Evakuierung in Syrien: Phase 2, der Austausch von Milizenkämpfern
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Mittlerweile verdichten sich die Anzeichen, dass eine dschihadistische Gruppe für den Autobombenanschlag auf den Buskonvoi mit Zivilisten verantwortlich ist
Heute hat in Syrien die Phase 2 der Evakuierungen aus den vier Städten Kefraya , al-Fu'ah, Madaya und Zabadani begonnen. Es ist ein riskantes Unternehmen. Diesmal sitzen Kämpfer in den Bussen, die feindliches Territorium durchqueren.
In 45 Bussen (andere Quellen nennen 43), welche die beiden benachbarten Orte in Idlib, al-Fu'ah und Kefraya, verlassen haben und in Richtung Aleppo unterwegs sind, sitzen nach Schätzungen 3.000 Milizen-Mitglieder, die mit der syrischen Armee verbündet sind, ihr aber nicht angehören.
Aus Zabadani einem Ort in der Nähe zur libanesischen Grenze im Nordwesten Damaskus soll ein Konvoi mit elf Bussen losgefahren sein. Von diesem Konvoi werden wesentlich weniger Insassen gemeldet: 158 Mitglieder von Milizen, die gegen die Regierung kämpfen, und 342 Familien. In Madaya sollen lediglich 300 von 800 Milizenangehörigen die Evakuierung mitmachen.
Der Rest, so der Journalist Elijah J.Magnier, zieht es vor, dort zu bleiben und sich mit den Regierungstruppen zu versöhnen. Wer etwas Näheres über Gründe zum Bleiben erfahren will, der sei auf die oppositionsfreundliche Seite "Syria: direct" verwiesen, wo Bewohner von Madaya zu Wort kommen.
Der riskante Vier-Städte-Plan
Zum großen Bild: Dass die Evakuierungen nach dem grauenhaften Selbstmordanschlag am Wochenende auf einen Buskonvoi weitergehen, ist zunächst ein Erfolg, der zeigt, dass viele Parteien daran Interesse haben, den "vier-Städte-Plan" umzusetzen.
Seit 2015 wird über einer Lösung des Problems verhandelt: Die zwei Orte im Nordwesten Damaskus, Madaya und Zabadani, sind von der Hisbollah-Miliz und syrischen Regierungstruppen umgeben. Die Versorgung der Bevölkerung hängt vollkommen von dieser Belagerung ab. Aus beiden Orten gab es fürchterliche Nachrichten von Hungersnöten.
Die beiden anderen Orte, Kefraya und al-Fu'ah, in Idlib sind von dschihadistischen Milizen, einer al-Nusra-Allianz, umgeben, die sie belagern und beschießen. Die Bewohner sind mehrheitlich Schiiten, die angesichts der Hassparolen der Dschihadisten gegenüber ihrer Konfession das Schlimmste fürchten. Einige Zeit wurden sie über Luft versorgt. Das ist aber durch das 4-Städte-Abkommen nicht mehr möglich, weil das Prinzip gilt, dass kein einzelner Ort begünstigt werden darf. Regelungen müssen gleichermaßen für alle vier Orte gelten.
Man erkennt schon im oberflächlichen Gesamtblick des Abkommens, dass es viele Komplikationen enthält und gleichzeitig viel auf dem Spiel steht. Allein die Liste der wichtigsten Verhandlungspartner gibt Aufschluss über eine Interessensvielfalt, die gebündelt werden muss.
Der Hintergrund des Autobombenanschlags
Es mischen mit: die syrische Regierung, die iranische Regierung, Vertreter Katars, der Türkei, von Kuweit, Ahrar al-Sham, die Hizbollah, die al-Qaida in unterschiedlichen Vertretungen, allen voran die al-Nusra-Front mit ihrer neu benamten Allianz Hayat al-Tahrir al-Sham, aber auch dschihadistische Milizen wie Jund al-Aqsa (auch unter der Bezeichnung Liwa al-Aqsa bekannt) machen Forderungen geltend.
Der Hinweis auf die vielen Beteiligten ist wichtig, um die Interessenslagen einigermaßen zu umreißen, die im Hintergrund des Autobombenanschlags vom Samstag, den 16 April, stehen. Dabei kamen nach bisherigen Informationstand 126 Menschen um - mindestens 67 Kinder.
Die Zahlen differieren wie immer je nach Quelle. Festzuhalten ist, dass in den Bussen, die von dem Auto mit der Sprengladung angegriffen wurden, vorwiegend Kinder, Jugendliche, Frauen und ältere Menschen saßen, wie das in dem Evakuierungsplan vorgesehen war. Es handelte sich bei den Konvois am vergangenen Wochenende um Phase 1 der Evakuierung.
Als zentraler Aspekt ist auch anzumerken, dass die großen Parteien, die an dem Plan beteiligt sind, enormes Interesse daran haben, dass das riskante und in seiner Dimension bislang einzigartige Unternehmen des Austauschs glückt (in al-Fu'ah und Kefraya leben 20.000 Bewohner, in Zabadani und Madaya 40.000). Dass seit 2015 darüber verhandelt wurde, spricht Bände.
Nach dem Anschlag, der grausige Bilder von verbrannten Kindern zeigte, legten Berichte z.B. von CNN, der BBC oder auch in Le Monde - und in Deutschland sehr deutlich die Boulevardzeitung Bild - die Spur des Schuldigen Richtung Baschar al-Assad, der in den Augen vieler Medien offenbar für alle Kindermorde in Syrien zuständig ist. Einen Beweis dafür hatte man nicht.