Extrembereiche der Politik
Telepolis im Gespräch mit Mirko Drenger Vorstandsvorsitzender des umstrittenen Jugendschutzvereins JusProg
Herr Drenger, sie sind in Personalunion Geschäftsführer des Contentanbieters Fundorado und Vorsitzender des Jugendschutzvereins JusProg e.V., der das gleichnamige Filterprogramm anbietet, das in den letzen Tagen wegen unverständlicher Einträge in dessen Sperrliste in die Diskussion geraten ist. Fundorado ist einer der größten deutschen Internetanbieter für Erotikcontent. Welche Motivation treibt ein Unternehmen an, das sein Geld mit "jugendgefährdenden Inhalten" verdient, ein Filterprogramm zu entwickeln, das Jugendliche vor diesen und anderen Inhalten schützen soll?
Mirko Drenger: Als Anbieter von sogenannten entwicklungsbeeinträchtigenden Inhalten sind wir gemäß Jugendmedienschutz-Staatsvertrag §11 dazu verpflichtet, eine solche Software einzusetzen beiziehungsweise zu entwickeln wenn es keine gibt. Wir erfüllen mit dieser Initiative lediglich die Anforderungen des Gesetzgebers.
Nach welchen Kriterien werden die Seiten bewertet, die in die Filterliste von JusProg aufgenommen werden?
Mirko Drenger: Grundsätzlich ist das Ziel dieser Filterliste, alle Themen und Inhalte im Internet, die für Kinder und Jugendliche nicht ohne weiteres geeignet sind, zu erfassen, diese in Altersgruppen zusammenzufassen und danach die Filterliste zusammenzustellen. Die Kriterien sind sehr umfangreich und befinden sich in ihrer Benennung zum Teil noch in der Erprobung - und im Rahmen des Modellversuches mit der KJM (Kommission für Jugend- und Medienschutz) – noch in der Diskussion. Speziell hierbei bekommen wir auch Unterstützung von Jugendschutz.net. Der grundsätzliche Aufbau dieser Kriterien ist aber auf der Webseite des Vereins seit Jahren unter dem Menüpunkt "Label-Generator" veröffentlicht und kein Geheimnis.
Warum finden sich auf der Filterliste so viele Seiten, deren Inhalte rein politischer Art sind - wobei deren Texte nach gängiger Lesart weder "sozialethisch desorientierend" sind, noch gewaltverherrlichend oder sprachlich anstößig?
Mirko Drenger: Insgesamt versuchen wir so viele Seiten als möglich zu erfassen, unabhängig von der inhaltlichen Ausrichtung. Nur so können wir sicherstellen, dass Kinder und Jugendliche einen möglichst breiten Zugang zum Internet bekommen. Wir möchten aber auch darauf aufmerksam machen, dass neben Themen auch die Kommunikationsmöglichkeiten auf einer Seite eine Rolle spielen. Chats, Foren und Kommentarfunktionen haben ebenfalls Einfluss auf das Rating einer Seite.
Wobei man allerdings anmerken muss, dass einige der gesperrten Seiten weder Chat-, noch Foren- oder Kommentarfunktion haben und einen sehr sachlichen Ton pflegen. Warum ist es Jugendlichen nicht zuzumuten, beliebte Internetseiten, wie beispielsweise Telepolis, TAZ, Nachdenkseiten, Spiegelfechter oder den Lawblog zu lesen?
Mirko Drenger: Diese Seiten wurden automatisiert von so genannten Crawlern erfasst und aufgrund bestimmter Wortverknüpfungen teilweise als 18er Seiten identifiziert. Bestimmte Keywords aus den Extrem-Bereichen der Erotik, Gewalt und Politik bedingen eine automatische 18-Qualifizierung. Das System ist im Modellversuch, insofern lernen auch wir jeden Tag neu hinzu. Die Seiten, die Sie benennen, haben wir nach Eingang der Beschwerden alle noch mal überprüft und entsprechend neu geratet, wie wir das bei allen Beschwerden machen. Und um eines richtig zu stellen, die Entscheidung über den Einsatz des Jugendschutzprogramms liegt allein in den Händen der Eltern. Diese haben auch die letztendliche Entscheidungsgewalt über die Seiten, die aufgerufen werden können oder nicht.
Extrembereiche der Politik? Interessant. Verstehe ich sie richtig, dass die kritisierten Einträge dann also maschinell erstellt wurden, ohne von ihren Mitarbeitern manuell gesichtet worden zu sein? Sie schreiben in ihrer Selbstdarstellung aber, dass die Einträge von Jugendschützern „sorgfältig und nach bestem Wissen und Gewissen“ bewertet wurden. Ist es nicht eher ihre Aufgabe, als Filteranbieter die offensichtlich nicht sonderlich praxistauglichen Ergebnisse des Crawlers zu überprüfen, bevor diese Einträge an die Kunden weitergegeben werden?
Mirko Drenger: Diese Vorgehensweise hat sich bislang sehr gut bewährt, denn es geht um Kinder- und Jugendschutz und da ist es wichtig, ein möglichst hohes Schutzniveau zu erreichen. Das Risiko, dass dabei die eine oder andere informative und harmlose Seite ins Overblocking gerät, ist in der Tat gegeben, diese kann aber jederzeit von den Eltern freigeschaltet werden, beziehungsweise kann diese Seite uns gemeldet werden zur erneuten Überprüfung.
Was hat das Label "Individuell" zu besagen, mit dem nun nach den Beschwerden einige politische Seiten versehen wurden, und welche Folgen hat diese Einstufung für Nutzer ihres Filterprogramms, die derart eingestufte Seiten besuchen wollen?
Mirko Drenger: Das gesamte Labeling basiert auf dem ICRA Standard, aktuell zu finden unter: FOSI - Family Online Safety Institute, ehemals die Internet Content Rating Association. Dabei handelt es sich um eine internationale, unabhängige Organisation für Content-Bewertung im Internet. Ziel dieser Organisation ist der Schutz von Kindern vor potentiell schädigenden Inhalten sowie Schutz der Meinungsfreiheit im Internet. Diese Organisation hat einen Standard zur Seitenbewertung entwickelt, den wir einsetzen. Alle Seiten, die nicht in dieses Raster passen, werden von uns als „Individuell“ eingestuft.
Wer prüft diese Seiten? Welche Qualifikation haben diese Mitarbeiter?
Mirko Drenger: Wir beschäftigen ein Rating-Team, welches die Seiten prüft und bewertet. Diese Mitarbeiter werden laufend geschult und haben mittlerweile viel Erfahrung. Vorgeschlagen werden die Seiten von sogenannten Crawlern (Software zur Durchsuchung des Internets), die permanent das Internet nach neuen oder veränderten Seiten durchsuchen und die gefundenen Seiten ganz grob und im Rahmen der technischen Möglichkeiten von Software raten.
Wie groß ist der Anteil von Einträgen in ihrer Datenbank, die vom Rating-Team bewertet wurden und nicht ausschließlich aufgrund des „übereifrigen“ Crawlers gesperrt wurden?
Mirko Drenger: Da bitte ich sie um Verständnis, dass wir bestimmte Zahlen während des laufenden Modellversuchs nicht kommunizieren können. Ich kann Ihnen aber sagen, dass seit über sechs Jahren täglich mindestens zwei Mitarbeiter mit dem Rating beschäftigt sind.
Auf der Sperrliste von JusProg finden sich viele politisch unbequeme Seiten wieder. Dies scheint vor allem auch solche Angebote zu betreffen, die sich für die Informationsfreiheit einsetzen. Welche jugendgefährdende Wirkung haben beispielsweise die Seiten des AK Vorratsdatenspeicherung?
Mirko Drenger: Sicherlich keine. Auch hier ist es so, dass die Seite von einem Crawler vorgeratet wurde und deshalb so hart eingestuft ist. Das "Rating", dass die Seiten des AK Vorratsdatenspeicherung "politisch unbequem" sind, haben sie im Übrigen gerade vorgenommen.
Die Macher werden mir da wohl kaum widersprechen wollen. Bei den gesperrten Open-Source-Projekten SourceForge.net und Gentoo wird die Sperre wohl ähnliche Ursachen haben. Ihre Filterliste ist für ein Pilotprojekt der öffentlichen Kommission für Jugendmedienschutz zugelassen. Wie verträgt es sich mit dem Gleichbehandlungsgrundsatz politischer Parteien, die Verfassungsrang haben und zur politischen Willensbildung aller Bürger - also auch Jugendlicher - beitragen, wenn Jugendliche keinen Zugriff auf die Internetseiten einzelner politischer Parteien, wie die der Grünen und die der Piratenpartei, haben?
Mirko Drenger: Die Software hat eine sehr gute individuelle Whitelist Funktion, mit deren Hilfe Eltern bestimmte Seiten einmalig oder dauerhaft per Eingabe ihres Elternpasswortes freigeben können. So liegt die letztendliche Entscheidung über die Sperrung einer Seite nicht bei unserer Liste, sondern bei den Eltern, die die Filtersoftware freiwillig einsetzen. Zudem können alle Seitenbetreiber ihre Seiten mit einem ICRA-Label versehen, welches vorrangig von der Software behandelt wird. Insofern steht es allen Inhalteanbietern frei, für sich selbst ein "Rating" vorzunehmen. Und letztendlich gibt es die Möglichkeit, uns auf bestimmte Seiten aufmerksam zu machen, um das gegebenenfalls falsche Rating erneut überprüfen zu lassen.
Was rechtfertigt die Einschätzung, dass eine Seite, wie bild.de samt ihres Soft-Erotik-Contents, in ihrem Filter als unbedenklich eingestuft ist, während der Bildblog erst für Jugendliche ab 16 Jahren freigegeben ist?
Mirko Drenger: Dieser Information gehen wir gewissenhaft nach und überprüfen das Rating beider Seiten abermals.
Rechnen Sie nach Ablauf des Modellversuchs mit einer Anerkennung ihres Filterprogramms durch die KJM?
Mirko Drenger: Wir investieren seit mittlerweile über sechs Jahren sehr viel Zeit, Energie und Geld in das Projekt und rechnen fest mit einer Anerkennung. Wann genau damit zu rechnen ist, wird der weitere Ablauf des Modellversuchs zeigen.
Was wären die Folgen für die deutsche Contentbranche, wenn es beim Thema "Zugangsbeschränkungen" zu keiner Einigung mit dem Gesetzgeber kommt?
Mirko Drenger: Was erstaunlich viele Betreiber von nichterotischen Webseiten immer wieder überrascht ist, die Tatsache, dass es bei dem §11 JMStV nicht nur um erotische Inhalte geht, sondern um sehr viel mehr. Anbieter von erotischen Inhalten werden mit den dann folgenden Einschränkungen, wie z.B. Sendezeitbegrenzung oder dem Einsatz eines technischen Mittels, noch am ehesten leben können.
Anbieter politischer Inhalte werden dies sicher gelassen sehen, schließlich unterscheidet sich eine gerichtsfeste Überprüfung des Contents doch sehr von Crawler-Ergebnissen. Herr Drenger, wir danken für das Gespräch.