EuGH-Urteil: Katalanischer Ex-Vizepräsident sitzt illegal im Gefängnis und nicht im Europaparlament
Oriol Junqueras genießt nach dem Urteil aus Luxemburg Immunität als EU-Abgeordneter und es kam erneut zu massiven Protesten des Tsunami in Barcelona
Ein höchst zweifelhafter undemokratischer juristischer Trick Spaniens wurde nun vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) entlarvt. Der Versuch, den ehemaligen katalanischen Vize-Regierungschef aus dem Europaparlament auszuschließen, ist an unabhängigen Richtern in Luxemburg gescheitert. Der EuGH hat am Donnerstag klargestellt, dass Oriol Junqueras nicht in einem spanischen Gefängnis, sondern im Europaparlament sitzen müsste.
Damit wird die Auffassung von Telepolis bestätigt, dass auch das vorherige Europaparlament unter dem früheren Präsidenten Antonio Tajani, Anhänger des italienischen Diktators Mussolini, gegen die Regeln und Gesetze verstoßen haben. Somit konnte sich ein anomales Europaparlament unter massivem Protest konstituieren, das drei katalanische Parlamentarier und damit mehr als zwei Millionen Wähler auf Druck Spaniens ausgeschlossen hat.
Nun hat der EuGH geurteilt, dass Spanien gegen EU-Recht verstieß, da es dem seit zwei Jahren inhaftierten und nun im Mai ins Europaparlament gewählten Abgeordneten den Antritt seines Mandats in Brüssel und Straßburg verweigerte. Gemäß dem Urteil genoss der Chef der Republikanischen Linken Kataloniens (ERC) nach den Wahlen bereits parlamentarische Immunität. Damit hätte er für die konstituierende Sitzung des EU-Parlaments aus der Untersuchungshaft entlassen werden müssen, hat der EuGH nun bestätigt.
In dem Urteil wird ausdrücklich ausgeführt, dass die parlamentarische Immunität "ausschließlich aus der Wahl rührt" und spanische Rechtsauslegungen dabei keinerlei Rolle spielen. "Der Status eines Mitglieds des Europäischen Parlaments ergibt sich ausschließlich aus der Wahl der betreffenden Person." Somit hätte Spanien dem inhaftierten ERC-Chef die parlamentarische Immunität gewähren müssen, um "zur Eröffnungssitzung des neu gewählten Europäischen Parlaments zu reisen und an ihr teilzunehmen", führt das Urteil aus. Ohnehin, wie Telepolis auch berichtet hatte, hatten auch hochrangige spanische Juristen wie der Professor für Verfassungsrechte Joaquín Urias von einer "offensichtliche Rechtsverletzung" und einer "furchtbaren" Entscheidung durch den Obersten Gerichtshof gesprochen.
Dieser Gerichtshof ist bekanntlich hochgradig politisiert, wie auch das Urteil gegen Junqueras und andere katalanische Politiker zeigt, über das sie für das Aufstellen von Wahlurnen von diesem Gericht wegen eines angeblichen Aufruhrs zu bis zu 13 Jahren Haft verurteilt worden sind. Dass der Gerichtshof den Parlamentariern keine Immunität zugesprochen hat, war deshalb auch für den andalusischen Experten Urias "keine juristische Entscheidung". Das Gericht sei befangen und habe eine "offensichtliche Rechtsbeugung" begangen. Diese Ansicht, die sich aufgedrängt hatte, hat das EuGH nun bestätig. Man darf gespannt sein, ob gegen die Richter nun ein entsprechendes Verfahren wegen der offensichtlichen Rechtsbeugung in Spanien eingeleitet wird.
Der EuGH wird auch im Fall von Puigdemont und Comín vermutlich nicht anders entscheiden
Sogar im spanischen Gesetzesblatt war Junqueras schon als gewählter Abgeordneter geführt worden, das galt auch für den ehemaligen katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont und der Ex-Minister Toni Comín. Aber im Fall von Oriol Junqueras war das Verhalten des Obersten Gerichtshofs besonders auffällig, da es ihm plötzlich untersagte, dass er aus dem Gefängnis ins Parlament gebracht wird, um seinen Schwur zu leisten und die Urkunde als Parlamentarier zu erhalten.
Das war deshalb besonders bemerkenswert, da es die Richter wenige Wochen zuvor erlaubt hatten, als er schon zum spanischen Abgeordneten gewählt worden war, seinen Schwur leisten. Er wurde mit anderen Abgeordneten extra aus dem Gefängnis ins Parlament gebracht und nahm an der konstituierenden Sitzung teil. Die Immunität wurde ihm aber trotz allem, eine weitere Rechtsbeugung, nicht gewährt. Schon deshalb hatten hochrangige spanische Juristen die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und erklärt: "Spanien ist technisch gesehen keine Demokratie mehr."
Diese ganze Trickserei wurde von einer wenig unabhängigen Justiz auch durchgezogen, da mit der verfassungsmäßig garantierte Immunität von Junqueras auch der Prozess gegen die Politiker in einer Phase geplatzt wäre, in der nur noch auf die Urteilsverkündung gewartet wurde. Auch hier zeigte sich, dass ein erklärter Verurteilungswillen, der sich durch den gesamten Prozess zog, letztlich auch dazu führte, dass man sogar noch tiefer in die Demokratie eingegriffen und gewählten Parlamentariern ihre Immunität entzogen hat.
Der EuGH wird auch im Fall von Puigdemont und Comín vermutlich nicht anders entscheiden. Denn die konnten, weil Spanien ihnen keine Immunität gewährte, ebenfalls nicht aus dem Exil nach Spanien reisen, um den Schwur zu leisten und die Urkunde abzuholen. Sie wären, das zeigt der Fall Junqueras, dann ebenfalls trotz der Immunität verhaftet worden.
Urias war mit seiner Rechtsauffassung ohnehin nicht allein. Auch der Kollege Pérez Royo hatte erklärt: "Kann man es hinnehmen, dass einem Bürger, bei dem nicht verhindert werden konnte, dass er Kandidat ist, nun daran gehindert wird, sein Amt anzutreten, für das er gewählt wurde?" Die Antwort des andalusischen Verfassungsrechtlers war eindeutig. Er empfahl den Verteidigern den Gang zum EuGH. "In keinem Fall kann diese Entscheidung des Obersten Gerichtshofs hingenommen werden", schrieb der Verfassungsexperte, der von einem "eindeutigen Verstoß gegen die Verfassung und das Wahlrecht" sprach.
Die Frage ist nun nach dem Richterspruch in Luxemburg, wie weit Spanien und seine "unabhängige" Justiz bereit sind, das Recht weiter zu beugen. Denn das EuGH kann die Unrechtsurteile ja nicht annullieren, sondern hat definiert, wie der Oberste Gerichtshof entscheiden muss. Der muss aber nun neu entscheiden. Das kann dauern, wie der Fall von drei baskischen Parlamentariern zeigt. Erst 11,5 Jahre später hat der Oberste Gerichtshof sein Unrechtsurteil gegen den baskischen Parlamentspräsident Juan María Atutxa und zwei Mitglieder des Präsidiums zurückgenommen. Zweieinhalb Jahre dauerte es, bis in diesem Fall die Konsequenz aus einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte gezogen wurde.
Demonstration in Barcelona
Um auf die unhaltbaren Zustände aufmerksam zu machen, mit denen Spanien gegen die Katalanen und die Unabhängigkeitsbewegung vorgeht, haben Mittwoch wieder Zehntausende in Barcelona demonstriert. Anlass war das Spiel des FC Barcelona gegen Real Madrid, das im Oktober angesichts massiver Proteste nach dem Urteil gegen die katalanischen Aktivisten und Politiker verschoben worden war. Das Stadion war vor dem "Clásico" komplett von zahllosen Menschen umringt und der Verkehr in der gesamten Zone lahmgelegt worden. Anders als behauptet, hatte die Bewegung Tsunami Democràtic aber nicht vor, dass Spiel zu verhindern.
So wurden vor dem Stadion an Kartenbesitzer Spruchbänder verteilt. Tausende katalanische Fahnen wurden von den fast 100.000 Zuschauern geschwenkt und diverse Spruchbänder in die Kameras gehalten. "Spanien, setz dich und rede", war die zentrale Losung für "Freiheit, Rechte, Selbstbestimmung", mit der erneut massiv politische Verhandlungen zur Lösung des Konflikts gefordert wurde, die nur in einem Referendum bestehen kann. Gefordert wurde auch, mit Blick auf die Gespräche zur Regierungsbildung, dass die Parteien "keinen Pakt mit den Kerkermeistern" eingehen dürfen. Für Beobachter hat Tsunami mit der neuen spektakulären Aktion "das einzige Tor" in einem sonst torlosen Spiel geschossen.
Während auch im Stadion immer wieder die Freiheit der politischen Gefangenen in massiven Sprechchören gefordert wurde, kam es auf den Straßen vor dem Stadion auch zu unschönen Szenen. Es gab einige Scharmützel von kleineren Gruppen vermummter Personen mit der katalanischen Polizei, die massiv aufgefahren hatte. Dabei wurden auch einige Müllcontainer - als Barrikaden benutzt - angezündet. Insgesamt sollen 46 Menschen verletzt und neun Personen festgenommen worden sein.
In diesen Fällen ist, da die katalanische Bewegung friedlich vorgeht und dazu auch stets aufruft, unklar, wer hinter den Vorgängen steckt. In den Krawallen nach den Urteilen wurde klar, dass sie zum Teil von infiltrierten Polizeikräften gezielt angefacht wurden. Zum Teil haben sogar uniformierte Beamten Barrikaden gebaut und angezündet. Klar wurde dabei aber auch, dass es inzwischen auch gewaltbereite Jugendliche gibt, die auf den Zug aufspringen.