Europas gescheiterte Staaten
Seite 2: Der "informelle Sektor"
In Mazedonien, dessen Durchschnittseinkommen um 35 Prozent unter dem EU-Durchschnitt liegen, waren 2013 rund 29 Prozent aller Lohnabhängigen arbeitslos, während die Jugendarbeitslosigkeit bei knapp 52 Prozent lag. In Montenegro lag die offizielle Arbeitslosenquote bei 20 Prozent, in Serbien bei 24 Prozent, in Bosnien-Herzegowina bei 28,6 Prozent - und im Kosovo bei rekordverdächtigen 35 Prozent. Diese Volkswirtschaften stellen somit sozioökonomische Notstandsgebiete dar, in denen aufgrund der extrem hohen Jugendarbeitslosigkeit längste eine "verlorene Generation" hervorgebracht wurde, wie es nun auch in den krisengeplagten Euroländern Spanien, Portugal oder Griechenland geformt wird.
Der wichtigste Unterschied zwischen Spanien und etwa Serbien besteht in dem höheren Lohnniveau und den Überresten eines Sozialstaates auf der Iberischen Halbinsel, die den Überlebenskampf der dortigen Lohnabhängigen noch etwas erleichtern.
Der große "informelle Sektor", der die Volkswirtschaften nahezu aller Balkanstaaten charakterisiert, resultiert zumeist aus der dominanten Stellung mafiöser Netzwerte und der organisierten Kriminalität in der Region. Mitunter handelt es sich bei den jungen und höchst instabilen Staatsgebilden - oder besser: Staatsattrappen - um regelrechte Mafiarepubliken, wo die stärksten mafiösen Klans und Seilschaften praktischerweise die Regierungsgewalt übernommen haben.
Die gilt vor allem für das Kosovo und Montenegro. Das 2008 unabhängig gewordene Kosovo gilt als ein internationales Zentrum des Menschen- und Heroinhandels. Und es ist der vom Westen gestützte und aufgebaute kosovarische Regierungschef Hashim Thaçi, der als Haupt eines kriminellen Netzwerkes agiert, das "den Kosovo fest im Griff hält", wie es Zeit-Online formulierte.
Gegen die kosovarische Staatsmafia werden inzwischen schwere Beschuldigungen auch im deutschen Blätterwald erhoben. So soll die Thaci-Bande während des Bürgerkrieges im Kosovo - als diese Mafiosi im Westen als "Freiheitskämpfer" gefeiert wurden - auch "Handel mit menschlichen Organen" entführter Serben betrieben haben. Das Resümee von Zeit-Online:
Es gibt zahlreiche Berichte der Geheimdienste und Medien, in denen nicht nur Thaçi, sondern auch sein Vorgänger Ramush Haradinaj als Mafiagrößen eingestuft werden. Böse Zungen behaupten, heute sei die Organisierte Kriminalität das einzig Funktionierende in dem bitterarmen Balkanstaat. Schließlich erreicht die Arbeitslosigkeit in einigen Landesteilen 80 Prozent. Und das bei einer Bevölkerung, deren eine Hälfte jünger als 25 Jahre ist.
Eine ähnliche Einschätzung hat auch der Bundesnachrichtendienst (BND) abgegeben. Das Kosovo, das wohl das Paradebeispiel für einen europäischen "gescheiterten Staat" abgibt, entwickelte sich laut BND zu einer regelrechten Gangsterrepublik, dessen staatlich Organisierte Kriminalität (OK) ein "hohes Bedrohungspotenzial für Europa" darstelle und durch "engste Verflechtungen zwischen Politik, Wirtschaft und international operierenden" Mafiabanden charakterisiert sei. Der BND zog in dem durchgesickerten geheimen Bericht ein vernichtendes Fazit:
Der Kosovo und der gesamte West-Balkan-Raum werden bis auf Weiteres eine Schlüsselrolle als Transitregion für den Drogenhandel in Richtung (West-) Europa behalten. Gerade der Kosovo gilt dabei als ein Zentrum der OK, aus dem kriminelle Aktivitäten in ganz Europa gesteuert werden.
In Montenegro hingegen hatte sich der ehemalige Staatschef Milo Djukanovic auf Zigarettenschmuggel spezialisiert. Mittels einer Flotte von Schnellboten wurde die Schmuggelware im großen Stil nach Italien gebracht, was den herrschenden Mafiaseilschaften des südosteuropäischen Kleinstaates enorme Einnahmen in Milliardenhöhe bescherte. Der montenegrinische Staatspräsident habe säckeweise Geld aus diesen Schmuggelgeschäften erhalten, berichtete die Augsburger Allgemeine im August 2012, nachdem der vom Westen geförderte "Präsident" sich aufs wohlverdiente Altenteil zurückgezogen hatte.
Montenegro, ein rund 600 000 Einwohner zählender "Staat", der seine Existenz dem Zigarettenschmuggel verdankt? Die Frankfurter Allgemeine Zeitung spekulierte gar 2006, ob die Loslösung Montenegros aus der Bundesrepublik Jugoslawien, die Djukanovic betrieb, nicht gerade durch die Zigarettenmafia forciert wurde, um "ungehindert illegalen Nebengeschäften nachzugehen"
Diese Dominanz der "informellen Ökonomie", der Klans, Rackets und mafiösen Netzwerke in der Region, stellt selbstverständlich eine Folge der dargelegten realwirtschaftlichen Krise dieser Staaten dar. Staatliche Erosion und informelle Wirtschaftstätigkeit resultieren aus der Krise der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft in diesen Ländern, die wiederum nur Teil der globalen kapitalistischen Systemkrise ist (Die Krise kurz erklärt).