Europäischer Haftbefehl wirft Schatten voraus
Spanien ist eines der Länder, die nach den Anschlägen vom 11. 9. keine übereilten Anti-Terror-Gesetze verabschiedet haben - es hat solche Gesetze zur Genüge
Was in vielen Ländern nach den verheerenden Anschlägen vom 11. September noch immer undenkbar ist, gibt es in Spanien noch immer. Madrid hat keine Scheu, missliebige Medien zu schließen oder eine Parteiführung zwei Jahre lang unrechtmäßig zu inhaftieren. Bei Terrorismus-Anklagen wird die "Incomunicado-Haft" angewendet, die aus Militärdiktaturen bekannt ist. Bis zu einer Frist von vier Tagen, sie kann auch verlängert werden, hat der Gefangene keinen Beistand durch seinen Anwalt und keinen Kontakt zur Außenwelt. Hier finden die Misshandlungen statt, für die Spanien sowohl von Amnesty International als auch vom Antifolterkomitee des Europarates (CPT) gerügt wird.
Deshalb ist Spanien daran interessiert, der mutmaßlichen Mitglieder von Gruppen habhaft zu werden, die sie unlängst auf die EU-Liste der terroristischen Organisationen setzen ließ (Die europäische Liste der Terroristen). Dafür hatte sie spanische Regierung im letzten Jahr die Initiative für einen europäischen Haftbefehl eingebracht. Doch der wurde, zum Unbill des konservativen Ministerpräsidenten, José María Aznar, im Dezember gerade von seinem Freund Silvio Berlusconi gebremst.
Ganz im Sinne der Spanier hat sich aber das Verhältnis zu Frankreich seit dem 11. September gebessert. Genau einen Monat danach wurde ein bilaterales Auslieferungsabkommen beschlossen, mit dem beide Ländern sich ohne Aufwand gegenseitig Gefangene ausleihen können. Es bietet so einen Ausblick auf den europäischen Haftbefehl ab 2004.
Am 11. Dezember gab die französische Regierung bekannt, sie werde erstmals ein in Frankreich inhaftiertes Mitglied der baskischen Separatistenorganisation ETA an Spanien ausleihen. Es handelte sich um Josetxo Arizkuren. Er wurde inzwischen überstellt, obwohl er in Frankreich noch eine Haftstrafe bis 2006 verbüßt. Für den spanischen Innenminister, Mariano Rajoy, "eine Demonstration dafür, dass auch Frankreich ernsthaft an der Bekämpfung des Terrorismus mitwirkt".
Bisher hatten sich vor allem die kommunistischen und grünen Koalitionspartner der Sozialisten gegen Auslieferungen nach Spanien gesträubt. Doch mögliche Folter ist für das Land der Menschenrechte offenbar kein Thema mehr. Die Iberer sollen bei Arizkuren nur für die Sicherheit des Transports, dessen Kosten und die zeitige Rücksendung Sorge tragen. Ein Schutz vor Misshandlungen wird nicht gefordert. Lästige Fragen, wie in nur vier Monaten ein rechtstaatlicher Prozess geführt werden soll, bleiben aus. Die Verteidiger von Arizkuren können sich kaum in so kurzer Zeit in die komplexe Materie und die zweisprachigen Akten einarbeiten. Vorgeworfen werden ihm mehr als zwanzig Vergehen, die zum Teil fast 20 Jahre zurückliegen.
Rückenwind bekam Madrid auch aus der EU über deren Liste der terroristischen Gruppen. Auf der Ende Dezember veröffentlichten Liste werden der ETA fünf Organisationen zugeordnet. Dazu reichte es der EU aus, dass zuvor ein Richter diese baskischen Strukturen, wie Ekin oder Txaki verboten hat, um sie ohne Prüfung als terroristisch einzustufen. Doch die fünf wurden vom Ermittlungsrichter Baltasar Garzón verboten, der dazu eigentlich nicht befugt ist und dem es bisher in keinem der Fälle gelungen ist, eine Verbindung zur ETA zu beweisen. Erst kurz vor der Bekanntgabe der EU-Liste hatte der Nationale Gerichtshof seine Vorwürfe gegen Ekin zerpflückt. Die Richter urteilten, Garzón habe keine Beweise erbracht, dass EKIN "der ETA untergeordnet ist". Sechs Menschen kamen nach 15 Monaten aus dem Gefängnis. Ähnlich war es Garzón auch mit Xaki oder anderen Gruppen ergangen.
Auffällig ist, das Frankreich keine Organisationen auf die Liste setzen ließ, nicht einmal die bewaffnet für die Unabhängigkeit kämpfenden Korsen oder Bretonen. Es spricht für sich, dass ausgerechnet Al-Qaida fehlt, wegen deren mutmaßlichen Anschlägen sie angeblich erstellt wurde. Verabschiedet wurde die Liste nicht wie geplant von der Versammlung der Innen- und Justizminister, vom Parlament gar nicht zu reden, sondern letztlich von der nebulösen Institution "Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik" (GASP). Der steht mit Javier Solana ein Spanier vor.