Europäische und amerikanische Interessen auf dem Balkan
Gespräch mit Erich Schmidt-Eenboom
"Wenn möglich mit der UNO, wenn nötig ohne sie." Das ist die NATO-Formel zum Lösen von Konflikten. Brach der Kosovo-Krieg noch das Völkerrecht, so heißt der UN-Sicherheitsrat die Mission immerhin willkommen. Doch eine aktive Rolle der UN schien seit Srebrenica auf dem Balkan nie mehr richtig in Betracht gekommen zu sein. Bei UNPREDEP, der UN-Mission zur Friedenserhaltung in Mazedonien, herrscht seit März 1999 Funkstille. Russland, das auf dem Balkan auch nur eine Nebenrolle spielt, warnt derweil vor einer Eskalation der Gewalt in Mazedonien. Erich Schmidt-Eenboom, Leiter des Forschungsinstituts für Friedenspolitik1 in Weilheim, arbeitet vornehmlich im Bereich NATO-Doktrinentwicklung, Rüstungsexport und Nachrichtendienste der OSZE-Staaten. Haiko Lietz sprach mit ihm über Waffenlieferungen und geopolitische Interessen am Balkan. (siehe auch: Wie die Saat, so die Ernte)
Wie ist das traditionelle Verhältnis zwischen Deutschland und Albanien, was Diplomatie und Geheimdienste angeht?
Erich Schmidt-Eenboom: Also wir haben zum Ende der 80er Jahre bereits erlebt, dass es durch Reisen von Außenminister Genscher Vorstöße in den albanischen Raum gab, der sie ja da, nach der jahrzehntelangen Diktatur von Envar Hodscha geöffnet hat. Das war zum einen von dem geopolitischen Interesse der Bundesrepublik bestimmt, im Hinterhof Yugoslawiens selber Fuß zu fassen, zum anderen verzeichneten wir natürlich auch Parallelaktivitäten der türkischen Politik und der türkischen Nachrichtendienste, um schon auf der Glaubensschiene da Einfluss zu gewinnen. Das deutsche Interesse war darauf gerichtet, diesen wachsenden türkischen Einfluss, der nach Europa hineinstrahlt, durch eigene Aktivitäten auszugleichen.
Ist es in diesem Rahmen auch zu Waffenlieferungen von Deutschland aus gekommen?
Erich Schmidt-Eenboom: Es gab an Albanien eine Vielzahl von Waffenlieferungen aus den Beständen der NVA, die dann ab 1991 nach Tirana verschifft wurden, und darüber hinaus gab es auch ein nachrichtendienstlichen Hilfspaket, weil der Militärische Abschirmdienst (MAD) und der Bundesnachrichtendienst (BND) wurde die alte DDR-Technik, die da zum Ablauschen im Inneren benutzt wurde, an Tirana geliefert haben, um damit dieses System nachrichtendienstlich zu unterstützen.
Ist es dabei auch zu illegalen Lieferungen gekommen?
Erich Schmidt-Eenboom: Ich gehe davon aus, dass diese Lieferung nachrichtendienstlicher Technik bereits illegal ist, weil es überhaupt nicht mit dem gesetzlichen Auftrag des MAD vereinbar ist, wenn er im Auftrag repressive Nachrichtendienste unterstützt.
Abgesehen davon sind, wie Monitor am 24. September 1998 berichtete, auch Panzerfäuste des Typs Armbrust an die Kosovo-Befreiungsarmee UCK geliefert worden. Das sind doch keine Waffen der NVA?
Erich Schmidt-Eenboom: Nein, die Armbrust ist ein westdeutscher Sonderfall. Das ist eine Panzerfaust, die im Auftrag der Bundeswehr entwickelt, aber nie an die Bundeswehr und an den Bundesgrenzschutz verkauft wurde. Sie ist in deutscher Lizenz gefertigt worden in Singapur. Auf vielen nachrichtendienstlichen Schlachtfeldern, da wo es um verdeckte Kriege geht, taucht dann die Armbrust, geliefert aus Singapur, auf. Aber der Lizenzverträge wegen geht das natürlich nur mit deutscher Zustimmung, und es gibt viele nachrichtendienstliche Experten, die der Auffassung sind, dass der BND hier in der Frühphase seiner Unterstützung für die UCK die Finger im Spiel hatte und dafür gesorgt hatte, dass nicht nur NVA-Waffen aus Albanien, sondern auch die Armbrust in die Hände dieser Terroristen gelangen konnten.
Mit welchem Hintergedanken ist das geschehen?
Erich Schmidt-Eenboom: Das ist geschehen mit der Absicht, sich einen Verbündeten im Kampf gegen Milosevic zu schaffen, weil in der NATO relativ früh deutlich war, dass man mit Bodentruppen nur schwerlich einmarschieren wird. Da hat man die UCK zu so etwas gemacht wie zur Infanterie der NATO-Staaten, und mit Blick auf die Nachkriegsordnung im Kosovo waren natürlich viele westliche Nachrichtendienste daran interessiert, hier Fuß zu fassen. Der BND hat, weil viele UCK-Terroristen aus deutschem oder schweizerischen Exil kamen, zu Anfang der 90er Jahre einen Startvorteil gehabt, der ihm aber dann beseitigt wurde, als die CIA entschieden hat, dass sie zum Hauptverbündeten der UCK wird, und bis heute unterstützen amerikanische Nachrichtendienste und Militärs diese Terroristen im Kosovo und neuerdings, und das stand schon 1999 zu befürchten, auch in Mazedonien.
Welches geopolitische Ziel verbinden die Vereinigten Staaten damit?
Erich Schmidt-Eenboom: Ich fürchte es ist ein anti-europäisches. Sie wollen einen albanischen Großraum unter amerikanischer Kontrolle entwickeln, der es den Vereinigten Staaten immer wieder erlaubt, an der Flanke Europas mit mehr oder minder kriegerischen Mitteln Einflusspolitik zu betreiben. Ich denke es ist das langfristige Ziel, diesen Ambitionen, wenn nicht dem Wahn der UCK auf ein Großalbanien, irgendwo Nahrung zu verschaffen und durch das Zusammenführen von Kosovo, Teilen Makedoniens und Albaniens einen geschlossenen territorialen Raum zu schaffen, in dem amerikanische Politik den nachhaltigsten Einfluss hat. Wenn Sie die Stimmen aus Bulgarien hören, wo man in Sofia heute (24.8.2001) sagt, dass die Makedonier als Südslaven dann als Restmakedonien im bulgarischen Staatsverband am besten aufgehoben seien, dann sehen Sie, wie groß die Bedrohungslage für die eigenständige Existenz Makedoniens ist.
Welche Rolle spielt Deutschland in dieser neuen Situation auf dem Balkan?
Erich Schmidt-Eenboom: Heute setzt die deutsche Politik, und damit verbunden auch der BND, mehr auf die friedfertigen Kräfte innerhalb des Kosovo - auf Rugova und andere - nachdem sie die militante UCK als Partner verloren haben.
Wie wirkt sich dieser Konflikt auf das Verhältnis innerhalb der NATO aus?
Erich Schmidt-Eenboom: Es gibt geopolitische Interessengegensätze zwischen den westeuropäischen Staaten und den Vereinigten Staaten, die dabei, bei der Wahrnehmung ihrer Interessen, immer noch von den Briten aus alter Verbundenheit unterstützt werden. Das heißt ich gehe auch in Makedonien davon aus, dass die NATO-Staaten bei ihrem Einsatz nicht an einem Strang ziehen, sondern, dass es durchaus ein westeuropäisches Bemühen um Konsolidierung gibt - also um die Aufrechterhaltung eines makedonischen Staates und das Trennen von Terroristen und normalen Albanern sage ich mal - und dass es im Interesse der Vereinigten Staaten liegt, die UCK zum politischen Machtteilhaber zu bringen, um ihrerseits auch auf mittlere und lange Sicht amerikanischen Einfluss in Skopje geltend zu machen.
Wie sehen Sie vor diesem Hintergrund die NATO-Mission Essential Harvest?
Erich Schmidt-Eenboom: Also ich denke es ist ohnehin ein Mandat aus Wolkenkuckucksheim weil niemand sicher sein kann, dass er in 30 Tagen auch nur einen wesentlichen Bestandteil der UCK-Bewaffnung einsammeln kann. Die Schätzungen des Waffenarsenals reichen ja von mehreren Zehntausend Waffen von der Regierung Skopje bis zu 3.000 Waffen, die die NATO ansetzt. Aber ich denke nicht mal die 3.000 von der NATO geschätzten Waffen werden eingesammelt, sondern es bleibt ein militärisches Risikopotential UCK da, und ich fürchte, dass die UCK die NATO-Präsenz sogar ausnutzen wird, um, unter dem Schirm der NATO, mit einzelnen Gruppen Terrorakte zu begehen und den Bürgerkrieg wieder zu forcieren, um die NATO-Truppen im Lande zu halten. Denn die Erfahrung der UCK im Kosovo ist ja, dass sie sich unter amerikanischem Mandat sehr gut entwickeln konnte.