Evangelikale Katholiken

Zersplitterung oder Vielfalt? Oder gar nichts?

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In diesem Sommer titelte das Nachrichtenportal Idea: "Evangelikale Katholiken auf dem Vormarsch". Dem Artikel zufolge breitet sich eine solche Bewegung aus - vor allem in den USA, aber auch in Europa. Die Römisch-Katholische Kirche in Deutschand habe 24,5 Millionen Mitglieder, von denen 675.000 evangelikal seien.

Idea e.V. ist evangelikal, sehr evangelikal sogar. Und man kann sich sicherlich darüber streiten, ob das Nachrichtenportal den Trend nun darum sieht, weil die Redakteure ihn eher wahrnehmen, eben weil sie als Insider besonders gute Verbindung zu Evangelikalen haben - oder ob sie den Trend sehen, weil sie ihn sehen wollen.

In jedem Fall wurde die Katholische Kirche in ihrer Geschichte immer wieder durch Bewegungen oder "Trends" herausgefordert. Nun durch Evangelikale? Erstaunlich wäre es jedenfalls, schon weil man Evangelikale normalerweise mit dem Protestantismus in Verbindung bringt.

Bild Rosenkranz: Peter Crossman of the Mary Rose Trust. Lizenz: CC-BY-SA-3.0

Was sollen "evangelikale Katholiken" ausmachen? Laut Idea.de betonen sie "die Bedeutung einer persönlichen Beziehung zu Jesus Christus durch Bibelstudium, Sakramentsempfang und Evangelisation. Mit geistlicher Beratung versuchen sie, römisch-katholische Pfarreien und Studentengemeinschaften an Universitäten für den Missionsauftrag auszurüsten. Sie sehen sich dabei im Einklang mit den Päpsten Johannes Paul II., Benedikt XVI. und Franziskus, die sich eine geistliche Erneuerung der Kirche zum Ziel gesetzt haben."

Reaktion der Pressestelle der DBK

Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, reagiert auf eine Anfrage recht knapp: "Uns sind keine ´evangelikalen´ Katholiken bekannt." Punkt. Hakt man nach, klingt er entnervt: "Der Begriff ist bei uns nicht bekannt, nochmals! Es ist schon merkwürdig, wenn jemand für Geistliche Gemeinschaften den Begriff ´evangelikal-katholisch´ verwendet. Wir kennen diesen Begriff und diesen Sprachgebrauch nicht."

Die im Artikel genannten Punkte sind nun eher eine Frage der Auslegung als eine fixe Definition. Aber sie legen nahe, dass da jemand glaubt, die Kirche reformieren zu müssen. Eine gewisse Gereiztheit kirchlicherseits ist da natürlich nachvollziehbar.

Die Kirchengeschichte kennt viele Reformbewegungen, Abspaltungen und Neugründungen aus den jeweils "führenden" Kirchen und Religionsgemeinschaften.

Abspaltungen und Reformbewegungen auf evangelischer Seite

Innerhalb der evangelischen Landeskirche gibt es etwa Pietisten und ihren Evangelischen Gnadauer Gemeinschaftsverband e.V., oder Charismatiker und ihre Geistliche Gemeinde-Erneuerung - und außerhalb der Landeskirche existieren zahlreiche Freikirchen.

Solche Organisationen sind aus den unterschiedlichsten Gründen entstanden, etwa, weil Menschen keinen Halt in der Kirche fanden, weil sie besonders intensive Formen der Frömmigkeit suchten, oder auch, weil sie mit der kirchlichen Lehre nicht einverstanden waren: Dann gründeten sie Organisationen und versuchten so, mit deren Hilfe die Kirche in ihrem Sinne von innen zu ändern. Oder sie traten gleich zu einer Freikirche über.

Abspaltungen und Reformbewegungen auf katholischer Seite

Dir Katholische Landeskirche nimmt man eher als Einheit wahr. Dies liegt vor allem daran, dass sie mit dem Papst ein Oberhaupt hat, das Identität stiftet. Aber auch sie kennt natürlich Abspaltungen: So waren aus der (damals einzigen Katholischen) Kirche im Jahr 1054 die Orthodoxen Ostkirchen und mit der Reformation 1517 die protestantischen Kirchen entstanden, und im Jahr 1889 schlossen sich die Altkatholischen Kirchen in der Utrechter Union zusammen. Die Katholische Kirche kennt auch interne Gruppierungen und Organisationen (wie etwa die Orden der Benediktiner oder Franziskaner, die sich jedoch ausdrücklich als Teil der Kirche verstehen).

Aber besonders in Lateinamerika scheinen evangelikale Kirchen eine Art Konkurrenz zur Katholischen Kirche geworden zu sein. So schrieb Héctor Abad am 25. März 2013 in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ), dass sich "viele lateinamerikanische Katholiken insbesondere der unteren Bevölkerungsschichten allen möglichen evangelikalen Gruppierungen zugewandt haben". Die Wahl des neuen Papstes sieht er damit in Verbindung:

"Erwartet wird von diesem Papst, dass er eine grössere Bereitschaft zu Dialog und kollegialem Verhalten an den Tag legt, und die Tatsache, dass seine erste Amtshandlung darin bestand, dem Rabbiner von Rom zu schreiben, scheint zu zeigen, dass er willens ist, neue Wege zu gehen. Sollte er stattdessen hartnäckig an den alten Wegen festhalten wollen, sollte niemand sich wundern, wenn die tieferen Halt Suchenden sich weiterhin massenhaft dem Nichtglauben oder anderen Formen des Glaubens zuwenden - dem Agnostizismus, einer privaten Religiosität ohne irgendwelche vermittelnden Instanzen, diversen evangelikalen Gruppierungen".

Pfingstler und Charismatiker

Neben den Evangelikalen stellen Charismatiker eine Herausforderung dar - für die evangelische wie die katholische Seite. Grob gesagt bilden Charismatiker einen Teil der evangelikalen Bewegung - was allerdings beileibe nicht alle nicht-charismatischen Evangelikalen so sehen. Charismatiker betonen das Wirken des Heiligen Geistes. Der christlichen Lehre zufolge kam nach der Kreuzigung Jesu der Heilige Geist zu seinen Jüngern und erleuchtet seitdem die Gläubigen. Die evangelikale Lehre ist recht disparat, aber im Allgemeinen gehen Evangelikale davon aus, dass der Heilige Geist auch individuell zu einem Menschen kommt, der daraufhin "bekehrt" bzw. "wiedergeboren" ist.

Das Kommen des Heiligen Geistes wird in der Apostelgeschichte im Neuen Testament erzählt. Dort wird beschrieben, dass er in Gestalt einer Taube vom Himmel kam und sich in Form von Flammen über den Köpfen der Jünger manifestierte. Diese konnten plötzlich in fremden Sprachen sprechen.

Dieses "Zungenreden" (Glossolalie) wird heute in charismatischen Gemeinden als besondere Gabe betrachtet und praktiziert. In einem Gottesdienst steht dann vielleicht ein Gläubiger auf und gibt Laute von sich, dann steht ein zweiter auf und "übersetzt" diese. Oft sind dies allgemeine religiöse Sätze. Innerhalb der evangelikalen Bewegung ist diese Praxis umstritten: Manche betrachten sie als Geistesgabe, vielen geht sie auf die Nerven, ein paar Fundamentalisten betrachten sie auch als dämonische Verirrung.

Charismatiker nennen sich diejenigen Gläubigen, die diese "Geistesgaben" wie eben Zungenreden, aber auch Prophetie, Krankenheilungen und Wunder betonen und innerhalb der Kirchen verbleiben. "Pfingstler" haben sich von der Kirche getrennt und sind Mitglied einer "Pfingstgemeinde". Der Name "Pfingstler" kommt daher, dass das christliche Fest "Pfingsten" das in der Apostelgeschichte beschriebene Kommen des Heiligen Geistes auf die Gläubigen feiert.

Wie allgemein die Evangelikalen, stellen auch Pfingstler und Charismatiker eine Herausforderung für die Kirchen dar. Stefan Reis Schweizer schrieb im Mai dieses Jahres in der NZZ:

"Die Pfingstgemeinden konfrontieren die traditionellen christlichen Kirchen mit einer radikalen, urchristlich geprägten charismatischen Glaubenspraxis. [...] Die Beschäftigung mit pfingstlich geprägten Gemeinden wurde lange vernachlässigt und ist überfällig. Es handelt sich längst nicht mehr um ein religiöses Randphänomen. Diese Glaubenspraxis findet in der ganzen Welt immer mehr Anhänger, vor allem in den ärmeren Gesellschaftsschichten in Lateinamerika, Afrika und Asien. Nicht nur die Pfingstgemeinden selbst stehen für diese Art von Frömmigkeit; bereits in den siebziger Jahren nahm die charismatische Erneuerung diesen Ansatz in den traditionellen Kirchen auf. [...] Die Zahl der Anhänger ist schwer auszumachen; man schätzt, dass 400 bis 800 Millionen von insgesamt 2,3 Milliarden Christen auf der Welt zu den beiden Gruppen zählen. [...] Lange bestimmten Verachtung und Ignoranz das Verhalten der Grosskirchen gegenüber der Pfingstbewegung. Mittlerweile hat sich vielerorts eine gewisse Hilflosigkeit breitgemacht, Ansätze für einen Dialog sind noch selten erkennbar."

Die evangelikale Bewegung - ein Problem?

Kurz: Weder Evangelische noch Katholische Kirchen wirken, als könnten sie mit Evangelikalen beziehungsweise Charismatikern etwas anfangen.

Die evangelikale Seite sucht wohl nach Anerkennung, so dürften Artikel wie der eingangs zitierte zu erklären sein, oder ein anderer auf Idea.de von Ende Juli 2013: "Papst Franziskus zeigt gegenüber Evangelikalen keine Berührungsängste. Beim Besuch eines Elendsviertels von Rio de Janeiro (Brasilien) während des Weltjugendtags begegnete das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche auch dem Pastor einer Pfingstgemeinde. Den weltweit wachsenden Pfingstkirchen laufen besonders in Brasilien Scharen von Katholiken zu. Am 26. Juli stattete Papst Franziskus der Favela Varginha bei Rio de Janeiro einen Besuch ab."

Dennoch: Katholischerseits scheint Ablehnung vorzuherrschen, und die Evangelische Kirche scheint die Unterschiede zu nivellieren - zwischen der Landeskirche einerseits und andererseits Freikirchen bzw. Evangelikalen oder Charismatikern innerhalb der Landeskirche.

Ein Dialog wäre sicher zu begrüßen - gleichzeitig ist jedoch bedenkenswert, ob die Landeskirchen nicht deutlicher auf die Eigenheiten und auch Probleme mancher evangelikalen bzw. charismatischen Ausrichtung hinweisen und vielleicht sogar vor der Mitgliedschaft in manchen Freikirchen warnen sollten - denn dafür sind durchaus Argumente bekannt.1 Es gibt inzwischen diverse Selbsthilfegruppen von Aussteigern vor allem fundamentalistischer Richtungen. Aber es gibt noch immer nicht genug kirchliche Selbstkritik, Eigenwerbung und argumentative Aufklärung.

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