Extragalaktischer Schattenwurf eines Schwarzen Giganten

Seite 2: Point of no return

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Charakteristisch für ein Schwarzes Loch ist sein Ereignishorizont ("event horizon"). Jegliche Form von Materie oder Anti-Materie, die ihn passiert, hat die letzte Grenze überschritten, den "point of no return". Von diesem gibt es kein Zurück mehr.

Chandra-Aufnahme im Röntgenlicht vom Schwarzen Loch im Zentrum der Milchstraße. Bild: NASA/UMass/D.Wang et al., IR: NASA/STScI

In diesen unheimlichen Gefilden behält die Schwerkraft als Regentin stets die Oberhand. Sie dominiert ihr Umfeld. Gas, Staub, Materie und auch die Partikel des Lichts verschwinden langsam ins Innere des Schwarzen Loches. Peu à peu verliert sich alles in einem gewaltigen kosmischen Raum-Zeit-Strudel in ein dunkles Nichts oder Etwas. Alles endet sodann in einer Singularität, jenem unendlich dichten und heißen zentralen Punkt eines Schwarzen Loches, in dem alle Qualitäten und Quantitäten von Raum, Zeit und Materie auf undefinierbare Art und Weise einfrieren oder eine wie auch immer anders geartete Wiedergeburt erleben. Was sich dort für (anti-)kosmische Dramen abspielen, welche unbekannten Gesetze der Physik hier herrschen, bleibt nebulös. Information, die hinter dem Ereignishorizont verschwindet und in der Singularität landet, hat sich jedenfalls endgültig von der Metagalaxis verabschiedet.

Zwischen sichtbar und unsichtbar

Nur in der Phase der Akkretion, wenn sich die rotierende hellaufleuchtende Scheibe ("Akkretionsscheibe") auf unvorstellbar hohe Temperaturen aufheizt, flackert das Schwarze Loch im sichtbaren Licht und auf (fast) allen anderen Wellenlängen des elektromagnetischen Spektrums. Die hierbei freiwerdende Strahlung gibt sich im Spektrum auf charakteristische Weise zu erkennen. In diesem Stadium strahlen Schwarze Löcher besonders intensiv im Röntgen- und Radiobereich.

Da Schwarze Löcher infolge ihrer enormen Gravitation naturgemäß das Licht in ihrer Umgebung stark beugen und verzerren, sind sie im weißen Licht allenfalls in Mehrfachsystemen indirekt gut lokalisierbar. Doch ein direkter Nachweis, der ihre Existenz im optischen Licht via Fotobeweis sogar bestätigt, ist wegen ihrer obskuren Natur unmöglich. Schließlich legen Schwarze Löcher mit Vorliebe ein schwarzes Gewand an und neigen dazu, all ihre Geheimnisse mit in die Singularität zu nehmen.

Die einzige Chance, sich dem Mysterium auf geschickte Weise zu nähern, besteht darin, den Ereignishorizont direkt selbst unter die Lupe zu nehmen und eine Vorhersage der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein im Experiment zu überprüfen.

Schatten im Focus

Genau diesen Weg ist ein internationales Radioastronomen-Team gegangen. Dabei ist ihnen ein Coup gelungen, den Karl G. Jansky gewiss mit großem Applaus quittiert hätte. Denn dank langjähriger harter Arbeit und Grundlagenforschung sowie einer länder- und teleskopübergreifenden Kooperation konnten Wissenschaftler in globaler Anstrengung mit dem Event Horizon Telescope (EHT) das erste Mal in der Wissenschaftsgeschichte den Schatten des Ereignishorizontes eines Schwarzen Loches im Radiolicht fotografieren und die nähere Umgebung ablichten.

Schwarze Löcher wurden bis vor kurzem nur in Form von künstlerischen Darstellungen visualisiert. Bild: ESO/M. Kornmesser

Das Ergebnis des aufwendigen Experiments stellten die EHT-Forscher gestern auf sechs rund um den Erdball simultan koordinierten Pressekonferenzen vor, die auf verschiedenen Online-Portalen live übertragen wurden. Auf der medial geschickt inszenierten Pressekonferenz in Brüssel, bei der Carlos Manuel Félix Moedas, EU-Kommissar für Forschung, Wissenschaft und Innovation, während seines Einführungsvortrag seine Begeisterung nicht verhehlen konnte, bekam der Vorsitzende des EHT-Wissenschaftsrats, Heino Falcke, von der Radboud-Universität in Nijmegen/Niederlande, als erster Wissenschaftler das Wort. Dies aus gutem Grund, da er bereits vor 19 Jahren die Idee forcierte, Ereignishorizonte von supermassereichen Schwarzen Löchern gezielt ins Visier zu nehmen und dabei einen speziellen Trick anzuwenden.

Teleskope des Event Horizon Telescopes (18 Bilder)

Das Atacama Large Millimeter/submillimeter Array (ALMA) der Europäischen Südsternwarte in Chile
(Bild: ESO/C. Malin)

Besagter Trick basiert auf einer Vorhersage Albert Einsteins, der in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie (ART) unter anderem auch postulierte, dass ein dunkler Schatten entstehen müsse, wenn die aufgeheizte Materie der Akkretionsscheibe den stark gekrümmten Bereich der Raumzeit ausleuchtet. Hierzu Falcke:

Wenn wir in eine helle Region eintauchen, wie eine Scheibe ausglühendem Gas, erwarten wir, dass ein Schwarzes Loch eine dunkle Region ähnlich einem Schatten erzeugt - etwas, das durch Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie vorhergesagt wird, aber wir noch nie zuvor gesehen haben. Dieser Schatten, verursacht durch die Gravitationskrümmung und den Einfang von Licht durch den Ereignishorizont, offenbart viel über die Natur dieser faszinierenden Objekte. Er hat es uns ermöglicht, die enorme Masse des schwarzen Lochs von M87 zu messen.

Die im Rahmen der EHT-Kollaboration eingesetzten Teleskope sind: ALMA, APEX, das IRAM 30-Meter-Teleskop, das IRAM-NOEMA-Observatorium (seit 2018), das James-Clerk-Maxwell-Teleskop (JCMT), das Large-Millimeter-Teleskop (LMT), das Submillimeter-Array (SMA), das Submillimeter-Teleskop (SMT, das frühere Heinrich-Hertz-Teleskop), das Südpol-Teleskop (SPT) und das Grönland-Teleskop (GLT, ebenfalls seit 2018). Bild: APEX, IRAM, G. Narayanan, J. McMahon, JCMT/JAC, S. Hostler, D. Harvey, ESO/C. Malin. Bild rechts: NRAO