Exorzisten und der Dämon, den man austreiben muss

Seite 2: Teufel und Krankheit

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Mit anderen Worten: Wer glaubt, von einem Dämon besessen zu sein, ist wahrscheinlich psychisch krank und bekommt den Rat, einen Therapeuten aufzusuchen. Aber: Ist das immer so? Was wurde aus dem Exorzismus?

Schnall: "Mit Blick auf die geistliche Dimension und Begleitung ist zu sagen, dass schon jedes fürbittende oder gemeinsame Gebet, aber auch Gespräche mit den Betroffenen hier eine Unterstützung darstellen können. Der sogenannte große Exorzismus hingegen bedarf einer speziellen Ausbildung und Beauftragung des Geistlichen durch den Bischof und findet nach unserem Kenntnisstand zurzeit keine Anwendung in der Diözese Augsburg."

Also doch nicht in jedem Fall psychisch krank? Es kann eine Besessenheit geben, die eines Großen Exorzismus bedarf?

Noch einmal der Berliner Pressesprecher Stefan Foerner: "Aufgrund der Erfahrungen mit dem 'Fall Klingenberg', bei dem der Versuch eines Exorzismus letztlich ursächlich für den Tod der jungen Frau war, gibt es eine große Zurückhaltung beim Thema Exorzismus. In jedem Fall müsste ein Exorzist vom Bischof dazu ernannt und dafür beauftragt werden, eine psychische Erkrankung zweifelsfrei ausgeschlossen werden."

Im Erzbistum Köln kennt man einen "Befreiungsdienst". Markus Roentgen von der dortigen Abteilung Erwachsenenseelsorge: "Es gibt keine erhobenen Zahlen zur Spendung des sogenannten 'Befreiungsdienstes'." Der Modus im Erzbistum Köln: "Hier nimmt dies ein vom Erzbischof beauftragter Priester wahr, allerdings nur im Sinne einer Letztmöglichkeit eines zusprechenden Betens. Hierfür gibt es das Ritual des Befreiungsdienstes der Kirche, das mittlerweile auch ins Deutsche übertragen ist. Nur dieser Priester hat die Erlaubnis, gegebenenfalls diesen Dienst auszuüben."

Bei diesen Ausführungen fragt man sich automatisch, worin denn eigentlich der Unterschied zwischen Exorzismus und Befreiungsdienst liegt. Pressesprecher Christoph Heckeley: "Der Begriff 'Befreiungsdienst' bedeutet, dass im Rahmen des seelsorgerlichen Kontaktes gegebenenfalls das Gebet des Exorzismus, das aus dem Lateinischen übersetzt worden ist, gesprochen wird."

Also doch Exorzismen? Warum? Roentgen: "Das Gebet um Befreiung gibt dem Raum, dass Menschen sich personal von dämonischen oder bösen Mächten besetzt fühlen." Dass jemand glaubt, er sei besessen, könne "in unserer Gesellschaft" häufiger werden, weil weniger Menschen in einem reflektierten Glauben verwurzelt seien.

Und auch, weil ins Erzbistum Köln Menschen kommen, "in deren Kulturkreis Dämonen ganz selbstverständlich zum Weltbild gehören". Dies sei eigentlich vollkommen unpassend: "Wir stehen also vor der Situation, dass Menschen von sich aus mit einem Bedürfnis auf uns zukommen, das für die Kirche an sich gar kein Thema ist."

Also ein Exorzismus, um einen Kranken zu heilen: "Dem wird im Beten als einer ultima ratio der Bitte um Befreiung von diesem Gefühl der Besetztheit Raum gegeben. Mitunter ist eine Linderung schon ein wichtiger Schritt. Oft gelingt es auch, eine pathologische Fixierung in eine 'normalere' Form von psychischer Belastung zu verwandeln. Dann ist schon viel erreicht."

Was ist die Aufgabe der Kirche?

Der Priester tut demnach so, als glaube er dem Menschen, der sich für besessen hält. Er führt einen Befreiungsdienst durch. Der Kranke glaubt - wenn alles gut geht - von nun an nicht mehr, dass er von einem Dämon besessen ist, sondern er hat eine "normale" psychische Krankheit.

Das klingt weise. Vielleicht ist es das auch. Die Verwandlung einer psychischen Krankheit (die in dem Glauben besteht, dämonisch besessen zu sein) in eine "normale" psychische Krankheit, ist sicherlich wünschenswert. Aber man fragt sich doch, ob der Priester den Kranken nicht letztlich entmündigt, wenn er unter dieser Perspektive einen Exorzismus durchführt.

Außerdem führt dies zu der Frage nach der Aufgabe der Kirche - und danach, was sie unter dem Teufel, dem Bösen, oder einem Dämon verstehen "muss", um nicht den eigenen Glauben zu verraten. Worin besteht der Glaube der Kirche? Braucht sie den Teufel? Und wenn ja: Was für einen? Und wofür?

Eine schwierige Frage - und man sollte nicht glauben, dass die Kölner es sich leicht machen würden. Markus Roentgen: "Der damalige Präfekt der Glaubenskongregation Kardinal Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI., [hat] klar angewiesen, [dass vor so einem Befreiungsdienst] alle psychologischen, medizinischen, psychiatrischen und seelsorglichen Formen der Behandlung und Konsultation einzubeziehen [sind]; auch die gegenseitige Konsultation der beteiligten Ärzte und Seelsorgenden."

Die Kirche versucht zudem, sich nicht vor den Karren eines psychisch Kranken spannen zu lassen: "Der Befreiungsdienst wird nicht 'auf Wunsch' gespendet."

Und sie versucht es auch erst mit einem "normalen" Gebet: "In der Regel wird dem belasteten oder sich besetzt fühlenden Menschen angeboten, das Vaterunser zu beten, dessen letzte Bitte 'und erlöse uns von dem Bösen' im Herzen des Betens Jesu steht. Ein größeres Gebet als das Vaterunser hat die Kirche nicht. Dieses Beten muss von seelsorglicher Begleitung kompetent und nachhaltig gestützt sein."

Notfalls an eine weltanschaulich neutrale Institution vermitteln

Auch in der Diözese Stuttgart wird ein Exorzismus nicht von vornherein ausgeschlossen; und auch hier sucht man erst nach anderen Wegen. Pressesprecher Uwe Renz: "Nach den bischöflichen Richtlinien in unserer Diözese, muss, um das Anliegen eines Exorzismus prüfen zu können, die Stellungnahme beziehungsweise Beurteilung eines erfahrenen Seelsorgers sowie eines Facharztes eingeholt werden."

Interessant ist folgender Aspekt, den als einziger Uwe Renz nennt: "Aufgrund der erfahrungsgemäß wenig nachhaltigen und zudem induzierenden Wirkung des Exorzismus, gilt uns der Exorzismus grundsätzlich als ultima ratio."

Die Diözese Rottenburg-Stuttgart scheint auch die einzige zu sein, die nicht nur mit Fachärzten zusammenarbeitet, sondern eben auch weltanschauliche Grenzen offen respektiert: "Menschen mit einem anderem weltanschaulichen Hintergrund, oft nicht getauft, sind beispielsweise kaum zu pastorieren, zumal sie meist nicht bereit sind, sich auf die christliche Botschaft einzulassen. Schon daher ist die Anwendung eines Exorzismus nicht verantwortbar. Soweit möglich, vermitteln wir solche Anfragen an weltanschaulich neutrale Institutionen weiter."

Aber bei einem Gläubigen gilt der Exorzismus eben doch als Möglichkeit, wenn auch nur als letzte. Renz erklärt weiter: "Seine Anwendung macht unseres Erachtens auch nur dann Sinn, wenn die betroffene Person im gesamten Glaubenskontext der katholischen Kirche steht. Die Hilfe, welche die Kirche in solchen Fällen den Gläubigen anbieten kann, liegt in einer komplexen pastoralen Zuwendung, bei der zunächst neben Gespräch und Gebet die Spendung der Sakramente (Krankensalbung, Buße) im Vordergrund steht.

Ebenso gilt es, die eventuell auftretenden außergewöhnlichen Phänomene, aber auch eventuell vorliegende psychopathische Krankheitsbilder von medizinischer Seite abzuklären. In der Regel wird daher eine Zusammenarbeit von Seelsorger und Arzt angestrebt. Erst in diesem Gesamtzusammenhang kann unter Umständen auch ein Exorzismus verantwortlich erwogen werden."

Außergewöhnliche Phänomene?

Exorzismus verantwortlich erwägen?

Wer nicht religiös ist, dem wird es bei solchen Worten wohl erst einmal kalt den Rücken hinunterlaufen.

Und demjenigen, der religiös ist, vielleicht auch.

Die Kirche scheint vor einem Dilemma zu stehen: Einerseits wird sie mit Anfragen nach Exorzismen konfrontiert. Andererseits glaubt, wer an einer ordentlichen Hochschule Theologie studiert hat, wohl kaum noch an einen Teufel mit Pferdefuß und Hörnern. Aber woran denn?

Wer Dummheit, Arroganz, Bösartigkeit kennt, mag sie dämonisch nennen. Wenn die Kirche dies tut: Ist sie dann fortschrittlich, oder gibt sie einen Teil ihrer Transzendenz auf?

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