Eskalation Nahost: Warum Iraner wenig jubeln und China, Russland profitieren
Seite 2: Inszenierter Jubel
Wer war dann da auf den Fernsehbildern zu sehen?
Amir Chahaki: Die Behörden können Menschen, die vom Staat abhängig sind, auf den Plätzen versammeln und ihnen Unterstützungsparolen vorgeben. Einige von ihnen schreien sie sogar aufrichtig.
Staatspropaganda kann ein schönes Bild von der Unterstützung der Massen für die Regierung zeichnen. Aber das ist definitiv nicht die Mehrheit der Bevölkerung.
Wenn Behörden das Internet abschalten müssen, die sozialen Medien überwachen oder Menschen für falsche Ansichten verhaften, liegt keine Massenunterstützung vor. Ferner muss man berücksichtigten, dass die Leute, die die Behörden im Iran unterstützen, frei auf der Straße demonstrieren können. Bei denjenigen, die gegen den Krieg sind, folgt der Vorwurf des Hochverrats.
Arabische Welt an der Seite Irans
Wie wird sich die arabische Welt verhalten, wenn der Konflikt zwischen Israel und dem Iran weiter eskaliert?
Amir Chahaki: Wir sehen hier eine paradoxe Situation. In der arabischen Welt, wo die antiisraelische Stimmung stark ist, gibt es Unterstützung für den Iran und auf arabischen Straßen herrscht Jubel über die Angriffe auf Israel.
Aber im Iran selbst fehlt dieser breite Jubel über die Angriffe, es gibt keine Freude angesichts der Kriegsgefahr. Ich denke, dass arabische Führer von einer Situation profitieren, in der Israel und der Iran in Konfrontation geraten.
Die Araber sind auch an einer Schwächung des Iran interessiert, weil sie die Macht des Lands fürchten, das über eine große Bevölkerung und Armee verfügt. Einige arabische Führer waren besorgt wegen des Angriffs auf Israel.
Jordanien etwa war sogar gezwungen, iranische Drohnen in seinem Luftraum abzuschießen. Der iranische Botschafter in Amman wurde deshalb ins jordanische Außenministerium einbestellt.
Moskaus Balanceakt
Sagt der Angriff etwas über inneren Machtverhältnisse in Teheran aus?
Amir Chahaki: All das deutet darauf hin, dass das Militär in den letzten Jahren seine Macht im Iran gefestigt hat. Es versteht jedoch die Risiken solcher Angriffe nicht. Die Risiken hängen auch damit zusammen, wie sich die Beziehungen Teherans zu seinen Nachbarn, einschließlich der arabischen Länder, ändern wird.
Wie steht Russland zur Verschärfung zwischen Israel und dem Iran? Profitiert Moskau von der Situation?
Amir Chahaki: Ja, es profitiert. Moskau verurteilte den israelischen Angriff auf das iranische Konsulat, allein deswegen schon, um Teheran zu schmeicheln. Der Kreml meint sogar, wenn der UN-Sicherheitsrat diese Attacke verurteilt hätte, hätte es keinen iranischen Angriff auf Israel gegeben.
Wird Russland dann auch Waffenhilfe leisten?
Amir Chahaki: Nein, das bedeutet keineswegs, dass Russland den Iran mit Waffen beliefern wird. Zwischen Moskau und Teheran herrscht trotz der aktuellen Annäherung in den letzten beiden Jahren weiterhin großes Misstrauen.
Russland ist nicht daran interessiert, den Iran gegen Israel zu bewaffnen. Moskau profitiert von einem großen Krieg in Nahost, weil er erstens die USA und die gesamte Welt von der Lage in der Ukraine ablenkt.
Währenddessen nutzt Moskau den Brand im Nahen Osten aus und setzt die Zerstörung der zivilen und militärischen Infrastruktur der Ukraine fort. Das haben wir in den letzten Wochen gesehen.
Der China-Faktor
Wer kann denn überhaupt eine Eskalation verhindern, Einfluss auf Teheran nehmen?
Amir Chahaki: Jetzt ist nur noch China in dieser Lage. Während Russland in den letzten Jahren nur ein Partner für Waffenlieferungen war, ist Beijing (Peking) seit vielen Jahren ein wichtiger Wirtschaftspartner des Iran, vor allem ein großer Abnehmer von iranischem Öl.
Gleichzeitig hat sich Beijing aber bisher in keiner Weise in die Sache eingemischt, da es ebenfalls von der Verschärfung im Nahen Osten profitiert. Erstens hat China ein Interesse daran, dass Washington in der Regierung Schwierigkeiten begegnet. Zweitens lenkt das Washington von der Situation rund um Taiwan ab, ein Problem, das die chinesische Seite ein für alle Mal lösen will.
Amir Chahaki ist ein iranischer Politikwissenschaftler. Er lebte lange Zeit in Russland und Belarus, jetzt in Berlin. Er ist zur iranischen Außenpolitik und den russisch-iranischen Beziehungen häufiger Gesprächspartner persischsprachiger Medien.