Evolution im offenen Raum

Darwin begründete seine Evolutionstheorie unter anderem mit Beobachtungen auf abgelegenen Inseln. Doch neue Arten bilden sich auch ohne räumliche Trennung

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Beinahe auf den Tag genau vor 150 Jahren erschien die erste Auflage eines Buches, das Geschichte machen sollte: „On the Origin of Species“ hieß es, die Erstauflage bestand aus 1250 Exemplaren, die je 15 Shillings kosten sollten. Kein Billigdruck jedenfalls – für 15 Shillings hätte man damals auch etwa drei Scheffel Getreide kaufen können, also um die 100 Liter. Trotzdem war die Erstauflage schon am Tag des Erscheinens ausverkauft. Ein hastiger Neudruck von 3000 Exemplaren lag ebenfalls nicht lange in den Buchhandlungen. Der Autor des Werks, der Botaniker und Zoologe Charles Darwin, quälte sich zu diesem Zeitpunkt mit dem für Großbritannien frühen Wintereinbruch. Skizziert hatte er seine „Entstehung der Arten“ schon Jahre früher, 1842 in einem Entwurf und 1844 in einem damals jedoch nicht publizierten Essay.

Dass er sich zur Veröffentlichung seiner Ideen über 15 Jahre Zeit ließ, mag wohl auch daran gelegen haben, dass er ihre Bedeutung durchaus schon richtig einschätzte: „Wenn, wie ich glaube, meine Theorie richtig ist und nur von einem einzigen kompetenten Beurteiler angenommen wird“, teilte er seiner Frau Emma in einem Brief schon im Juli 1844 mit, „wird dies ein beträchtlicher Schritt in der Wissenschaft sein.“ Dass es schließlich doch zur Veröffentlichung kam, lag vor allem an einem jüngeren Konkurrenten, Alfred Russel Wallace, der unabhängig von Darwin zu sehr ähnlichen Folgerungen gekommen war. Wallace, der Darwin auch wichtige Hinweise lieferte, erkannte die zeitliche Priorität des Älteren uneingeschränkt an, zwischen beiden Forschern bestand denn auch lebenslang eine freundschaftliche Beziehung.

Charles Darwin im Alter von 51 Jahren, etwa zu der Zeit, als „On the Origin of Species“ erschien

Entwickelt hatte Darwin seine Theorie vor allem auf mehreren Reisen. Gleich die erste große Fahrt führte ihn auf der Beagle unter anderem auf die Galapagos-Inseln. Hier, 2000 Kilometer vom nächsten Kontinent, waren eine der Bedingungen besonders extrem gegeben, die Darwin später als Voraussetzung für die Entwicklung neuer Arten postulierte: Die reproduktive Isolation. Verbunden mit dem Selektionsdruck der klimatischen Bedingungen auf Galapagos hatten diese Bedingungen hier zu besonders hübschen Beispielen lokaler Anpassung geführt.

Die berühmten Darwin-Finken

Diese Beispiele in Form von 31 Finken verschiedener Arten erlegte Darwin, damals noch ein junger Mann, eigenhändig, um sie später der Londoner Zoologischen Gesellschaft zu übergeben. Dass Darwin davon zu seiner Evolutionstheorie inspiriert wurde, ist allerdings nur eine Legende. In der „Origin of Species“ erwähnt der Forscher die Vögel überhaupt nicht. Das Zeug dazu hätten die heute Darwinfinken genannten Vögel (mit den Finken nicht direkt verwandt) jedenfalls gehabt: All die bekannten Mechanismen der Evolution hatten aus einigen wenigen Ur-Exemplaren über lange Zeit unterschiedlichste Populationen verschiedener Arten erzeugt, unter anderem an der Schnabelform leicht erkennbar war.

Sexuelle Selektion und Artenbildung

Allerdings ist zur Entstehung neuer Arten eine räumliche Trennung wie auf den Galapagos-Inseln nicht zwingend notwendig. Forscher haben genügend Beispiele gefunden, bei denen die reproduktive Isolation offenbar nicht aus räumlicher Isolation entsteht. Doch wie erfolgt sie dann? Pünktlich zum Jubiläum liefern drei niederländische Forscher im Wissenschaftsmagazin Science jetzt eine mögliche Erklärung. Im Computermodell zeigen die Wissenschaftler, dass nicht nur die natürliche Auswahl zur Artenbildung beiträgt, sondern auch die sexuelle Selektion. Demnach treiben Weibchen, die besonders an die örtlichen Bedingungen oder bestimmte ökologische Nischen angepasste Männchen auswählen (erkennbar etwa an bestimmten Körperformen) ebenfalls die Stabilisierung bestimmter Merkmale voran. Die reproduktive Isolation entsteht in diesem Fall tatsächlich erst durch die von den Weibchen betriebene Auswahl.

Geirrt hat sich Darwin übrigens trotzdem – nämlich bei seinen Spekulationen über den Mechanismus, mit dem sich die Weitergabe von Körpermerkmalen vollzieht. Darwin vertrat hier die Pangenesis-Theorie, nach der jede Zelle des Körpers winzige Keimchen abgibt, die im Körper gesammelt werden und sich in den Sexualorganen zu Sexualelementen vereinen. Benutzt man ein bestimmtes Körperglied öfter, verändern sich mit dessen Form auch die Keimchen, und so wird eine Weitergabe der erworbenen Funktion ermöglicht. Man wird Darwin verzeihen müssen, dass er die moderne Gentheorie noch nicht vorhersehen konnte. Immerhin ordnet die Pangenesis-Theorie die weiterzugebenden Informationen schon ganz modern winzigen, diskreten Einheiten zu.