Europhorie
Das gemeinsame Geld ist da (fast)
Mit glitzernden Sternen, Pomp und Trara hat die Europäische Zentralbank gestern offiziell die Euro-Banknoten und Münzen präsentiert, die Anfang nächsten Jahres in Umlauf kommen werden, deren Design allerdings schon seit 5 Jahren bekannt ist. Was wird uns der greif- und tastbare Vollzug der monetären Einheit bringen?
Werden wir, wenn wir die neuen Noten und Münzen endlich in Händen halten und ausgeben dürfen, damit auch stückweise von kleinkrämerischem Provinzialismus abweichen und unsere nostalgische und nationalistische Anhänglichkeit gegenüber Deutschmark, Franc und Gulden verlieren? Werden wir dann bereitwilliger sein, zukunftsfroh in ein föderales Europa zu marschieren, das im Stile von "United States of Europe" seine eigene Armee aufbaut und seinen eigenen Geheimdienst, um einen ordentlichen Raum der Freiheit und der Sicherheit zu schaffen?
Wird das elektronische Cash dann noch besser, schneller, in größeren Beträgen zwischen den glasfaserverkabelten Bankentürmen von Frankfurt/M, Paris, Mailand, Edinburgh und Dublin zirkulieren? Werden die Erträge aus Waffenhandel, umweltverschmutzenden Energieprojekten in der Dritten Welt, Gas- und Ölförderung und Pipelines in Krisengebieten, reingewaschen in saubere Euros in Luxemburg oder Vaduz, die geopolitische Bedeutung der Vereinigten Staaten von Europa unterstreichen? Werden wir die Errungenschaften unserer überlegenen Zivilisation auch den Schwarzarbeitern geeignet vermitteln können, welche die Megabauprojekte in unseren sauberen Metropolen hochziehen dürfen? Ist es erlaubt solche Fragen zu stellen und was hat das konkret mit den Banknoten zu tun?
Geht man nach dem Design, so repräsentiert die Euro-Umstellung den kleinsten gemeinsamen Nenner einer europäischen Identität. Niemand soll sich in seinem Nationalstolz gekränkt fühlen durch die kulturgeschichtlich verbindenden Architektur-Zitate auf der einen und die völkerverbindenden Brücken auf der anderen Seite. In ihrer Kontextlosigkeit und Menschenleere wirken diese Zitate jedoch so surreal wie die Bilder von de Chirico oder computergenerierte Variationen davon: europäische Modell-Innenstädte vom Mittelalter über die Renaissance bis zur Romantik, in die sich Shopping Malls unauffällig integrieren, durch welche badenwannensaubere und sich wohlverhaltende Euro-Shopper wandeln, um italienische Pasta, französische Croissants oder deutsches Bier zu kaufen, in Ausübung einer längst vereinheitlichten europäischen Konsumkultur, die von Markenartikeln definiert wird, die in ein und denselben Vertriebsketten überall am Kontinent erhältlich sind und konsumiert werden. Erzählt diese schon vor dem gemeinsamen Geld vollzogene McEuro-Kultur in irgendeiner substanziellen Hinsicht von einem Näherrücken der Kulturen, einer Vermischung der Identitäten hin zu einer neuen, gemeinsamen Identität?
Oder hat Europa nicht bereits längst seine Identität an den Nagel gehängt, abgegeben im Foyer der Eurotürme, wo die Banker ohne parlamentarische Kontrolle Zinssätze für die Vereinigten Shopper von Europa definieren? Den Löffel abgegeben aber auch hinsichtlich seiner unbewältigten kolonialen Geschichte, seiner fortwährenden wirtschaftlichen Versklavung der armen Länder dieser Welt, flankiert von der militärischen Großmacht USA, deren Schutz wir benötigen, um unseren pekuniären Interessen nachgehen zu können. Werden wir, wenn wir den Euro in den Händen halten, endlich schuldlos den weißgewaschenen Wohlstand im Euroland genießen dürfen?
Der Euro vermeidet jegliches Konfliktpotential in Form von Differenz. Sein Design vermittelt dieselbe nichtssagende Modernität neuer Bahnhofsstationen, Flugplätze, ICE-Kabinen oder Vorstandsberichte, mit ihren geglätteten Kurven, beruhigenden und zugleich lichten Farbtönen ohne Intensität oder Wärme. Der englische Designkritiker Jonathan Glancey verglich die Banknoten zurecht mit dem Eurovisions Song Contest. Die Vision von Europa, untermalt von Abbas "Money, Money, Money ... it's a rich mans world".
Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten, doch eines sind die neuen Noten sicher nicht, gutes Design. Sie sind eher das Design-Äquivalent von Frankfurter Würstchen mit Sauce Bolognese aus der Dose, serviert auf einem Ikea-Tisch unter einer Lampe, die von Atomstrom mit Plutonium aus französischen Wideraufbereitungsanlagen gespeist wird. Das genetisch modifizierte Europa von Maastricht und Nizza besitzt bisher alle Anzeichen eines Frankensteinwesens, dessen Teile nur mit Mühe zusammengekittet wurden und das nun unkontrolliert in die Welt entlassen wird. Wird sich das gemeinsame Geld wie eine Schicht aus Glanzlack über die Bruchstellen legen und das Monster menschlich aussehen lassen?
Wie werden sich die neuen Noten in den Händen albanischer Waffenschmuggler anfühlen? Die großen Noten, sagen Polizeiexperten jetzt schon voraus, werden Fälschungsversuche nie gekannten Ausmaßes provozieren. Sie werden sich auch besonders gut eignen, um in Mafiakoffern nach Kolumbien und wieder zurück geschmuggelt zu werden. Bestechliche Politiker werden wohl zu den ersten zählen, welche die besondere Griffigkeit des qualitativ hochwertigen, gerillten Baumwollpapiers mit Kennerfingern zu betasten wissen. Noch ist der Euro so sauber wie das Wasser des Rhein an seiner Quelle. "Non olet" kann her Duisenberg guten Gewissens verkünden. Wie lange noch?
Der Euro besitzt auch eine Anzahl unverzichtbarer Features. Neben Wasserzeichen und Hologramm gehört dazu ein Copyright-Zeichen. Sind daraus zukünftige Entwicklungslinien europäischer Politik in Fragen des geistigen Eigentums, des Patentrechts und des Kopierschutzes abzulesen? Fragen über Fragen, Herr Duisenberg , zu denen wir auf der Website der ECB leider keine Antwort gefunden haben. Diese gab nämlich bei allen weiterführenden Links zu den neuen Scheinen und Münzen immer dieselbe Fehlermeldung aus: Method Not Allowed. Und das ist doch irgendwie paradox, dass das Aufrufen eines Links im WWW, um aus diesem Informationen abzurufen, eine unerlaubte Methode sein solle. Aber vielleicht könnte die Bank, die sich dauernd mit schwierigen Widersprüchen befassen muss, dazu ja einige Studien in Auftrag geben ...