Eskalation mit Israel: Wer profitiert im Iran davon, wer verliert?

Seite 2: Innenpolitische Stärkung

Am Ende dieser Zeit, trotz acht zehrender Jahre Krieg, geht das Regime innenpolitisch gestärkt hervor. Heute erhofft sich eine ebenfalls angeschlagene Islamische Republik ähnliche Effekte durch Aufmerksamkeit für ihr außenpolitisches Engagement, wie jüngst bei den Vergeltungsschlägen gegen Israel.

Um das zu verstehen, muss man die letzten Jahre betrachten: Wie kann es denn sein, dass die mittlerweile hochgerüstete und überaus repressive iranische Führung dermaßen fragil ist und eine Legitimitätskrise erleidet?

Repression löst nicht alle Probleme. Im Iran gab es seit dem Ende des ersten Golfkriegs immer wieder soziale Bewegungen, die sich auch implizit oder explizit gegen die Grundpfeiler der islamischen Republik richteten. Hervorzuheben sind hier die Frauenbewegung, die Student:innenbewegung und auch immer wieder Streiks und Aktionen der Arbeiter:innenbewegung.

Ihre Akteur:innen wurden dem fortschrittlicheren Lager zugerechnet. Wenn sie nicht als direkte "Feinde der Revolution" massive Repression erlitten, wurden sie durch das frühere "Reformer-Lager" der Islamischen Republik eingehegt und politisch langsam entkräftet. Das Regime arbeitet mit Härte und der Illusion auf Veränderungen.

Der größte Gegner ist die eigene Bevölkerung

Doch dieses Spiel ist seit 2017 vorbei, in dieser Zeit entstand auch die dementsprechende, revolutionäre Parole "Konservative, Reformer – das Spiel ist aus".

Zugleich entlud sich ein revolutionärer, explizit gegen die iranische Führung gerichteter Protest seitens der armen, religiös-frommen Bevölkerung, also jenes gesellschaftlichen Milieus, das die IRI jahrzehntelang trug. Der Grund bzw. der Auslöser lag in der schlichtweg nicht mehr zu ertragenden ökonomischen Dauerkrise, die die iranische Regierung durch Vetternwirtschaft, Korruption, fehlenden Kompetenzen und schließlich auch Sanktionen gegen ihre Atomwaffen-Vorhaben immer wieder eskalierte.

Die "Frau-Leben-Freiheit"-Bewegung von 2022/2023, die bisher die größte revolutionäre Episode und damit die größte existenzielle Bedrohung war, die die IRI jemals innenpolitisch ertragen musste, ist in diesem Kontext zu sehen: Noch nie gingen so viele Menschen über die Grenzen von Ethnie, Klasse, Geschlecht und Lebensalter hinweg und dermaßen radikal auf die Straße, sodass die iranische Führung offensichtlich an ihre Grenzen gebracht wurde.

Diese Bewegung hat die IRI nicht gestürzt, aber ihr die bisher größten Schäden zugefügt und sie aus ihrem "Unantastbarkeits"-Status katapultiert. Niemand kann mehr leugnen, dass das Regime angeschlagen ist und stark wackelt.

Die nächste Welle wird kommen, das ist nur eine Frage der Zeit. Schließlich haben sich die Probleme nicht geändert. Die ökonomische Krise ist mit einer geschätzten Inflation von 67 Prozent (bei Lebensmitteln bis zu 120 Prozent) stärker denn je. Staatliche Stellen vermuten, dass ca. 60 Prozent der 80 Millionen Einwohner:innen unter der Armutsgrenze leben – die Dunkelziffer dürfte höher sein.

Gaza-Krieg spielt iranischer Führung in die Karten

Die Repression im Alltag – etwa die noch immer tödlichen Einsätze der "Sittenwächter" gegen Frauen wegen falsch sitzender Kopftücher, die 2022 zum Tod von Jina Amini führten und die Bewegung starteten – nehmen sogar ganz aktuell wieder zu.

Die letzten Parlamentswahlen am 1. März 2024 waren eine Ohrfeige für die Machthabenden: mit einem historischen Tiefpunkt von nur 42 Prozent (auch das ist ein offizieller, frisierter Wert) machte die Bevölkerung mehr als deutlich, dass sie nicht an das Konstrukt der IRI glaubt.

In jene Zeit – es war kurz nach dem Bekanntwerden des Falls von Armita Garawand, der "nächsten Jina Amini" Anfang Oktober 2023 – fiel der Angriff der Hamas auf israelischem Gebiet am 7. Oktober.

Dieser historische Schlag setzte "die palästinensische Frage" von einem Tag auf den anderen die Tagesordnung und spielte der iranischen Führung in doppelter Hinsicht in die Karten: Erstens außenpolitisch, denn nicht nur wurde Israel durch diesen Angriff vorgeführt, schließlich wurde die Normalisierung der Beziehungen zwischen Israel und Saudi-Arabien torpediert. Diese Normalisierung, ein lang ersehntes Vorhaben der USA, für das lange politisch und diplomatisch gearbeitet worden war, wäre für die IRI eine große Gefahr.

Niemand redet mehr über Repression

Zweitens aber redete niemand mehr von Garawand oder von irgendwelchen anderen Protesten im Iran. In dieser Zeit verschärfte die Islamische Republik innenpolitisch die Gangart erneut, unter anderem nahmen Hinrichtungen rasant zu. Und diejenige Kraft, die die Regierung als einzige wirklich stürzen könnte, wird stärker bekämpft – die eigene Bevölkerung.

Über die redet kaum noch einer, denn nun finden nur noch geopolitische Ereignisse und staatliche Akteur:innen Aufmerksamkeit. Eine Forderung der iranischen Revolutionäre gegen die IRI bewahrheitet sich erneut: "Schenkt uns Aufmerksamkeit, seid unsere Stimme – denn wenn ihr wegschaut, wird das Regime uns umbringen".

Die Massenhinrichtungen von 1988 sind ein Beispiel, andere sind gar nicht so weit weg: Ende 2019 soll die IRI einem Reuters-Bericht zufolge 1.500 Oppositionelle in nur zwei Wochen getötet haben. Für 2023 bilanziert Amnesty International mindestens 853 Hinrichtungen und damit den höchsten Wert seit 2015.

Feinde von Revolutionen

Das unterstreicht eigentlich nur eine Binsenweisheit in der Geschichte: Kriegerische Konflikte sind die größten Feinde von Revolutionen.

Das iranische Volk will diesen Krieg nicht, es will das Ende der Islamischen Republik und endlich demokratische Selbstbestimmung. All diejenigen, die das leugnen und vorgeben, als ob das iranische Volk sich massive Militärschläge Israels wünscht, führen eine Agenda, die sie als die Stimmung im Iran verkaufen wollen.

Ganz besonders kommen sie aus den rechten und faschistischen Teilen des monarchistischen Exiliraner:innen-Lagers in den USA, welche niemals die zentralen Werte wie Solidarität der Frau-Leben-Freiheit-Bewegung vertreten haben, sich aber bereits als legitime Nachfolgeregierung in Stellung bringen.