Europa sucht nach dem ewigen Leben

2800 Zwillingspaare sollen helfen, die Gene zu finden, die Alte alt werden lassen

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Wer in Europa das ewige Leben sucht, der sollte in Sardinien anfangen. Dort gibt es eine Region an der Ostküste der Insel, wo die Menschen älter werden als überall sonst auf dem alten Kontinent. Doch Sardinien ist nur eine von elf Regionen, die an der GEHA-Studie beteiligt sind, der größten je geplanten Untersuchung der genetischen Grundlagen des Altwerdens.

GEHA steht für "Genetics of Healthy Aging", die Genetik des gesunden Alterns. Es handelt sich um eine von der EU mit 7,2 Millionen Euro geförderte Zwillingsstudie, für die ab dem ersten Mai insgesamt 2.800 ein- und zweieiige Zwillingspaare rekrutiert werden sollen.

Nun sind Zwillingsstudien immer aufwändig, doch was GEHA ungewöhnlich macht, ist die eine, kleine Bedingung, die die Wissenschaftler an ihre künftigen Studienteilnehmer stellen: Sie müssen älter sein als neunzig Jahre und beide noch leben. In Norddeutschland wird das Max Planck-Institut für Demografische Forschung in Rostock für GEHA nach etwa hundert Geschwisterpaaren fahnden, die diese Bedingung erfüllen. Das größte Kontingent stellt Dänemark mit 450 Zwillingen.

"Unser Ziel ist es, bei allen 5600 Personen eine Untersuchung des kompletten Erbguts durchzuführen", sagte Projektleiter Claudio Franceschi von der Universität Bologna auf der Internationalen Humangenomkonferenz in Berlin. Dass es vor allem Gene sind, die die Hochbetagten älter und immer älter werden lassen und nicht so sehr Umweltfaktoren, davon sind Franceschi und seine Kollegen überzeugt. Mit etwa einem Viertel geben herkömmliche Lehrbücher der Genetik den Anteil der Gene an der Lebenserwartung an. Franceschi aber schätzt den Einfluss des Erbguts insbesondere bei sehr alten Menschen als deutlich höher ein.

Von den Chromosomen ...

Ganz ins Blaue hinein wird nicht geforscht. Das Feld der Genetik des Alterns wurde bisher vor allem bei Würmern und Fliegen beackert. Doch auch kleinere Untersuchungen bei hochbetagten Menschen gab es schon, vor allem in Nordamerika. Die Ergebnisse deuten auf drei Regionen auf den Chromosomen 4, 11 und 19, deren genaue Analyse besonders interessant sein dürfte. Um diese drei Regionen wollen sich die GEHA-Forscher schwerpunktmäßig kümmern.

Franceschi erhofft sich vor allem neue Erkenntnisse über den Zusammenhang zwischen dem Altern und der Entzündungsaktivität im Körper. Einige Botenstoffe der Entzündungsreaktion scheinen bei Hochbetagten weniger aktiv zu sein als bei "normalen" Alten. Warum das so ist, ob es beispielsweise ein oder mehrere Gene gibt, die die Entzündungsreaktion in der Altergruppe "90 plus" bremsen, ist unklar. "Vielleicht", mutmaßte Franceschi in Berlin, "liegt der Grund für Langlebigkeit in der genetisch determinierten Fähigkeit des Körpers begründet, mit molekularem Stress besser umgehen zu können." Ins Bild passt da, dass Männer, die ja bekanntlich früher sterben als ihre Frauen, im Alter offenbar ebenfalls eine durchschnittlich höhere Entzündungsaktivität aufweisen.

... zu den Mitochondrien ...

Doch möglicherweise liegen die genetischen Ursachen der Langlebigkeit auch gar nicht im Zellkern, sondern ganz woanders, nämlich in den Mitochondrien. Diese "Kraftwerke" der Zelle, die dem menschlichen Organismus mittels einer biologisch abgebremsten Knallgasreaktion das Gros der benötigten Energie in Form von Adenosintriphosphat über die so genannte Atmungskette zur Verfügung stellen, beobachten Altersforscher mit zunehmender Faszination.

"Die meisten Krankheiten, die durch Mutationen im Genom der Mitochondrien ausgelöst werden, ähneln in ihren Symptomen stark dem natürlichen Alterungsprozess", sagt Doug Wallace von der Universität von Kalifornien, der sich seit über zwanzig Jahren mit den zellulären Energieproduzenten beschäftigt. Er hat seinen Lieblingskindern sogar ein eigenes Webportal gewidmet: Mitomap.

Evolutionsbiologische Studien haben Wallace bis nach Nordostsibirien geführt, immer auf der Suche nach Variationen im Mitochondriengenom, das ausschließlich über die Mutter vererbt wird und das sich deswegen so hervorragend zur Erstellung von evolutionären Migrationskarten eignet.

Wallace hat eine eigene Hypothese über die Gründe, warum manche Menschen sehr alt werden und andere nicht. Sie besagt, dass es bestimmte Mutationen im Mitochondriengenom gibt, die bewirken, dass manche Menschen einen weit größeren Teil ihres Energiestoffwechsels zur Produktion von Körperwärme nutzen können. Dass das Hand und Fuß hat, konnte er bei seinen Weltreisen im Dienste des Mitochondriums zeigen: Je weiter nördlich er sich begab, umso häufiger fand er die entsprechenden Mutationen. Die Möglichkeit zur Wärmeproduktion ist Selektionsvorteil in Sibirien.

Für das Altern interessant ist das alles nach Wallace' Verständnis deswegen, weil die Möglichkeit zu einem biochemischen "Kurzschluss" im Energiestoffwechsel die Wahrscheinlichkeit verringert, dass in den Mitochondrien giftige Sauerstoffradikale entstehen. Diese verursachen Oxidationsprozesse und führen letztlich zum "spontanen" Zelltod (Apoptose), dem bei der biologischen Gewebealterung eine Schlüsselfunktion zukommt.

In Todesgefahr schweben nach seiner Vorstellung vor allem Couchkartoffeln: Wer viel esse und sich wenig bewege und außerdem über normale Mitochondrien verfüge, die ihre Wärmeproduktion - anders als bei den von Wallace untersuchten Hochbetagten mit mutierten Mitochondrien - nicht beliebig in die Höhe schrauben können, der laufe zwangsläufig in die Oxidationsfalle.

... zum ewigen Leben

Weisen also mutierte Mitochondriengenome den Weg zum ewigen Leben? Die GEHA-Studie jedenfalls wird sich vorsichtshalber nicht nur die Erbsubstanz in den Chromosomen, sondern auch die in den Mitochondrien ansehen.

Bis die Ergebnisse da sind, scheinen körperliche Bewegung und gemäßigte Nahrungsaufnahme eine gute Idee zu sein. Den Nachkommen könnte außerdem eine Liaison mit jemandem aus Sibirien helfen, wobei ein nicht-sibirischer Mann von einer sibirischen Frau in dieser Hinsicht wahrscheinlich mehr hat als umgekehrt, weil die Mitochondrien halt nur von der Frau kommen.