Europäische Polizeibehörden und Geheimdienste kooperieren in Den Haag
Die In- und Auslandslandsgeheimdienste der EU-Mitgliedstaaten intensivieren ihre Zusammenarbeit. Ehemalige Geheimdienstler sorgen für die Einbindung von Europol
Die neue europäische Geheimdienstzentrale der "Gruppe für Terrorismusbekämpfung" in den Niederlanden soll eng mit Kriminalämtern kooperieren. Dies geht aus einem Dokument hervor, das die britische Bürgerrechtsorganisation Statewatch online gestellt hat. Demnach ist nicht nur der Austausch von Informationen mit der Polizeiagentur Europol geplant ("cross-checking of information"). Die Polizei- und Geheimdienstorganisationen planen auch eine Abstimmung von Operationen ("operational exchange").
Seit Februar ist bekannt, dass die "Gruppe für Terrorismusbekämpfung" (CTG) eine geheimdienstliche "Plattform" installiert. Der Vorschlag entstand nach den Anschlägen von Paris im November vergangenen Jahres. Wenige Tage später haben die Geheimdienstchefs eine außerordentliche Sitzung abgehalten und die Einrichtung einer Geheimdienstzentrale in Den Haag verabredet.
Träger der CTG und der Zentrale ist der sogenannte Berner Club, in dem sich Inlandsgeheimdienste aus EU-Mitgliedstaaten sowie aus Norwegen und der Schweiz organisieren. 25 Länder sind in der Gruppe vertreten, Frankreich und Italien sogar mit zwei Behörden. Nun sollen die Teilnehmerstaaten Verbindungsbeamte in das niederländische Zentrum entsenden.
Niederlande sind federführend
Die Zusammenarbeit im Berner Club erfolgt informell. Alle beteiligten Regierungen geben sich wortkarg über den eigentlichen Zweck der geheimdienstlichen Vereinigung, der sich offiziell auf gemeinsame Treffen und den Austausch von Informationen beschränkt. Der CTG-Vorsitz folgt der jeweiligen EU-Ratspräsidentschaft, die derzeit von den Niederlanden übernommen wird. Dies erklärt womöglich, warum auch die neue Geheimdienstzentrale beim niederländischen Inlandsgeheimdienst AIVD angedockt wird.
Unklar ist, welche Geheimdienste sich daran beteiligen. Laut Medienberichten wollen "nicht einmal die Hälfte der Mitgliedsländer mitmachen". Offiziell ist die Europäische Kommission nicht in die Errichtung oder den Betrieb der Geheimdienstzentrale involviert. Jedoch nimmt der EU-Anti-Terrorbeauftragte Gilles de Kerchove an wichtigen Treffen der CTG teil. Hierzu gehören sämtliche Konferenzen mit den Leitern der Geheimdienste.
Bislang hieß es, in der Geheimdienstzentrale würden lediglich Informationen über "dschihadistische Gefährder" gesammelt und in einer gemeinsamen Datenbank gespeichert. Jedoch fordert der Berner Club direkten Zugriff auf Datenbanken wie das Schengener Informationssystem oder das neue EU-Passagierdatenregister (EU-PNR). Bisher ist ein solcher Zugang lediglich den Behörden aus den Mitgliedstaaten erlaubt.
Mehr Zusammenarbeit von Kriminalämtern und Geheimdiensten
Auch Europol betreibt seit Januar dieses Jahres ein "Europäisches Zentrum für Terrorismusbekämpfung" (ECTC) in Den Haag, das auch für "Extremismus" und "Radikalisierung" zuständig ist. Zu den Aufgaben des ECTC gehört außerdem die "intensivere Koordinierung und Zusammenarbeit zwischen den zuständigen Behörden". Laut einer Mitteilung der Europäischen Kommission vom 21. April soll das ECTC nun weiter gestärkt werden. Die Kommission will bald Vorschläge unterbreiten, um das ECTC auch zu einem "Zentrum für gemeinsame operative Planung" auszubauen.
In dem nun online gestellten Dokument plädiert die Kommission für die engere Kooperation des ECTC mit der geheimdienstlichen CTG. Die Bundesregierung hatte dies immer wieder bestritten. Jedoch stehe die CTG laut dem Bundesinnenministerium "mit relevanten Akteuren" in Kontakt, um "Möglichkeiten für eine engere Zusammenarbeit zu sondieren". Hierzu gehöre auch Europol. Das ist nicht verwunderlich, denn der Verantwortliche für die Einrichtung des ECTC wechselte erst vor zwei Jahren vom niederländischen Geheimdienst AIVD zu Europol.
Die Verzahnung von europäischen Polizeibehörden und Geheimdiensten geht auf Diskussionen der EU-Innenminister vom vergangenen Jahr zurück. Vorher hatten die europäischen Regierungen nach einem Ratstreffen ihre Geheimdienste aufgefordert, entsprechende Möglichkeiten auszuloten. Die CTG hatte daraufhin ihre Arbeit intensiviert. Im April haben Europol-Bedienstete einen Vortrag bei der CTG gehalten und die Europol-Strukturen zur Terrorismusbekämpfung vorgestellt. Die Geheimdienstgruppe kündigte daraufhin an, bis Ende des Jahres "Mechanismen einer strukturellen Zusammenarbeit" zu prüfen. Geplant ist die Entwicklung gemeinsamer Standards für die Weitergabe von Daten. Der Austausch von Informationen oder auch zu Operationen soll in Echtzeit erfolgen. Vermutlich wird dafür das verschlüsselte SIENA-System von Europol genutzt.
Kein EU-Mandat für Geheimdienste
Die Europäische Union verfügt gemäß Artikel 4 AEUV über keine Zuständigkeit für die Geheimdienste. Trotzdem betreibt der Auswärtige Dienst ein "Zentrum für Informationsgewinnung und -analyse" (IntCen) in Brüssel. Allerdings darf das IntCen lediglich Dokumente der niedrigsten Geheimhaltungsstufe erhalten und verarbeiten. Aus Deutschland stammen die Berichte unter anderem vom Bundesnachrichtendienst (BND). Aus den Informationen erstellt das IntCen politisch-strategische Analysen.
Neuer Chef ist seit Jahresbeginn der frühere BND-Spion Gerhard Conrad, unter dessen Regie das IntCen stärker mit dem Berner Club und der "Gruppe für Terrorismusbekämpfung" verzahnt wird. Im Februar fand hierzu ein hochrangiges Treffen statt, zu dem der französische Geheimdienst-Koordinator geladen hatte.
Auch der EU-Anti-Terrorbeauftragte Gilles de Kerchove nahm an Treffen in Paris teil. Thema war unter anderem das Verhältnis zu Polizeibehörden. Verabredet wurde auch die engere Zusammenarbeit mit Europol. Auf diese Weise würden die bei Europol vertretenen Kriminalämter (für Deutschland das BKA) also nicht nur über die CTG-Zentrale in Den Haag mit den Inlandsgeheimdiensten kooperieren, sondern über das Brüsseler IntCen auch mit Auslandsgeheimdiensten. In dem von Statewatch veröffentlichten Dokument werden die Pläne jedenfalls bestätigt.