Vorverfahren dauern unverhältnismäßig lange, einzelne Entscheidungen sollten schneller getroffen werden.

Was müssten denn die Mitgliedsstaaten ändern, damit der Strafgerichtshof besser arbeiten kann?

Benjamin Dürr: Die Finanzierung muss verbessert werden. Der geplante Haushalt für 2017 umfasst 141 Millionen Euro und steigt im Vergleich zur gestiegenen Arbeitslast nur langsam. Auch die Art der Prozessführung basiert auf Vereinbarungen, die die Staaten treffen, und kann daher geändert werden. Es wird zum Beispiel diskutiert, ob man in bestimmen Vorverfahren statt drei Richtern nur noch einen einsetzt.

Man spricht kaum von den Erfolgen des Strafgerichtshofs. Gibt es die nicht?

Benjamin Dürr: Doch, es gibt sichtbare und unsichtbare Erfolge. Im Frühjahr wurde der frühere Vizepräsident des Kongo, Jean-Pierre Bemba, verurteilt, weil seine Truppen im Nachbarland Verbrechen begangen haben. Das zeigt, dass es möglich ist, hochrangige Politiker zu verurteilen. Gleichzeitig gibt es viele unsichtbare Erfolge, die man erst mit zeitlicher Verzögerung bemerkt. Das betrifft etwa die Frage, ob das Gericht eine abschreckende Wirkung hat. Da gibt es bislang wenige Studien drüber, viele Einschätzungen beruhen auf anekdotischen Begebenheiten.

Wichtig ist auch, welchen Einfluss das Gericht auf die Nationalstaaten hat. Alle Mitgliedsländer haben sich verpflichtet, die Verbrechen, die in Den Haag verhandelt werden, als solche in ihre nationale Gesetzgebung aufzunehmen. Viele der 124 Mitgliedsstaaten, auch Deutschland, haben daher inzwischen Kriegsverbrechen, Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit in ihre nationale Gesetzgebung übernommen. Das war vorher nicht so. Und das ist auch ein Erfolg des Strafgerichtshofs.

Die russische Regierung formulierte kürzlich, der Gerichtshof habe "die in ihn gesetzten Erwartungen nicht erfüllt". Hat er Ihre erfüllt?

Benjamin Dürr: Ich habe dazu noch keine abschließende Antwort. Der Gerichtshof hat viele enttäuscht seit seiner Gründung. Das muss aber nicht an seiner Arbeit liegen, das kann auch mit den viel zu hohen Erwartungen zu tun haben.

Was kann und darf man denn vom Internationalen Strafgerichtshof erwarten?

Benjamin Dürr: Die Erwartung war ja, dass das Gericht weltweit zuständig ist, dass alle Kriegsverbrechen geahndet werden, dass die Welt friedlicher wird. Aber das kann so eine Einrichtung nicht leisten. Das Gericht ist eine Möglichkeit von vielen, um mit schweren Verbrechen und Kriegen umzugehen. Man kann erwarten, dass das Gericht im Rahmen seiner Möglichkeiten sein Bestes gibt. Man kann nicht erwarten, dass der Strafgerichtshof weltweit Frieden und Gerechtigkeit schafft.

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