FDP: Verkehrsminister im E-Fuel-Rausch

Droht mit Enthaltung im Rat der EU-Staaten: Bundesverkehrsminister Volker Wissing (FDP). Foto: Steffen Prößdorf / CC BY-SA 4.0

Neue "Verbrenner" auch nach 2035? Volker Wissing droht, EU-Pläne zu durchkreuzen – und folgt womöglich einer Lobby-Kampagne der Mineralölwirtschaft für synthetische Kraftstoffe.

Es ist nicht schwer zu raten, welche der Ampel-Parteien am Freitag beim Klimastreik der deutschen Sektion von Fridays for Future im Mittelpunkt der Kritik stehen wird. Die Grünen wären ein heißer Kandidat gewesen, denn der Schock über die Räumung von Lützerath im Rheinischen Braunkohlerevier unter einer "schwarz-grünen" Landesregierung sitzt bei etlichen Umweltbewegten tief – aber aktuell droht an der FDP ein nicht ganz unwichtiger Schritt zu mehr Klimaschutz in der gesamten EU zu scheitern.

Die FDP, allen voran Bundesverkehrsminister Volker Wissing, stemmt sich gegen ein Ende der Zulassung von Neuwagen mit Verbrennungsmotor ab 2035. Nach Meinung der Wirtschaftsliberalen müssen "Verbrenner" auch darüber hinaus zugelassen werden, wenn sie nachweislich mit E-Fuels – synthetischen Kraftstoffen – betankt werden.

Die EU-Kommission solle einen entsprechenden Regulierungsvorschlag manchen, sagte Wissing laut einem Bericht der Deutschen Presse-Agentur vom Dienstag in Berlin. Sonst werde Deutschland bei der Abstimmung kommende Woche im Rat der EU-Staaten nicht zustimmen. Wenn es unterschiedliche Auffassungen in der Ampel-Koalition gebe, müsse Deutschland sich enthalten, so Wissing – dies hätte "entsprechende Auswirkungen".

Dabei hatten sich Unterhändler der EU-Staaten und des Europaparlaments schon im Oktober darauf verständigt, dass ab 2035 in der EU keine neuen "Verbrenner" mehr zugelassen werden dürfen. Das Europaparlament billigte die Einigung vor zwei Wochen.

Die Zustimmung des Rats der EU-Staaten steht noch aus und ist für kommenden Dienstag angesetzt. Eigentlich ist das eine Formalie – ohne die deutsche Zustimmung könnte die erforderliche Mehrheit aber wackeln. Dann müssten die EU-Staaten erneut mit dem Europaparlament über das Verbrenner-Aus verhandeln.

Koalitionskrach wegen "Technologieoffenheit"?

Mit Wissings Aussagen könnte sich der nächste Koalitionskrach anbahnen. Aus dem Ressort von Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) heißt es, Deutschland habe dem Verhandlungsergebnis bereits im November auf Botschafterebene zugestimmt. "Diese Zustimmung war mit den anderen Ressorts abgestimmt", sagte ein Sprecher des Umweltministeriums. Der Text, der nun bestätigt werden solle, sei unverändert. "Deutschland steht hier auch in europäischer Verantwortung."

Dass die FDP dieses Fass nun wieder aufmacht und auf E-Fuels setzen will, gehört zu ihrem Verständnis von "Technologieoffenheit". Dieses Stichwort nutzen die Wirtschaftsliberalen gern, um verbindliche Regeln und Etappenziele beim Klimaschutz aufzuweichen. "Wir Freie Demokraten wollen die Energiewende stärker innovativ, technologieoffen, international und als Gesamtsystem denken", hieß es in ihrem Programm zur letzten Bundestagswahl.

Dass es sich bei E-Fuels um eine klimafreundliche Lösung für den motorisierten Individualverkehr handelt, wird von Experten des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) bestritten.

Der Produktionsprozess von E-Fuels und ihre spätere Nutzung in Verbrennungsmotoren gehen mit hohen Umwandlungsverlusten einher. Daher ist der Strombedarf gegenüber einem rein batterieelektrischen Pkw ungefähr um einen Faktor vier bis fünf höher.


Dr. Wolf-Peter Schill, DIW, Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt

Der Verein LobbyControl sieht im Hype um E-Fuels vor allem eine Legendenbildung der Mineralölwirtschaft. Tatsächlich startete der Bundesverband mittelständischer Mineralölunternehmen im Juni 2021 eine Kampagne unter dem Motto "E-Fuels for Future" – parallel zu einer Aktionswoche der Klimabewegung. Ein klassischer Fall von "Greenwashing". LobbyControl sah sich daher zur Aufklärungsarbeit genötigt.

Um ihr Geschäftsmodell – Tankstellen, Infrastruktur usw. – doch noch am Leben zu erhalten, hat sich die Mineralölbranche den so genannten E-Fuels – synthetischen Kraftstoffen – zugewandt. Für den künstlichen Sprit wird Wasserstoff aus erneuerbaren Energien mit CO2 angereichert, damit er ganz wie herkömmliche Kraftstoffe genutzt werden kann. Wird dieses CO2 aus der Luft entnommen, in die es ja später wieder hinausgepustet wird, darf die Mineralölwirtschaft von "klimaneutral" sprechen.

Doch trotz allen Drucks, den die Mineralölwirtschaft bisher ausgeübt hat: Für den Großteil der Expert:innen steht fest, dass E-Fuels vor allem für Flugzeuge, Schiffe und eventuell für LKWs eine Lösung sind. Nicht aber für normale PKW.


Nina Katzemich, LobbyControl - Initiative für Transparenz und Demokratie e.V.

Wissing sieht dennoch die EU-Kommission in der Pflicht, die Nutzung von E-Fuels zu ermöglichen. Das gelte sowohl für die Bestandsflotte als auch für Verbrennungsmotoren, die nach 2035 neu zugelassen werden.

"Vor dem Hintergrund der enormen Bestandsflotte an Pkw, die wir alleine in Deutschland haben, kann es für die FDP nur einen Kompromiss bei den Flottengrenzwerten geben, wenn auch der Einsatz von E-Fuels möglich wird", erklärte Wissing Anfang der Woche der Bild.

"Der auto-ideologische Umbau der Wirklichkeit"

Luisa Neubauer von Fridays für Future wirft ihm "Lobbymärchen" rund um E-Fuels vor. "Was im Verkehrsministerium passiert, ist keine Verkehrswende, sondern der auto-ideologische Umbau der Wirklichkeit", befand sie am Dienstag in einem Tweet.

Das bezog sich allerdings auch auf ein Gutachten, das die Bundestagsfraktion der FDP in Auftrag gegeben hatte, um Berechnungen des Umweltbundesamts zu einem generellen Tempolimit auf Autobahnen zu widerlegen. Die Verkehrsökonomen Alexander Eisenkopf und Andreas Knorr waren darin zu dem Ergebnis gekommen, dass Tempolimit deutlich weniger CO2 einsparen würde als bisher angenommen.

Beide sind allerdings für steile Thesen bekannt. Noch 2016 hatten sie das Klimaschutzziel, die Erderwärmung auf maximal zwei Grad zu begrenzen, als "naturwissenschaftlich sowie ökonomisch nicht stringent zu begründen" bezeichnet. Letzteres erklärt sich der Klimaforscher Stefan Rahmstorf vor allem dadurch, dass sie klimawissenschaftliche Fachliteratur gemieden und sich aus unseriöser Sekundärliteratur bedient hätten. Herausgekommen sei "haarsträubender Klimaskeptikerquatsch".

Das Tempolimit-Gutachten der beiden Verkehrsökonomen im Auftrag der FDP sieht der Präsident des Umweltbundesamts, Dirk Messner, laut einem Handelsblatt-Bericht "ganz entspannt, auch weil unser Gutachten von Expertinnen und Experten angefertigt wurde, die nicht aus der Grünen- oder der Umweltecke kommen". Darin hieß es Ende Januar, bei einer Beschränkung auf 120 Stundenkilometer sei eine Einsparung in Höhe von 6,7 Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten möglich. Im Gutachten von Eisenkopf und Knorr heißt es, "realistischerweise" sei damit nur eine Einsparung von "maximal 1,1 Millionen Tonnen zu erwarten".