Europäisches Rechtshilfeabkommen kurz vor Verabschiedung
Bis zuletzt Geheimhaltung; deutscher Parlamentsvorbehalt aufgehoben
Voraussichtlich wird der Justiz- und Innenrat auf seiner nächsten Sitzung am 29. und 30. Mai in Brüssel das Europäische Rechtshilfeabkommen mit dem Entwurfsstand vom 15. Mai verabschieden. Nach Information des grünen Bundestagsabgeordneten Christian Ströbele will die Bundesregierung das Abkommen unterzeichnen. Am 19. Mai hatte der Bundestags-Rechtsausschuss in einer Sondersitzung auf Drängen des Bundesjustizministeriums sowie der SPD den bestehenden Parlamentsvorbehalt aufgehoben. Der Vorbehalt bezog sich auf die Überwachungsbestimmungen zum Telekommunikationsverkehr.
Das Rechtsabkommen in der Fassung vom 15. Mai (COPEN 32), das Telepolis nun vorliegt, sieht in Artikel 17 bis 22 Regelungen zur grenzüberschreitenden Kommunikationsüberwachung vor. Demnach können laut Artikel 18 die Mitgliedsstaaten einen anderen Staat ersuchen, in seinem eigenen Interesse die Überwachung durchzuführen. Irritierend ist, dass auch diese Fassung wie alle vorangegangen als Geheimmaterial mit "Limite" klassifiziert worden ist.
In dem Ersuchen muss die Behörde angegeben sein, die das Ersuchen erstellt. Hinzu kommt eine Bestätigung, "dass eine rechtmäßige Überwachungsanordnung im Zusammenhang mit einer strafrechtlichen Ermittlung erlassen wurde". Schließlich muss das Ersuchen "Angaben zum Zwecke der Identifizierung der Zielperson", des "strafbaren Verhaltens", der "gewünschten Dauer der Überwachung" sowie nach Möglichkeit "ausreichende technische Daten, insbesondere Netzanschlussnummer "enthalten", um sicher zu stellen, dass dem Ersuchen entsprochen werden kann". Der ersuchte Mitgliedsstaat kann zusätzliche Information verlangen, um festzustellen, ob die Überwachungsmaßnahme unter diesen Voraussetzungen auch im eigenen Land legal wäre.
In Artikel 19 regelt das Rechtshilfeabkommen den Fall von Telekommunikationsdienstleistungen, die nur über ein bestimmtes Land möglich wären, wie beispielsweise Satellitentelefonie. Dabei dürfen die ermittelnden Staaten die Überwachung "ohne Einschaltung desjenigen Mitgliedsstaats, in dessen Hoheitsgebiet sich die Bodenstation befindet" durchführen.
In Artikel 20 wird die Überwachung per Fernzugriff geregelt. Dabei handelt es sich um die umstrittenste Regelung, die lange von vielen Staaten boykottiert (Keine Einigung bei europäischem Rechtshilfeübereinkommen) wurde. Hier ging es vor allem darum, wann und wie der überwachende Mitgliedsstaat den anderen Mitgliedsstaat von der Überwachung unterrichtet.
Die Lösung sieht nun vor, dass nach Benachrichtung der unterrichtete Mitgliedsstaat "unverzüglich und spätestens innerhalb von 96 Stunden dem überwachenden Mitgliedsstaat" die Überwachung genehmigen oder versagen muss. Falls bereits Überwachungsmaterial gesammelt wurde, kann der Staat festlegen, unter welchen Bedingungen es verwendet werden darf. Er kann die Verwendung auch ganz versagen. Die 96-Stunden-Frist kann auf höchstens acht Tage verlängert werden, "damit die nach ihrem innerstaatlichen Recht erforderlichen Verfahren durchgeführt werden können".
So lange keine Entscheidung vorliegt, darf die Überwachung zwar fortgesetzt werden, aber das bereits gesammelte Material nicht verwendet werden. Dies gilt nicht, wenn die Staaten etwas anderes vereinbart haben oder wenn es sich um die Abwehr "einer unmittelbaren und ernsthaften Gefahr für die öffentliche Sicherheit" handelt.
Generell kann der überwachte Staat eine kurze Darstellung des Sachverhalts und jede weitere Information verlangen, damit er beurteilen kann, ob in einem vergleichbaren innerstaatlichen Fall eine Überwachung genehmigt werden würde.
Aufgrund dieser Regelungsmechanismen wollen die Staaten ausschließen, dass ein Befugnis-Hopping einreißt. Auch die Kostenfrage wurde geregelt: So trägt der ersuchende Mitgliedsstaat die Kosten, die Betreibern einer Telekommunikationsanlage oder Diensteanbietern durch die grenzüberschreitende Überwachung entstehen.
Auf Wunsch Deutschlands wurde ein Artikel zum Schutz personenbezogener Daten eingefügt. Demnach dürfen die personenbezogenen Daten ohne besondere Zustimmung nur für gerichtliche und administrative Verfahren verwendet werden, die mit dem Verfahren unmittelbar zusammenhängen. Ebenso dürfen sie dann verwendet werden, wenn es darum geht eine "unmittelbare und ernsthafte Gefahr für die öffentliche Sicherheit" abzuwehren.
Zuletzt hatte das Veto Luxemburgs die geplante Verabschiedung am 27. März verhindert. Auch hatten die Abgeordneten des Europäischen Parlaments die Streichung des Paragraphen 18 zum Thema "Überwachung von Personen im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedsstaaten oder deren technische Hilfe" gefordert. Jedoch vergebens.
Nach wie vor umstritten bleibt jedoch die technische Schnittstelle, die das Fernabhören ermöglichen soll. So erstellte das Europäische Standardisierungs-Institut ETSI bereits im vergangenen Jahr dafür eine erste Richtlinie (Feinschliff am Abhörstandard). Sie ermöglicht den Zugriff auf alle nutzbaren Daten in Telekommunikationsnetzen: Telefonanrufe, SMS-Messages, Handy-Gespräche und sogar Internet-Telefonie. Der SPD-Bundestagsabgeordnete Jörg Tauss befürchtet, dass die gemeinsame Schnittstelle das Abhören nicht nur Strafverfolgern, sondern auch Geheimdiensten und Wirtschaftskriminellen erleichtert.
Das Rechtshilfeabkommen ist ein wesentlicher Baustein für eine künftige gemeinsame europäische Strafverfolgung und damit auch für ein politisch vereintes Europa. Diskutiert wurde es allerdings in der Öffentlichkeit kaum, vom Europäischen Parlament wurde der zentrale Abhörparagraph gar abgelehnt. Vermutlich werden wie in Deutschland auch andere Parlamentsvorbehalte schnell überwunden. Die geplante Konvention zur Cyberkriminalität wird mit ihren Maßnahmen auf dem Abkommen aufsetzen. Bislang fand jedoch zur Konvention, die ebenfalls von Fachleuten ausgearbeitet wird, kaum eine öffentliche Aussprache statt.