Europäischer Rat für die Speicherung aller Kommunikationsdaten
Die für Telekommunikation zuständigen Minister wollen den Datenschutz für die Strafverfolger durchlöchern
Beim Treffen des Telekommunikationsrats am 27. Juni in Luxemburg ging es nicht nur um die EU-Richtlinie über den "Universaldienst und Nutzerrechte bei elektronischen Kommunikationsnetzen", die unter anderem ein Recht auf einen Internetzugang beinhaltet, oder um die Einrichtung der .eu-TLD, sondern auch um die Grenzen des Datenschutzes beim Abhören durch Strafverfolger und um Spam.
Auf dem Treffen der für Telekommunikation zuständigen Minister in Luxemburg kam es zu keiner Einigung über die Haltung gegenüber Spam. Bislang ist nach der EU-Richtlinie nur das unaufgeforderte Anrufen für die Zwecke von Direktvermarktung verboten. Zwar verurteilten alle Minister das unaufgeforderte Zusenden von Werbemails und stimmten überein, dass die Internetbenutzer das Recht haben sollten, Werbemails nicht zu erhalten. Keine Einigung aber gibt es, wie das zu erreichen sei.
Die meisten Mitgliedsländer verlangen, dass in der EU ein "Opt-in"-System eingerichtet wird, das die Versendung von Spam verbietet, wenn der Empfänger dem nicht explizit zustimmt. Frankreich, Luxemburg, Irland und Großbritannien sind jedoch für ein "Opt-out"-Verfahren, bei dem das unaufgeforderte Versenden solange erlaubt ist, bis die Internetbenutzer dies explizit ablehnen. Angeblich soll Frankreich mit der Unterstützung von Großbritannien den Vorschlag gemacht haben, die Entscheidung für vier Jahre aufzuschieben. Entscheidung wurde keine getroffen und soll beim nächsten Treffen im Oktober fallen. Im Europäischen Parlament, das bisher mehrheitlich eine "Opt-out"-Regelung favirisiert, steht in wenigen Wochen Spam auf der Tagungsordnung. Eine EU-weite Regelung muss sowohl vom Parlament als auch vom Telekommunikationsrat unterstützt werden.
Zu einer Übereinkunft ist die Ministerrunde jedoch in der Frage gelangt, dass Netzbetreiber und Internetprovider alle Kommunikationsdaten zum Zwecke der Strafverfolgung speichern dürfen. Dabei geht es um eine neue EU-Richtlinie zur Regelung der Verarbeitung persönlicher Daten und zum Schutz der Privatsphäre im elektronischen Kommunikationssektor. Sie soll die EU-Richtlinie 97/66/EC ersetzen, die sie im wesentlichen aktualisiert und auf die neuen und künftigen Kommunikationstechniken und -dienste ausweitet.
Bislang müssen die erfassten und gespeicherten "Verkehrsdaten" der Kunden nach Artikel 6 von den Betreibern eines öffentlichen Kommunikationsnetzwerkes oder -dienstes gelöscht oder anonymisiert werden, wenn sie nicht mehr für den Zweck der Kommunikationsübertragung und der Abrechnung gebraucht werden. Als Einschränkungen sind in Artikel 15 notwendige Maßnahmen zum Schutz der nationalen Sicherheit, der Verteidigung, der öffentlichen Sicherheit, der Prävention, Untersuchung, Feststellung und Verfolgung von Straftaten oder eines unerlaubten Gebrauchs des elektronischen Kommunikationssystems vorgesehen, allerdings nicht eine vorsorgliche Speicherung der Daten aller Kunden bei einem Provider.
Nach der neuen EU-Richtlinie sollen vornehmlich auch die Lokalisierungsdaten, die durch mobile Kommunikation anfallen, geschützt werden, so dass die Benutzer nicht unter einer "Dauerüberwachung" stehen. Benutzt werden sollen sie nur mit vorheriger Zustimmung des Kunden, wobei dieser die Möglichkeit besitzen muss, auf einfache Weise zeitweise auch die Weitergabe der Lokalisierungsdaten blockieren zu können. Ausnahmen sollen bei der Verwendung der Lokalisierungsdaten nur für Notdienste und für die gesetzlich vorgesehenen Überwachungsmöglichkeiten zur Strafverfolgung und zum Schutz der nationalen Sicherheit bestehen. Die Kommission fordert auch die Einrichtung von Abrechnungssystemen, die eine anonyme Benutzung ermöglichen, bei der keine Daten mehr gespeichert werden müssen.
Die Minister haben einen Kompromiss beschlossen. Sie wollen zwar den auf die Lokalisierungsdaten erweiterten Artikel 5 nicht direkt umformulieren, wohl aber eine Ergänzung hinzufügen, die den Mitgliedsstaaten die Einführung nationaler Gesetze zur Speicherung der Verkehrsdaten für die Strafverfolgungsbehörden ermöglicht. Das ist umgekehrt ein Freibrief für die EU-Mitgliedsstaaten, den Datenschutz im Prinzip für die Polizeibehörden aussetzen zu können. Wie aus den jüngsten Enfopol-Papieren hervorgeht, stellen sich die europäischen Strafverfolger vor, dass die Kommunikationsdaten aller Bürger über einen Zeitraum von mindestens sieben Jahren gespeichert werden sollen (Europäische Strafverfolger fordern die totale Telekommunikations-Überwachung). Im Telekommunikationsrat wurde die "Ergänzung" des Artikels vornehmlich von Großbritannien, Schweden und Belgien unterstützt, während sich Griechenland, Italien und Holland dagegen ausgesprochen hatten.
Die Europäische Kommission lehnt diesen Vorstoß ab, weil er den bestehenden Datenschutz unterläuft. Auch die aufgrund des Artikels 29 der EU-Richtlinie zum Datenschutz eingerichtete unabhängige Arbeitsgruppe für den Datenschutz ist strikt gegen diese Unterhöhlung. In einem Brief des Vorsitzenden Stefano Rodota vom 7. Juni an den Präsidenten des Rats der Europäischen Ministerpräsidenten, Göran Persson, die Präsidentin des Europäischen Parlaments, Nicole Fontaine, und den Präsidenten der Kommission, Romano Prodi, fordert dieser das Parlament und die Kommission auf, den Artikel 5 aufzuweichen: "Es ist nicht hinnehmbar, dass der Umfang der Datenverarbeitung erweitert wird, um die Menge der Daten zu erhöhen, die für den Zweck der Strafverfolgung zur Verfügung stehen." Die vorgeschlagene Ausnahme würde sich schnell in eine Regel verwandeln: "Die systematische und präventive Speicherung der Kommunikations- und Verkehrsdaten der EU-Bürger würde die fundamentalen Rechte auf die Privatsphäre, den Datenschutz, die Meinungsfreiheit, die Freiheit und Unschuldsvoraussetzung untergraben. Könnte sich die Informationsgesellschaft unter solchen Bedingungen noch weiterhin als eine demokratische Gesellschaft ausgeben?"