Europäischer Geheimdienst?
Im Kern der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik steht eine verbesserte Aufklärung
Frankreich und Deutschland sind entschlossen, sich auch militärisch von den USA unabhängiger zu machen. Während des Kosovo-Krieges wurde etwa deutlich, dass die beteiligten EU-Staaten, abgesehen von Großbritannien, kaum wirklich Informationen von den amerikanischen Geheimdiensten und der militärischen Aufklärung erhalten haben. Das soll sich womöglich in Zukunft durch den Aufbau eines EU-Geheimdienstes mit eigenen Aufklärungssatelliten ändern.
Während des französisch-deutschen Gipfeltreffens letzte Woche verkündete bereits Bundeskanzler Schröder, dass man nicht nur eine gemeinsame Eingreiftruppe für internationale Krisenbewältigung schaffen wolle, sondern auch, dass dabei "Aufklärung" eines wichtige Rolle spielen werde. "Im Vordergrund steht dabei neben der Schaffung krisentauglicher Entscheidungsmechanismen vor allem die Verbesserung der militärischen Fähigkeiten der Europäischen Union", sagte Schröder in seiner Rede vor dem französischen Parlament. "Nicht zuletzt die Krise im Kosovo hat gezeigt, dass wir Europäer sowohl im Bereich der Aufklärung als auch beim Lufttransport Defizite haben. Hier müssen wir handeln, denn wir können nicht darauf zählen, die Hilfsbereitschaft unserer amerikanischen Freunde stets und überall grenzenlos in Anspruch nehmen zu können. Unsere Verantwortung, aber auch unser Selbstwertgefühl als Europäer gebieten es, dass wir Europäer selbst uns mit den hierzu notwendigen Mitteln ausstatten." Wiederholt hat dies Schröder in seiner Regierungserklärung anlässlich des EU-Gipfels in Helsinki, bei dem es unter anderem auch um die "Ausgestaltung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik" gehen wird. Schröder kündigte den Wunsch an, "durch einen Interimsbeschluss schnellstmöglich die Strukturen für ein europäisches Krisenmanagement zu schaffen."
Wenn es nach den Wünschen Frankreichs ginge, würde die EU einen zentrale militärische Aufklärung und ein Netz an Satelliten einrichten. In einer gemeinsamen Erklärung verpflichteten sich jedenfalls die beiden Länder, in dieser Hinsicht enger zusammenzuarbeiten, weil es sich um "ein zentrales Element der Beratungs- und Entscheidungsfindung der EU" handelt, weswegen man "die existierenden oder künftigen Mittel, auch im Bereich des Weltraums", gemeinsam nutzen wolle. Unter Druck gerät durch dieses Ansinnen vornehmlich die britische Regierung, die in Sachen Aufklärung besser gerüstet ist und deren Geheimdienst eng mit den Amerikanern, beispielsweise auch was Echelon angeht, zusammenarbeitet.
Doch die Engländer sind, wie die Sunday Times berichtet, skeptisch gegenüber einer gemeinsamen Aufklärung, was auch hieße, dass man die gesammelten Daten austauscht. Großbritannien sperrt sich auch dagegen, im Zuge des Rechtshilfeübereinkommens in Sachen Abhören der Telekommunikation mit den anderen EU-Staaten zusammenzuarbeiten (Keine Einigung bei europäischem Rechtshilfeübereinkommen). Angeblich habe ein Informant aus dem britischen Geheimdienst bestätigt, dass es bereits Gespräche über einen engeren Austausch der Informationen zwischen den europäischen Verbündeten gebe, aber dass die britische Regierung nur den Fluss der Aufklärung über den Einsatz im Krieg verbessern wolle: "Wir würden uns gegenüber Versuchen zur Wehr setzen, unser gesamte Aufklärung mit an deren europäischen Organisationen zu teilen." Die Politiker hingegen scheinen etwas offener zu sein. Die Sunday Times zitiert einen Mitarbeiter aus dem Außenministerium, dass sich Mechanismen der gemeinsamen Aufklärung auf europäischer Ebene entwickeln werden: "Wir sind noch weit von einem europäischem Geheimdienst entfernt. Wir stehen hier erst am Anfang des Prozesses, und man wird nur kleine Schritte bemerken: einen Blick auf die Erfordernisse der Aufklärung für die schnelle Eingreiftruppe und wie nationale Geheimdienste effektiver zusammen arbeiten können." Ein erster Schritt auf dem Weg zu einer gemeinsamen Aufklärung bestand in der Gründung des WEU Satellitenzentrums im spanischen Torrejon, das Bilder von kommerziellen Satelliten und der Helios-Satelliten auswertet.
Frankreich hat offenbar ein spezifisches Interesse, denn ein wichtiges Ziel bei einer gemeinsamen Aufklärung wäre etwa die gemeinsamen Finanzierung von Helios II, der für das Jahr 2003 geplanten nächsten Generation der französischen Aufklärungssatelliten. Am Freitag wurde Helios 1B in die Umlaufbahn befördert, der erstmals mit Infrarotkameras und einem allwettertauglichen Radar ausgestattet ist. Bei Wolken konnten bislang die Helios-Satelliten nichts sehen, die gemeinsam mit Spanien und Italien betrieben werden.
Im Bereich der zivilen und militärischen Luft- und Weltraumtechnologie ist durch die European Aeronautic Defence and Space Company (EADS), zu der sich am 2.12. neben Aerospatiale Matra S.A. (Paris) und DaimlerChrysler Aerospace AG (Dasa, München) noch die spanische CASA als Gründungsmitglied gesellt hat, wohl auch ein Schritt in die Richtung einer europäischen Herstellung von neuen Aufklärungssatelliten gemacht worden. Zumindest findet man hier bereits die Ankündigung: "In Zusammenarbeit mit Frankreich plant die Bundesrepublik Deutschland den Aufbau eines Satellitengestützten Kommunikationssystems. Es soll Krisenreaktionskräfte bei friedenserhaltenden Maßnahmen und bei Out-of-Area-Einsätzen unterstützen." Die EADS ist als weltweit drittgrößtes Luft- und Raumfahrtunternehmen laut DASA Nummer 2 bei Zivilflugzeugen (Airbus), Nummer 1 bei Hubschraubern (Eurocopter), Weltmarktführer bei Trägerraketen (Ariane) und global führender Anbieter bei Satelliten, Militärflugzeugen und Verteidigungstechnik.