Europa braucht eine neue Weltraumpolitik
Ein Bericht der Europäischen Weltraumbehörde verlangt eine stärker wirtschaftlich und militärisch angelegte Förderung der Weltraumtechnik und den Aufbau einer unabhängigen Infrastruktur im Weltraum
Der Weltraum wird wirtschaftlich, aber auch militärisch immer wichtiger. Wer nicht in den Orbit investiert, wird in Zukunftsbranchen wie der Telekommunikation, der Navigation oder der Fernerkundung bald nur noch eine sekundäre Rolle spielen. Jetzt fordert ein von der Europäischen Weltraumbehörde ESA vorgelegter Bericht eine entschlossene und offensive Weltraumpolitik auch im wirtschaftlichen und militärischen Bereich, um Europas Einheit und seine Rolle in der Welt zu stärken.
Bis auf Norwegen und die Schweiz sowie den Kooperationspartner Kanada sind alle Mitgliedstaaten der ESA auch Mitglieder der EU. Um die Position der Weltraumpolitik zu stärken, soll die ESA nun eine EU-Behörde werden, gleichzeitig aber soll sie auch offen etwa über solche Kooperationsverträge wie mit Kanada für andere Länder bleiben. Überdies soll die Weltraumpolitik auf höchster Ebene, im Europäischen Rat, festgelegt werden, um sie in alle wichtigen wirtschaftlichen und politischen Strategien zu integrieren. Heute sei der Weltraum kein Objekt für "unabhängige und exklusive Tätigkeiten", sondern er ist auf der Erde gelandet und die Tätigkeiten im Weltraum verbinden sich immer stärker mit den wichtigen Entwicklungen in der Gesellschaft. Weltraumtechnologien seien nicht nur wichtig für den Umweltschutz geworden, sondern auch zu wichtigen Pfeilern der Informationsgesellschaft.
Damit die Rolle des Weltraums für die EU und die EU im Weltraum gestärkt wird, müsse die Politik deutlicher formuliert und sollten die Verpflichtungen stärker werden, die Institutionen müssen enger zusammen arbeiten, künstliche Grenzen aus der Vergangenheit sollen entfallen. Vor allem aber muss der Weltraum nicht nur wissenschaftlich erschlossen werden, sondern die orbitale Infrastruktur sollte vornehmlich wirtschaftlich, aber auch militärisch ausgebaut und genutzt werden.
"The purpose of the Agency shall be to provide for and to promote, for exclusively peaceful purposes, cooperation among European States in space research and technology and their space applications, with a view to their being used for scientific purposes and for operational space applications systems."
Der Bericht der drei Weisen Carl Bildt, ehemaliger schwedischer Ministerpräsident, Jean Peyrelevade, Präsident der Bank Crédit Lyonnais, und Lothar Späth, CEO von Jenoptik, hat bereits einen Titel, der als Arbeitsprogramm dienen soll: "Towards a Space Agency for the European Union." Vorgelegt werden soll er am 17. November zu einem Ministertreffen der EU. Nur mit mehr Geld und politischem Willen, der sich in einer zentralen und damit handlungsfähigeren Behörde niederschlägt, könne die EU in der Konkurrenz mit anderen Staaten, vor allem den USA und Russland, aber auch China, Indien, Japan oder Brasilien, noch eine führende Rolle einnehmen und seine Unabhängigkeit wahren. Und wer, wie die EU in Lissabon, verkündet, dass die Staatengemeinschaft "zur wettbewerbsfähigsten und dynamischsten Wissensgesellschaft in der Welt" werden soll, brauche auch eine eigene Infrastruktur im Weltraum
Die ESA wurde 1975 gegründet und sollte vornehmlich wissenschaftliche Programme für die Entwicklung von Weltraumtechnologien verfolgen. In der Gründungsvereinbarung steht so, dass die ESA "ausschließlich friedlichen Zwecken" dienen soll. Mit der Entwicklung der Ariane-Raketen gelang der ESA ein kommerzieller Erfolg. Immerhin kann Europa einen Marktanteil von 50 Prozent bei den kommerziellen Raketenstarts und von 20-30 Prozent bei den Satelliten verzeichnen, obgleich, so betonen die Weisen, die USA mit 26 Milliarden Dollar viel mehr öffentliche Gelder in diesen Bereich investieren wie die EU mit 4,7 Milliarden Dollar. Aber man sei noch in vielen Bereichen von den USA abhängig, beispielsweise bei der satellitengestützten Navigation (GPS) oder der Satellitenüberwachung. Und weil sich kommerzielle, wissenschaftliche und militärische Zwecke bei der Weltraumtechnologie überlagern, digitale und vor allem mobile Kommunikations- und Informationstechnologien eine immer größere Rolle ebenfalls in allen Bereichen spielen, müsse die ESA als EU-Behörde möglichst schnell ihre Tätigkeitsfelder auf "Verteidigungsanforderungen und marktorientierte Infrastrukturen" erweitern.
Ohne Satellitenüberwachung und satellitengestützte Informations- und Kommunikationstechnologien würde es keine wirkliche gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESDP) geben. Die Politik innerhalb der EU werde schließlich beeinflusst durch Geschehnisse auf der ganzen Welt. So hänge auch die Umweltpolitik mit der Sicherheitspolitik zusammen: "Umweltüberwachung ist nicht nur eine Frage der Umweltsicherheit, sondern hat auch größere Dimensionen." Zitiert wird, was auch schon in dem Papier von 1999 "In Richtung eines kohärenten europäischen Ansatzes für die Raumfahrt" gemacht wurde , dass die nationale Raumfahrtpolitik der USA auf einer Voraussetzung beruhe: "die Erzielung und Aufrechterhaltung globaler Informationsdominanz als eine Garantie für die nationale Sicherheit". Das soll auch für die EU gelten.
Erinnert wird auch daran, was vornehmlich wieder im Kosovo-Krieg deutlich geworden ist, dass das GPS-System von den USA kontrolliert wird (Im Kern der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik steht eine verbesserte Aufklärung). Ähnlich wie die USA in Konfliktzeiten vorübergehend über bestimmten Gebieten das System für andere schließen könne, müsse dies auch bei dem europäischen GPS-System möglich sei, das dringend realisiert werden müsse. Auch in den USA sei die militärische Förderung der Weltraumtechnologien ein wichtiger Anschub, was man deswegen auch übernehmen sollte. Weil man die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU auf die sogenannten Petersburger Friedensaufgaben ausgerichtet sehe, also auf Konfliktprävention und Krisenmanagement, "sehen wir auch kein Problem mit der ESA-Vereinbarung", sagen die Weise und meinen damit eben die Verpflichtung auf ausschließlich zivile Nutzung.
Ziel müsse es sein, so die drei Weisen, dass Europa im Weltraum zu einer Alternative zu den USA wird, die weltweit zweite Position im Geschäft erhalten bleibt und dadurch zu einem globalen Partner für weltraumspezifische Projekte für andere Nationen wird. Natürlich will man weiterhin mit den USA kooperieren, aber auf einer "ausbalancierten Grundlage, die auch Raum für europäische Initiativen und Interessen bietet". Enger zusammen arbeiten sollte die ESA auch mit Russland.
Als absolut dringlich angesetzt wird, dass die bereits zwischen der ESA und der EU vereinbarte "Europäische Weltraumstrategie" schnellst möglich in die Gänge kommt, vornehmlich was den Aufbau eines eigenen GPS-Systems angeht, das unter der Bezeichnung GALILEO nur noch er Umsetzung harrt (Die EU will ein eigenes Global Positioning System schaffen).