Eskalation im Iran-Konflikt: Trübe Aussichten
Gibt es in der Region trotz bedrohlichen Säbelrasselns noch Chancen für den Frieden?
"Die Eskalation ging nicht vom Iran aus. Der Iran besitzt und besaß keine Atomwaffen." Trotz ansonsten unterschiedlicher Einschätzungen der angespannten politischen Lage im Mittleren Osten war diese Feststellung übereinstimmende Position einer Diskussion an der Humboldt-Universität Berlin in der letzten Woche.
Nach Aufkündigung des Nuklearvereinbarung JCPoA seitens der USA wurde bei einer Veranstaltung von der Vereinigung für Friedensrecht ILANA und der Ärzte-Organisation IPPNW, die sich einen Namen als Streiter für die Abrüstung gemacht hat, die Gefahr diskutiert, inwieweit die weiter zunehmenden Spannungen in der Region zu einer folgenreichen kriegerischen Eskalation führen könnten.
Dazu gehören auch die Folgen der wirtschaftlichen Totalblockade für die iranische Zivilbevölkerung, welche vor allem Opfer der zunehmenden Spannungen ist. Die Bevölkerung sei schlicht zur Geisel der USA geworden, sagt der in Deutschland lebende und im Iran verfolgte Journalist Omid Rezaee.
Er geht wie Amnesty International von über 200 Toten bei den Protesten, die Mitte November aufflammten, und wahrscheinlich 7.000 Verhaftungen mit Folter und schlimmen Folgen bis hin zur Todesstrafe für die Inhaftierten aus. Durch die völlige Abschaltung des Internet im zivilen Bereich "mit einem Ausschluss von 95% der Bevölkerung" und Papiermangel sei ein genauerer Überblick allerdings äußerst schwierig.
Die Unruhen der letzten Wochen dürften nach Benzinpreiserhöhungen von "unteren Bevölkerungsschichten" ausgegangen sein. Diese Schicht sei eigentliches Opfer des Boykotts, während korrupte Oberschichten vom Schwarzhandel, sogar weiterhin im Ölgeschäft, profitierten. Die Sanktionen der USA beförderten die verbreitete Korruption weiter.
Das Ende der "Moderaten"?
Bei den anstehenden Parlamentswahlen in wenigen Monaten dürfte daher das Ende der um Ausgleich bemühten "Moderaten" sicher sein. Auch dies sei, so Rezaee, dem Boykott zu "verdanken", der politisch nur den dortigen Hardlinern des Regimes hilft. Ein Sturz der "Mullahs" sei also entgegen der Hoffnungen von Präsident Trump unwahrscheinlich.
Einfacher als die innere Lage im Iran ist die Beurteilung der zum Konflikt führenden Sachverhalte, bei denen vor allem die EU eine widersprüchliche Linie vertritt. Einerseits wurde hier der einseitige Bruch der Atom- Vereinbarung durch die USA kritisiert. Andererseits schlägt man sich zunehmend, wie auch die Bundesregierung, seit dem höchst dubios angelegten Tankerkonflikt an der Straße von Hormus und dem Angriff auf Ölanlagen in Saudi-Arabien in Treue fest an die Seite der USA und droht sogar mit militärischer Präsenz.
Dieser Konflikt ist offensichtlich auch ein weiterer willkommener Vorwand für die aktuelle deutsche Aufrüstung, bei der zunehmend, zuletzt von Verteidigungsministerin Kramp-Karrenbauer (CDU), das Szenario einer "Gefährdung von Handelswegen" als "strategische Herausforderung" an die Wand gemalt wird. Damit wird von der Ministerin im US-amerikanischen Sinn und ohne Belege auch der Iran als Ziel deutscher Militäreinsätze benannt.
Ernste Kriegsgefahr?
Gibt es in der Region trotz bedrohlichen Säbelrasselns noch Chancen für den Frieden? Etwa durch eine Zone frei von Massenvernichtungswaffen im Nahen und Mittleren Osten? Hierfür sieht die israelische Friedensaktivistin Sharon Dolev vom Israeli Disarmament Movement durchaus Chancen. Trotz Blockaden der israelischen Regierung seien inzwischen immerhin Gespräche zwischen hochrangigen UN-Diplomaten aus 23 Staaten der Region im Gang. Auswirkungen zeigten sich am Beispiel Jemen, wo die Emirate am Golf deren militärisches Engagement bereits zurückfahren. Selbst Saudi-Arabien signalisiere derzeit eher Entspannung.
Wie also ist aktuell tatsächlich die reale Kriegsgefahr einzuschätzen? Eher gering, wenn es nach Azadeh Zamirirad von der aus dem Kanzleramt finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) geht, sofern es nicht in nächster Zeit zu "amerikanischen Toten" käme.
Denn die Administration in Washington sei sich trotz aller Rhetorik durchaus uneinig. Mit der Entlassung des früheren Sicherheitsberaters John Bolton hätten die dortigen Falken im Iran-Konflikt erheblich an Einfluss verloren. Wollten die Amerikaner tatsächlich einen "heißen Krieg" mit unabsehbaren Folgen, hätten die bisherigen Vorgänge, bis hin zum Abschuss einer Drohne, ihnen bereits genügend Vorwände geliefert.
Gerhard Baisch von IALANA, der deutschen Vereinigung für Friedensrecht, sieht die Lage dem gegenüber deutlich pessimistischer. Es ginge den USA, wie bei der sonstigen Politik der Regime Changes, auch in der Iran-Frage darum, die Region weiter "völkerrechtswidrig zu destabilisieren", und darum, nicht genehme Länder "klein zu halten". Alle Argumente gegen den Iran seien vorgeschoben.
Die internationale Atomaufsicht IAEA hat in der Tat seit 2015 keinen Verstoß gegen das Atomabkommen feststellen können. Das Kontrollregime der Agentur ist unverändert vorhanden. Der Deal wurde iranseitig eingehalten. Auch die gegenwärtig neu angekündigte 2%- Anreicherung sei nicht geeignet, Atomwaffen zu produzieren.
Laut Baisch habe der Iran seit Jahren mehrfach erklärt, er werde seine Verpflichtungen aus dem Abkommen von 2015 schrittweise wieder aussetzen, sollten die anderen Unterzeichnerstaaten nicht wie versprochen die iranische Wirtschaft vor US-Sanktionen schützen. Dieser Sachverhalt ist auch unstrittig sogar vom Sicherheitsrat zur Kenntnis genommen und bestätigt worden (S/Res/2231 vom 20.7.2015). Insofern seien alle Vorwürfe an den Iran, der sich vertragskonform verhalten habe, unberechtigt.
Die Antwort auf den US-amerikanischen Vertragsbruch hat sich nach Auffassung von Zamirirad bisher für den Iran politisch und diplomatisch durchaus ausgezahlt. "Mehr Boykott" durch die USA ginge nicht, betonte sie. Denn die Finanzsanktionen und Lahmlegungen der iranischen Öl- und Gasindustrie seien jetzt "nur" noch durch einen heißen Krieg oder israelische Schläge gegen Nuklearanlagen steigerbar. Politisch und wirtschaftlich seien ansonsten alle Karten der Amerikaner tatsächlich ausgereizt.
Lösungen des Konflikts sind nach SWP-Auffassung deshalb nur wieder auf dem Verhandlungsweg denkbar. Zwar seien die Europäer mit deren Bemühungen derzeit "grandios gescheitert". Dennoch könnte die europäische Instex-Initiative auf breiterer Basis, beispielsweise unter Einschluss von Russland und China, zumindest vorab im humanitären Bereich die Basis für künftige neue Vereinbarungen legen.
Weiter geht allerdings auch hier der Rechtsanwalt Baisch, der zum Thema Boykott als "völkerrechtswidrige Ersatzkriege" vor allem auf die UNO setzt. Hier könne die Generalversammlung mit deren Mehrheit ein Gutachten des internationalen Gerichtshofes anfordern. Der "Spuk von Sekundärsanktionen gegen Staaten, die der US- Politik nicht folgen wollten, müsse beendet werden".
Hiergegen, wie auch gegen eine neue Friedensbewegung, die einerseits die Verbrechen des iranischen Regimes benennt und andererseits die USA-Politik attackiert, dürfte kaum etwas einzuwenden sein. In Sicht ist die allerdings leider nicht. Die trübe Lage bleibt bis zum Bersten angespannt.